Politicks November 2010
Johannes Tandl | 23. November 2010 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 67, Politicks
Das Ende der Klientelpolitik? SPÖ und ÖVP fielen bei ihren Stammschichten durch Die Landtagswahl ist so ausgegangen, wie es die bmm-Umfrage für FAZIT prognostiziert hatte – also mit deutlichen Verlusten für die beiden „Großen“ und einer gesunkenen Wahlbeteiligung. Beide Parteien wurden von wesentlichen Teilen ihrer Stammklientel im Stich gelassen. Die ÖVP hat vor allem unter den Bauern und den aus dem Bauernstand hervorgegangenen Wählern verloren. Und das, obwohl sich die Partei mit großer Vehemenz für die Interessen der immer weniger werdenden Agrarier eingesetzt hatte. Auch dass Hermann Schützenhöfer den Bauern eine wichtige Rolle bei der neuen touristischen Neuausrichtung der Steiermark als Land der Kulinarik zukommen ließ, hat daran nichts geändert. Aber auch der SPÖ erging es in ihren Kernzonen nicht viel besser. In den industriell geprägten Städten der Obersteiermark mit ihrem immer noch hohen Arbeiteranteil und noch viel mehr bei den aus der Arbeiterschaft hervorgegangenen Wählern musste die Partei massive Verluste hinnehmen. Und das, obwohl Franz Voves vor der Wahl Einsparungen im Sozialbereich praktisch ausgeschlossen hatte.
Steiermark: SPÖ und ÖVP kooperieren Wie schon nach der Wahl 2005 haben sich SPÖ und ÖVP auf eine Regierungskooperation geeinigt. Sowohl Landeshauptmann Franz Voves als auch LH-Vize Hermann Schützenhöfer haben versichert, dass sie es diesmal wirklich ernst meinen mit der Zusammenarbeit. Aber auch sonst hat sich mit Ausnahme des Verlustes der Regierungsmehrheit für die SPÖ nicht allzu viel geändert. Gespannt sein darf man, ob es der gelernte Manager Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann schaffen wird, das Kulturressort auf Landesebene ähnlich erfolgreich zu führen wie vor einigen Jahren die Grazer Kulturagenden. Kristina Edlinger-Ploder steht bei den Spitälern vor einer kaum lösbaren Mammut-Aufgabe und Franz Voves hat mit dem Sport ein echtes Sonnenschein-Ressort dazubekommen. Für die Personalagenden ist nun statt Siegfried Schrittwieser wieder Hermann Schützenhöfer zuständig, was den überwiegend schwarzen Personalvertretern mit Sicherheit gefallen dürfte. Bettina Vollath untermauert ihre Bedeutung als SPÖ-Frontfrau mit dem wichtigen Finanzressort. Am wenigsten geändert hat sich für Elisabeth Grossmann und für Hans Seitinger. Damit ist der sympathische Agrarlandesrat heimlicher Gewinner der Regierungsbildung, wurden doch aus Bauernkreisen immer wieder gezielte Gerüchte ausgestreut, dass er wohl für den mächtigen Bauernbundobmann Fritz Grillitsch das Feld räumen müsse, weil der nun endlich in ein Regierungsamt gehöre.
Das Budget 2011 als Nagelprobe für Rot und Schwarz Die Frage, wie lange der Frieden zwischen Rot und Schwarz in der steirischen Landespolitik diesmal halten wird, ist angesichts des Überschriften-Papiers, auf das sich die SPÖ und ÖVP in der zugegeben engen Frist zwischen dem Wahltag und der Landtagskonstituierung einigen konnten, das eigentliche Thema dieser Tage. Denn sowohl Franz Voves als auch erst recht Hermann Schützenhöfer sind geschwächt aus den Wahlen hervorgegangen. Und beide werden gegenüber ihren Parteien in den nächsten Wochen und Monaten ihre politische Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Voves wird zeigen müssen, dass er kein Landeshauptmann von Schützenhöfers und Drexlers Gnaden ist, wenn es um harte Sparmaßnahmen geht, von denen er vor der Wahl den Sozialbereich unbedingt ausklammern wollte. Schützenhöfer wiederum kann es sich nicht leisten, bei der Budgetsanierung einzuknicken und so nachgiebig zu sein wie in den letzten Jahren. Vorläufig wird das alte Budget fortgeschrieben. Und der erste Knackpunkt dürfte bereits in der Dauer dieses Provisoriums liegen. Die neue Finanzlandesrätin Bettina Vollath wird Zeit benötigen, um einen tragfähigen Konsolidierungsplan, wenn möglich bereits für die gesamte fünfjährige Regierungsperiode, vorzulegen. Die Volkspartei wiederum wird verhindern wollen, dass das Provisorium auch nur um einen Tag länger dauert, als unbedingt nötig. Schließlich erhöht jeder Tag, um den das Sanierungsbudget 2011 später in Kraft tritt, das Defizit des Landes um etwa 2,4 Millionen Euro. Angeblich hätte das Provisorium bereits im Regierungsübereinkommen auf maximal drei Monate begrenzt werden sollen. Im präsentierten Papier ist darin jedoch nichts zu finden.
FPÖ-Chef Kurzmann: Endlich Aus für Placebo-Feinstaub-Politik Die Ankündigungen des neuen Umweltlandesrates Gerhard Kurzmann (FPÖ) haben vor allem bei den Gegnern des herrschenden Anti-Feinstaub-Regimes für Zustimmung gesorgt. Kurzmann will die Umweltzonen, mit denen älteren Fahrzeugen die Einfahrt in die Stadt Graz verboten worden wäre, verhindern. Angesichts der Tatsache, dass die Umweltzonen gemäß einer von der WK publizierten Studie nur eine marginale Feinstaubreduktion gebracht hätten, eine vollkommen richtige Entscheidung. Was das Verkehrsressort angeht, würde Kurzmann gut daran tun, die Politik von Kristina Edlinger-Ploder bezüglich des Ausbaus des öffentlichen und des Rad-Verkehrs fortzusetzen. Aber wahrscheinlich bleibt ihm angesichts des Diktates der leeren Kassen ohnehin kaum eine andere Möglichkeit.
Nagl: Reform statt Abrechnung Die Grazer ÖVP war nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Landtagswahl parteiintern unter Beschuss geraten. Als jedoch viele mit einer Abrechnung von Bürgermeister Siegfried Nagl für diese Vorwürfe rechneten, folgte eine strukturierte Manöverkritik. Der Grazer Bürgermeister äußerte sich kritisch über die Jubelbilder aus der VP-Zentrale am Wahlabend. Die hätten einen katastrophalen Eindruck hinterlassen. Was Nagl nicht sagte: Als die weiß-grün gewandete VP-Parteijugend ihren Spitzenkandidaten Hermann Schützenhöfer so euphorisch im Fernsehen bejubelte, war die Stimmung in der VP-Zentrale aufgrund parteiinterner Hochrechnungen tatsächlich noch auf einen Wahlsieg eingestellt. Und dieser Sieg wurde erst durch das schlechte Abschneiden der ÖVP in Graz verspielt.
Trotzdem hat Nagl mit seiner Einschätzung des Wahlabends völlig Recht: Beide Großparteien haben Stimmen verloren, und immer weniger Wähler können mit Parteien, die sich lieber gegenseitig schädigen als positiv zu punkten, etwas anfangen. Darüber hinaus tritt Nagl für das Ende der Schuldenpolitik ein: „Die Wähler haben erkannt, dass wir längst über den Rand des Finanzierbaren hinaus marschiert sind“, begründet er seine Forderung nach einer ausgeglichenen Haushaltspolitik. Für Graz bedeutet das, dass Nagl die Budgetziele des Jahres 2015 schon bis Mitte 2012 erreichen will, was wiederum heißt, dass der Grazer Konsolidierungskurs deutlich verschärft werden muss. Außerdem stellte Nagl fest, dass es den Wählern längst nicht mehr ausreiche, nur einmal alle fünf Jahre ein Kreuzerl zu machen. Nagl will daher in Zukunft die Wähler zu wichtigen Themen befragen. Konkret nannte er die Gestaltung des Mur-Raumes, den geplanten Stadtteil auf den Reininghaus-Gründen, die Haushaltskonsolidierung, Fragen zur Sicherheit und das immer wieder geforderte Bettelverbot als mögliche Abstimmungsthemen, was ihm jedoch den geharnischten Protest seiner grünen Koalitionspartner bescherte.
Josef Pröll und seine Frauen Was für ein Unlauf! Da drückt VP-Chef Josef Pröll seine Staatsekretärin Christine Marek gegen den smarten Alcatel-Generaldirektor Harry Himer als Wiener VP-Chefin und Spitzenkandidatin bei der Gemeinderatswahl durch, und die Wahl geht für die ÖVP genau so aus, wie es angesichts dieser Spitzenkandidatin und ihres patscherten Wahlkampfs zu vermuten war. Da holt Josef Pröll mit der Richterin Claudia Bandion-Ortner eine Dame auf die Regierungsbank, die ihre fünfzehn Minuten Berühmtheit mit dem BAWAG-Prozess Gott sei Dank schon hinter sich hatte und deren Urteilsbegründung, wie sich nun zeigt, in vielen Teilen so fehlerhaft war, dass der Prozess zum Großteil neu aufgerollt werden muss. Da drückt die ÖVP Oberösterreich mit Maria Fekter eine Innenministerin auf die Regierungsbank, die es kurz darauf mit ihrer Nacht- und Nebelaktion um ein Flüchtlingslager praktisch im Alleingang schafft, die Wahlchancen der burgenländischen ÖVP nachhaltig zu zertrümmern und die nun nach der Hin- und Herschieberei zweier albanischer Kinder die gesamte österreichische Ausländerpolitik als Willkürakte einer nicht rechtsstaatlichen Bananenrepublik dastehen lässt.
Gleichzeitig schert sich Pröll nicht um die katastrophale Situation auf den Hochschulen und bringt damit den letzten Pluspunkt seines weiblichen Regierungsteams, die Steirerin Beatrix Karl als Wissenschaftsministerin, in arge Bedrängnis.
Politicks, Fazit 67 (November 2010)
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