Das Phänomen des Kulturschocks
Maryam Laura Moazedi | 14. Juni 2010 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 63, Managementserie
Der in den frühen 1950er Jahren von der US-amerikanischen Anthropologin Cora DuBois geprägte Begriff des Kulturschocks beschreibt ein Phänomen, das durch den Kontakt mit einer fremden Kultur ausgelöst werden kann – aber nicht muss. Zur Vorbeugung oder Minderung eines Kulturschocks von angehenden Expatriats und allgemein Menschen, die sich auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten, werden im Rahmen der interkulturellen Kommunikation Maßnahmen thematisiert.
Kulturschock-Phasen Kalervo Oberg zieht in seinem Vier-Phasenmodell des Kulturschocks Analogien zur Ehe. Die erste Phase nennt er „Honeymoon“-Phase. Diese sogenannte Zeit der Flitterwochen zeichnet sich klassischerweise durch Euphorie und Freude auf Neues aus. Begleitet wird diese Hoch-Zeit davon, dass Unterschiede zur eigenen Kultur großzügig übersehen oder eher romantisch verklärt werden. Nach ein paar Wochen kann eine Phase der Verweigerung oder Krise folgen, in der Unterschiede immer offensichtlicher und weniger positiv gesehen werden, sie letzten Endes einen verunsichern oder gar Angst machen. Betroffene schließen diese Phase mit der Erkenntnis, dass es zuhause doch am besten ist. Erst in der Phase der Erholung wird ein Verständnis für Abweichungen von der eigenen Kultur entwickelt. In der letzten Phase der Anpassung integriert sich die Person in die neue Kultur und übernimmt zum Teil Merkmale dieser – sie lernt, integriert und erweitert Horizont und Kompetenzen.
Eigenkultur-Schock In einem weiteren Schritt wurde das Vier-Phasenmodell um eine wesentliche erweitert: die Phase des Eigenkultur-Schocks. Gerade weil es verwundert, dass die Wiederbegegnung mit der eigenen Kultur zu Problemen führen kann, trifft einen der umgekehrte Kulturschock in aller Regel heftiger als die Begegnung mit der ursprünglich unbekannten Kultur. Erklärt wird der Rückkehrschock damit, dass man sich gegen Ende des Auslandsaufenthaltes beginnt, sich auf die alte Heimat zu freuen. Auf die Vorfreude, Familie, Bekannte, Freunde und Vertrautes zu sehen, kann – unvorbereitet – Enttäuschung folgen kann. Im Grunde genommen stecken auch durchaus positive Mechanismen dahinter. Ein Auslandsaufenthalt kann, mehr oder weniger bewusst, dazu genützt werden, sich weiter zu entwickeln. Die Begegnung mit einer fremden Kultur, die Übernahme neuer Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen, deren Integration in die eigene Persönlichkeit, die Erfahrung, dass ursprüngliche Absolutismen im Licht der neuen Kultur relativ sind, können auf einen Menschen verändernd, erweiternd wirken. Es kehrt somit eine weiterentwickelte Person zurück, der das ehemals Vertraute aufgrund des Perspektivenwechsels unter Umständen etwas fremd erscheint. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass jenen in der Heimat „zurück“ gebliebenen sämtliches Weiterentwicklungspotenzial abgesprochen wird. Allerdings wird in der Praxis häufig beobachtet, dass sich die Entwicklung dahingehend unterscheiden kann, dass unter Umständen Tempo und Inhalte variieren. Der Kreislauf schließt damit, dass auf den Eigenkultur-Schock die Reintegration in die Heimat folgt, in der man sich wieder langsam in ursprünglich Vertrautes einlebt, das zum Teil mit anderen Augen gesehen wird.
Typen Der Umgang mit dem neuen Umfeld ist situations- und persönlichkeitsabhängig. Thomas unterscheidet in diesem Kontext vier verschiedene Typen: Kontrasttyp, Grenztyp, Assimilationstyp und Synthesetyp. Er betont, dass diese nicht starr sind, ein und dieselbe Person daher in einer Situation dem einen Typus zugeordnet werden kann und in einer anderen Situation einem anderen. Eher negativ reagieren der Kontrast- und Grenztyp auf die neue Umgebung. Der Kontrasttyp lehnt die neue Kultur zur Gänze ab. Er betont die von der eigenen Kultur geprägten Sichtweisen und verstärkt den Ethnozentrismus bis hin zu einem kulturellen Chauvinismus, demnach die eigene Kultur der fremden überlegen sei. Der Grenztyp nimmt zwar keine Wertigkeiten vor, das heißt, für ihn ist die neue Kultur nicht der eigenen überlegen. Er integriert sie aber auch nicht. Er ist somit mit zwei inkompatiblen Kulturen konfrontiert, eine Situation, die zu einem inneren Konflikt führen kann. Schätzungen zufolge reagieren etwa 60% der Expatriats auf abweisende Art auf die neue Kultur, ziehen sich zurück und sehen die Rückreise in die Heimat als einzigen Ausweg. Einen positiven Zugang zum neuen Umfeld haben der Assimilationstyp und der Synthesetyp. Sozusagen den Gegenpol zum Kontrasttyp, der die neue Heimat ablehnt, bildet der Assimilationstyp, der die eigene Kultur ablehnt und die Normen und Werte der fremden annimmt. Die ursprüngliche kulturelle Identität geht verloren, oft bleiben Assimilationstypen für immer im Ausland. Etwa zehn Prozent der Expatriats werden diesem Typus zugeordnet. Der Synthesetyp hingegen integriert aus beiden Kulturen Anteile, die er als besonders wertvoll empfindet und übernehmen möchte. Er schafft sich seine eigene, völlig individuelle Mischung. Die Rückkehr nachhause bringt keine Probleme mit sich, auch nicht der Ruf in eine andere Kultur. Etwa 30% der Expatriats zählen zum Synthesetyp – sie werden oft Cosmopolitans genannt. Im Grunde genommen zeigt ihr Zugang vermutlich auf individueller Ebene, dass Kultur kein statisches Konstrukt ist und sich in einem ständigen Entwicklungs-, Austausch- und Veränderungsprozess befindet.
Aktiver Umgang Je nach Ausprägung wird davor gewarnt, einen Kulturschock und seine Folgen zu leicht zu nehmen. Kulturschock gilt auch als ein Synonym für Anpassungsstörung, und diese kann laut der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme mit Angst oder depressiver Verstimmung verbunden sein, mit Folgen, die nicht zu unterschätzen sind. Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung durch Migration oder Versetzung in eine andere soziale Umgebung gelten als potenzielle Gesundheitsrisiken. Die negativen Konsequenzen sind allerdings nicht immer vorprogrammiert. Von Haus aus weniger cosmopolitisch veranlagten Personen werden Trainings empfohlen, die auf einen eventuellen Kulturschock vorbereiten und ihm dadurch entgegenwirken sollen. Der durch den aktiven Zugang bewirkte Perspektivenwechsel bietet auch die Chance, von dem „Anderen“ zu lernen, zu wachsen und durchaus als „anderer“ Mensch zurückzukehren. Das Potenzial, von Reisen schockiert oder begeistert, aber auf jeden Fall mit neuen Eindrücken zurückzukehren, bringt das Zitat des Schriftstellers Graham Greene auf den Punkt: „Keiner kommt von einer Reise zurück, wie er weggefahren ist.“
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Managementserie, Fazit 63 (Juni 2010)
Kommentare
Eine Antwort zu “Das Phänomen des Kulturschocks”
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10. Mai 2011 @ 18:40
Ich bin froh endlich mal etwas über den Eigenkultur-Schock zu lesen. Es gibt immer noch zu wenig Aufklärung darüber.
Ich hatte zwar schon davon gehört wie heftig die Rückkehr werden kann, aber ich wußte nicht wie schlimm es tatsächlich ist. Ein ganzes Jahr habe ich gebraucht um hier in Deutschland wieder einigermaßen zurechtzukommen. Wenn ich gewußt hätte wo ich mich hinwenden kann und das es überhaupt Hilfemöglichkeiten gibt, das wäre schon ein Anfang gewesen. Einfach Gespräche mit Gleichgesinnten haben mir geholfen. Noch heute bieten ich/wir jeden Rückkehrer (meist Radreisende wie wir) unsere Hilfe an, aber letztendlich muss wohl jeder allein einen Weg finden.