Politicks November 2011
Johannes Tandl | 28. November 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 77, Politicks
Reformpartnerprojekt Verfassungsreform
Mit einer umfassenden Änderung der Steirischen Landesverfassung wollen die selbst ernannten Reformpartner SPÖ und ÖVP ihr Demokratiepaket beschließen. Darin enthalten sind die Abschaffung des Proporzes bei der Zusammensetzung der Landesregierung und die Verkleinerung der Regierung von 9 auf 6 bis 8 Sitze. Auch der Landtag ist betroffen. Ihm werden ab der nächsten Wahl nur mehr 48 statt wie bisher 56 Abgeordnete angehören. Damit nutzt die Landesregierung den von der Bundesverfassung vorgegebenen Spielraum aus. Noch weiter gehende Änderungen, wie etwa die Personalisierung der Wahlrechts, wären demnach nur nach einer vorherigen Änderung der Bundesverfassung möglich gewesen, welche aufgrund der Blockadepolitik der Bundeskoalition jedoch nicht zu erwarten ist. Auf Schiene gebracht wurde die Verfassungsreform von den Obleuten der Landtagsklubs Walter Kröpfl und Christopher Drexler. Highlight der Reform ist die Abschaffung des Regierungsproporzes, denn damit nehmen sowohl SPÖ als auch ÖVP ein beachtliches Risiko auf sich. Schließlich besteht erstmals seit 1945 die konkrete Möglichkeit, dass eine der beiden Parteien der nächsten steirischen Landesregierung nicht mehr angehören wird, weil sich andere Mehrheiten ergeben.
Der Reformeifer von SPÖ und ÖVP ist zwar ungebrochen, aber was passieren wird, wenn einer der beiden Chef-Reformpartner, Landeshauptmann Franz Voves oder sein Vize Hermann Schützenhöfer, in absehbarer Zukunft die Politik verlassen wird, ist nicht vorherzusehen. Bis vor wenigen Wochen sind einige Insider sogar davon ausgegangen, dass es sowohl Voves als auch Schützenhöfer 2015 noch einmal versuchen könnten. Inzwischen mehren sich jedoch die Anzeichen, dass Franz Voves mit zwei erfolgreichen Wahlen genug hat. Und sobald ein Wechsel an der SPÖ-Spitze stattfindet, ist auch mit einem Wechsel an der ÖVP-Spitze zu rechnen. Aber auch unter solchen Voraussetzungen könnte es zu einer Verlängerung der rot-schwarzen Zusammenarbeit kommen, denn wenn nicht etwas wirklich Außergewöhnliches geschieht, bestünden sämtliche arithmetische Alternativen aus Dreiparteienkoalitionen.
SPÖ-Mitgliederbefragung
Mut beweist die steirische SPÖ mit einer Mitgliederbefragung, bei der auch einige heiße Eisen abgefragt werden. So können die SPÖ-Mitglieder unter anderem die Performance der Reformpartnerschaft bewerten, nachdem es in erster Linie die SPÖ-Kernklientel war, die im Frühjahr gegen den angeblichen Sozialabbau durch die Koalition demonstrierte.
Für Landesgeschäftsführer Toni Vukan ist die Einbindung der Parteimitglieder dennoch eine Selbstverständlichkeit: „Ich bin überzeugt davon, dass ein derart großer Veränderungsprozess, wie er jetzt in der SPÖ beginnt, unter größtmöglicher Beteiligung aller Betroffenen erfolgen soll.“ Mit der Parteistrukturreform sticht die SPÖ in ein weiteres Wespennest. Abgefragt werden soll, ob die künftigen Parteistrukturen der steirischen Roten an die neuen regionalen und kommunalen Strukturen der Steiermark angepasst werden sollen, denn obwohl die Gemeindestrukturreform vor allem die ÖVP in Schwierigkeiten zu bringen droht, haben sich auch zahlreichen SPÖ-Funktionäre negativ zu den kommunalen Fusionsplänen geäußert.
Androsch startet Bildungsvolksbegehren
Von 3. bis 10. November findet die Eintragungswoche für das Bildungsvolksbegehren statt und Initiator Hannes Androsch rührt kräftig die Werbetrommel. (Siehe dazu auch unser aktuelles Fazitgespräch ab Seite 22.) Für Androsch ist das Bildungsthema wichtiger als das Verteilungsthema, denn wenn der Staat es mit 60 Prozent der Budgetausgaben nicht schaffe, die Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, mache er etwas falsch.
Der Finanzminister der Kreisky-Ära und erfolgreiche Industrielle Androsch sieht die Verbesserung unseres Bildungssystems als Schlüssel zur Durchsetzung einer besseren Chancengleichheit, Armutsbekämpfung und Optimierung des österreichischen Wirtschaftsstandortes. Während die Grünen und die SPÖ das Androsch-Begehren unterstützen, haben die ÖVP-Regierungsmitglieder bereits angekündigt, nicht zu unterschreiben. Der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer hingegen hat das Volksbegehren begrüßt, weil es aufrüttle, selbst wenn er persönlich nicht alle Punkte vollinhaltlich unterstützen könne. Hintergrund der skeptischen Haltung der Volkspartei ist der anhaltende Widerstand der VP-dominierten AHS-Lehrergewerkschaft gegen eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-jährigen. Offensichtlich herrschen innerhalb der Lehrerschaft immer noch Standesdünkel vor, denn die universitär gebildeten AHS-Professoren wollen nicht mit den formal schlechter qualifizierten Hauptschulpädagogen in einen Topf geworfen werden. Außerdem spricht sich Androsch flächendeckend für Ganztagsschulen mit ordentlich ausgestatteten Ganztagesarbeitslätzen für die Lehrer aus. Anstatt diesen wichtigen bildungspolitischen Schritt zu begrüßen, verweigern die AHS-Lehrer aber auch diesbezüglich. Wenn Androsch sich durchsetzt, wäre es wohl mit der nur halbtägigen Anwesenheitspflicht in der Schule vorbei.
Streit um Umweltanwältin
Mit seiner Forderung, die Umweltanwaltschaft des Landes Steiermark abzuschaffen und sämtliche weitere vom Land finanzierte Anwaltschaften und Ombudsmänner zu evaluieren, hat Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann Kritik provoziert. Vor allem die Grünen protestierten massiv. Neoklubchefin Sabine Jungwirth unterstellte Buchmann, die Umweltanwaltschaft nur deshalb beseitigen zu wollen, weil Landesumweltanwältin Ute Pöllinger einen guten Job mache. Ohne sie könne die Wirtschaft zubetonieren und Abgase in die Luft blasen, ohne auf den Erhalt einer intakten Umwelt Rücksicht nehmen zu müssen. Aus der Sicht von Buchmann stellt die Umweltanwaltschaft hingegen eine bürokratische Hürde dar, durch die sich die Verfahren in die Länge ziehen und die deshalb der Planungssicherheit bei Investitionen entgegensteht.
Studiengebühren: Töchterle düpiert SPÖ
Viel Applaus von den Befürwortern von Studiengebühren erntete Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle für die Art und Weise, mit der er die Abschaffung der Studiengebühren vermeintlich aushebelte. Der Verfassungsgerichtshof hatte im Juli erkannt, dass der der Abschaffung zugrunde liegenden Nationalratsbeschlusses unvollständig ist, und dem Gesetzgeber daher bis Ende Februar 2012 eine Nachbesserungsfrist eingeräumt.
Verfassungsjurist Heinz Mayer hat nun in einem von Töchterle beauftragten Gutachten festgestellt, dass die Universitäten aufgrund ihrer Autonomie jedenfalls zur Einhebung von Studiengebühren berechtigt seien, solange es kein anders lautendes Gesetz gäbe. Daraufhin ließ auch eine Expertise des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes nicht lange auf sich warten. Das Ergebnis: Die Autonomie der Universitäten umfasse keinesfalls auch das Recht, Studiengebühren einzuheben. Damit setzt sich der Streit wahrscheinlich bis zu einem neuerlichen Erkenntnis des Höchstgerichtes fort.
Der Umgang mit dem Problem der Studienfinanzierung entwickelt sich immer mehr zu einem Sittenbild für den Zustand der Koalition. Ein im Vergleich zu den echten Baustellen des Landes etwa im Bildungs-, Verwaltungs- oder Pensionsbereich völlig belangloses Problem wird zur ideologischen Grundfeste zweier ehemaliger Volksparteien aufgebauscht. SPÖ und ÖVP wollen immer noch nicht begreifen, wie gering ihre Legitimation beim Wähler bereits geworden ist.
Strategie der Reformpartnerschaft
Die Geschlossenheit der steirischen Reformpartnerschaft macht es für die Oppositionsparteien nicht einfach. Denn FPÖ, Grüne und KPÖ wollen beim Wähler nicht als Reformverweigerer gelten. Und darauf fußt auch die Strategie von SPÖ und ÖVP. So war etwa die Empörung der von den Sparmaßnahmen im Sozialbereich betroffenen Institutionen groß. Doch trotz aller Proteste und Demonstrationen: Bei einem anschließenden Sozialgipfel wurde ein Kompromiss mit dem ÖGB und der „Plattform 25“ gefunden, bei dem sich die Reformpartner zu 90 Prozent und der ÖGB und die „Plattform 25“ nur zu etwa 10 Prozent durchsetzen konnten. Nachdem er Tausende Menschen für Demonstrationen mobilisiert hatte, konnte der ÖGB nämlich gar nicht anders, als diesen einseitigen Kompromiss als großen Erfolg zu verkaufen. Denn wenn die Funktionäre ihren Mitgliedern eingestanden hätten, dass die Proteste wirkungslos verpufft sind, wäre wohl ihre Legitimation gefährdet gewesen.
Bei der Gemeindestrukturreform verfolgt die Regierung nun eine etwas andere Strategie. Nachdem der Widerstand gegen Zwangsreformen besonders aus den eigenen Reihen so groß geworden war, dass er das Gefüge der Parteien zu sprengen drohte, wurde der Ball in Kenntnis der Befindlichkeit der roten und schwarzen Basisfunktionäre an die Bürgermeister zurückgespielt. Diese haben nun einige Wochen lang Zeit, um selbst Reformvorschläge zu erarbeiten. Den Bürgermeistern bleiben damit zwei Möglichkeiten:
Sie können mitspielen und gegen ihren Willen Reformvorschläge erarbeiten, um so wenigstens einen Teil ihrer Interessen zu wahren.
Die Mutigeren können die Frist nützen, um ihren Widerstand mithilfe der Bevölkerung zu organisieren.
Doch die meisten Bürgermeister werden sich für eine dritte Option entscheiden und die Flinte ins Korn werfen, weil sie keine echte Chance sehen, sich gegenüber dem entschlossenen Vorgehen von Voves und Schützenhöfer durchzusetzen.
Politicks, Fazit 77 (November 2011)
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