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Die Regierung ist tot. Lang lebe die Regierung.

| 23. November 2010 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 67

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Mit Ausnahme des freiheitlichen »Farbtupfers« in der neuen Landesregierung gilt diese, heimische Politik immer mehr definierende, Plattheit in der Steiermark ganz besonders.

Diskutierenswert erscheinen mir dabei die nur kurz nach dem Wahlsonntag präsentierten Vorschläge des Grazer Bürgermeisters. Zum einem ist hervorzuheben, dass Siegfried Nagl damit als einziger Spitzenpolitiker wenigstens erkennen lässt, dass er die steten Anzeichen vermehrten politischen Desinteresses erkennt und bereit ist, darauf einzugehen. Zum anderen sind seine Vorschläge im Detail weitestgehend Symptombekämpfungen und zu wenig ursachenorientiert. Etwa kommt die Ankündigung regelmäßiger Volksbefragungen einer Kapitulation der Vertretungsdemokratie nahe. Wozu sonst, als über kommunale Problemstellungen zu entscheiden, schicken wir Vertreter in den Gemeinderat? Und für die (vermeintlich) populäre Idee einer Reduzierung von Gemeinderats- wie Stadtregierungsmitgliedern gilt Ähnliches. Logisch weitergedacht und nur dem Finanzdiktat untergeordnet, wären neun Gemeinderatsmitglieder noch effizienter als 48. Und warum erst ab 2013? Der Landtag, das entscheidungsbefugte Gremium, könnte das sofort beschließen.

Woran es krankt in den demokratischen Strukturen, sind die Nachwuchsbemühungen der Parteien. Erstklassige Politiker finden erstklassige Nachfolger, zweitklassige suchen sich drittklassige aus.

Bestens illustriert anhand unserer Justizministerin, die derzeit aufgrund des Generalprokuratur-Berichts zum BAWAG-Prozess allen Ortens zum Rücktritt aufgefordert wird. Was zutiefst ungerecht erscheint! Das (mögliche) Aufheben eines Urteils ist nicht Grund zum Rücktritt (als Ministerin) der in der Sache involvierten Richterin. Das wäre lediglich guter Beweis dafür, dass unser Justizsystem funktioniert. Claudia Bandion-Ortner hätte als Richterin eines der größten Prozesse der Zweiten Republik, solange dieser nicht rechtskräftig ist, gar nie Ministerin werden dürfen. Und noch viel weniger, weil sie das war!

Solange unsere Parteien sich nicht um moderne Listen-erstellungssysteme bemühen und in der Rekrutierung ihrer Spitzenrepräsentanten mehr Fingerspitzengefühl beweisen, bleibt Nagls Vorschlag, das politische Personal einfach zu verringern, verlockend. Oder wir verzichten gleich auf Wahlen und verändern die Demokratie hin zur Demarchie, in der Parlamentarier nicht gewählt, sondern per Los ermittelt werden (ähnlich dem Geschworenensystem in der Justiz). Viel schlechter würde es nicht werden.

Editorial, Fazit 67 (November 2010)

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