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Dosen, Brot und Spiele

| 25. Mai 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 83, Fazitthema

Die Wirtin schaut drein, als hätte sie die gähnende Leere ihres Gasthauses schon mit dem einen oder anderen Bier betäubt. Nur zwei Kartenspieler haben sich in das geräumige Wirtshaus nahe dem Seckauer Stift verirrt.

Werktags kommen sich weder die Familien vom Ausflug stärken noch die Touristen von der Besichtigung. Aber die Schnitzel sind groß und gut, und es sind die einzigen, weil rund-herum kein Lokal geöffnet hat. Doch die trügerische Ruhe soll bald vorbei sein, denn auch in Seckau will man von den großzügigen Investitionen des Dietrich Mateschitz profitieren: »Des is schon gut, was der macht.« Der Red-Bull-Ring, dessen Eröffnung letztes Jahr gefeiert wurde, liegt zwar zwölf Kilometer entfernt, aber auch hier ist bekannt, was sich gerade alles ändert. Der alte Hofwirt am anderen Ende der Straße ist derzeit wegen Umbauarbeiten geschlossen. Ein weiteres Hotel soll dort entstehen, ein weiteres neben den zahlreichen Hotels, die schon jetzt in der Nähe der Rennstrecke und in den umliegenden Gemeinden stehen.
Seckau ist nur einer von vielen kleinen Orten, die von den großen Strukturmaßnahmen profitieren sollen. Zeltweg, Knittelfeld, Fohnsdorf – die alte Eisenbahnerregion kann neue Projekte und Arbeitsplätze gut gebrauchen. Mit viel Geld wird in den schrumpfenden Regionen wieder etwas aufgebaut und keiner kann so recht wissen, ob sich die Landflucht mit großen Investitionen aufhalten lässt. 70 Millionen sind es bei »Spielberg Neu« in der Obersteiermark und der Glaube daran, dass sich all das wirklich lohnt, soll durch wissenschaftliche Studien gestärkt werden.

Die schwere Wiedergeburt einer Rennstrecke
Die neuen Hotels sind nicht das einzige Zeichen der Veränderungen, die das Projekt »Spielberg Neu« mit sich bringt, bringen soll und bringen wird. Wie könnte es auch anders sein bei einem Projekt, das so viel Vorlaufzeit gebraucht hat? Der ursprüngliche Plan, einen 750 Millionen schweren Industriestandort rund um den abgerissenen Österreich-Ring zu etablieren, ist nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und lautstarken Anwohnerprotesten wieder gekippt worden. Damals wollten noch große Player wie Magna, Volkswagen und KTM mit an Bord sein. Den zweiten Anlauf im Jahr 2005 wagte dann allein Dietrich Mateschitz mit seiner Stiftung und dem Red-Bull-Imperium im Hintergrund. Und er fand im damals neu gekürten Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann einen freundlich gesinnten Unterstützer in der Politik. Alles wurde eine Nummer kleiner geplant, aber das Projekt »Spielberg Neu« ist immer noch ganze 70 Millionen schwer. Davon zahlte das Land bisher immerhin neun Millionen und schöpfte damit den gesetzlichen Rahmen für solche Förderungen voll aus. Die entsprechende EU-Richtlinie sieht vor, dass die ersten 50 Millionen mit 15 Prozent gefördert werden können, was darüber hinaus ausgegeben wird nur noch mit maximal 7,5 Prozent.

Viel Lärm um den Lärm
Doch damit war es nicht genug. Weil einige der unmittelbaren Anrainer bereits genug vom Lärm des nahen Militärflugplatzes in Zeltweg hatten und weil vor allem Karl Arbesser vor seinem Schloss nicht auch noch eine Rennstrecke hören wollte, musste das Land (und damit der Steuerzahler) eine weitere UVP für 4,5 Millionen Euro finanzieren. In deren Folge wurden laut Zahlen von ORF und Kleiner Zeitung Entschädigungen in Höhe von 2,9 Millionen Euro an betroffene Anlieger gezahlt und der heftigste Projektgegner bekam eine Stelle als Ombudsmann, die mit jährlich 45.000 Euro dotiert ist. In dieser Funktion misst Arbesser die Lärmbelastung, die durch Flugplatz und Rennstrecke entsteht und dafür hat er sich anfangs eine eigene Messstation gekauft, weil jene der Red-Bull-Gesellschaft keine direkten Rückschlüsse auf die Lärmquelle zulässt. Jetzt betreibt das Land selbst eine solche Anlage etwa 200 Meter neben der Rennstrecke. Für das Jahr 2011 sind zwar von Seiten des Landes keine Überschreitungen gemessen worden, aber die Zahlen von Karl Arbesser sagen etwas anderes. Demnach lag die Durchschnittslautstärke um 0,9 Dezibel über dem gesetzlich zulässigen Jahresdurchschnitt von 61 Dezibel. Schuld daran waren aber nicht etwa die Bauarbeiten am Ring oder etwaige Rennen, sondern die Veranstaltung der Airpower auf dem Flugplatz in Zeltweg. Insgesamt darf der Ring natürlich Lärm machen. Und zwar an maximal 85 Tagen pro Jahr. Geplant waren aber ursprünglich 105 Renntage, um eine entsprechende Auslastung des Rings zu gewährleisten. Jetzt muss man sich an die Vorgabe der UVP halten, denn jeder zusätzliche Tag, an dem der Lärmmesser Alarm schlägt, kostet die steirische Landeskasse 15.000 Euro.

Doch der Lärm ist inzwischen zum kleinen Übel geworden, die Landesgesellschaft »Spielberg Neu« versucht die Interessen von Anrainern und Betreibern auf einen Nenner zu bringen und tut dies auch mit zunehmendem Erfolg. So wurde neben der doppelten Lärmmessung, durch den Betreiber Red Bull einerseits und den Ombudsmann andererseits, auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung für den Zubringer zum Ring durchgesetzt und ein Tag der offenen Tür für unmittelbare Anlieger veranstaltet. Damit scheinen sich die akustischen Probleme der meisten Anwohner zu verflüchtigen. Die politisch und wirtschaftlich relevantere Frage ist, ob sich die Investitionen des Landes lohnen und auch finanziell auszahlen. Das erste Jahr kann darüber noch keinen wirklichen Aufschluss geben, ebenso wie die leeren Gasthäuser und Hotels im Moment darüber hinwegtäuschen, ob und wie sich das Projekt in der Region rentiert.

Zahlen sich die Investitionen aus? Und für wen?
Die Fördersumme des Landes beläuft sich offiziell auf neun Millionen – das ist alles, was gesetzlich möglich war. Dazu kommen die etwa 7,5 Millionen für UVP und Anrainerentschädigungen. Laut eigenen Schätzungen verspricht sich das Land Steiermark dafür annähernd 780 zusätzliche Arbeitsplätze und eine jährliche Wertschöpfung von 41 Millionen Euro. Diese Zahlen stammen aus einer Untersuchung des International Central European Institute (icei) aus Wien, dessen Leiter Florian Schwillinsky diese Studie im Auftrag von Landesrat Buchmann durchgeführt hat.

In dieser geht Schwillinsky von 70 Millionen Euro Investition beim Red-Bull-Ring und noch einmal 70 Millionen für Tourismusprojekte wie unter anderem die Hotels Schönberghof, Enzingerhof, Steirerschlössl und Schloss Thalheim aus. Allein die Bauinvestitionen sollen kurzfristig über 1.000 Arbeitsplätze und eine Nachfrage im Rahmen von 140 Millionen Euro gebracht haben. Langfristig verspricht die Studie eine jährliche Wertschöpfung von 41 Millionen Euro und 800 Arbeitsplätze. Größter Profiteur neben den Unterhaltungs- und Sportbetrieben soll der umliegende Tourismus sein. Dass Mateschitz dabei selbst einige Hotels betreibt, gehört zur Win-Win-Rechnung des gebürtigen Mürztalers dazu – er verspricht sich davon offenbar so viel, dass er für die Investitionen im touristischen Bereich nicht einmal Fördergelder beantragt hat.

Das Land darf nach der erfolgreichen Inbetriebnahme auf höhere Steuereinnahmen hoffen: 10,5 Millionen Euro werden laut Studie jährlich erwartet. Da Mehrwertsteuer und Umsatzsteuer direkt an den Bund gehen, ist dieser aber der Hauptprofiteur, für Land und Gemeinden sollen immerhin noch 1,9 Millionen Euro jährlich bleiben. Eindeutig überprüfbar sind solche Zahlen kaum. Wer kann sagen, ob das Schnitzel in Seckau nun von Besuchern des Red-Bull-Rings oder des Klosters gegessen wurde?

Und auch sonst kann sich das Land nicht auf den Gewinn verlassen. Sollten nämlich Kosten für die Instandhaltung der Asphaltstrecke oder Lärmüberschreitungen fällig werden, sind diese Einnahmen schnell wieder aufgebraucht. Denn aus der alten Vertragsklausel, nach der bei nicht stattfindenden Formel-1-Rennen 1,45 Millionen Euro vom Land an die Red-Bull-Betreibergesellschaft fließen, wurde eine andere Klausel, die auch weiterhin Landesförderungen möglich machen soll: Weil die Asphaltstrecke des Rings im Gegensatz zum Grundstück, auf dem sie liegt, dem Land gehört, soll dieses auch für deren Instandhaltung aufkommen. Gegen Rechnungslegung können so Kosten bis zu maximal 1,45 Millionen Euro geltend gemacht werden. Im letzten Jahr sollen diese Gelder aber laut dem Büro von Landesrat Buchmann nicht genutzt worden sein. Ein erfolgreiches Projekt scheint es also vor allem für Dietrich Mateschitz und seinen Red-Bull-Konzern zu werden. Denn die Dose mit dem Energydrink hat nicht nur ermöglicht, dass eine solche Investition in Mateschitz‘ alter Heimat möglich ist, sondern der Konzern soll davon auch profitieren. Und dazu gehört auch der nicht zu unterschätzende Marketingeffekt. Dem kann man sich an keiner Stelle des Rings entziehen. Nicht einmal bei den zahlreichen kleinen Veranstaltungen, die regelmäßig auf dem Gelände der Rennstrecke stattfinden. Zum Beispiel hat der steirische Autocluster heuer seine alljährliche Tagung in den Räumen veranstaltet, in denen sonst die VIP-Zuschauer der Auto- und Motorradrennen den Start verfolgen. Mit Red Bull hat diese Veranstaltung nichts zu tun, aber während draußen ein kleines Oldtimerrennen stattfindet, werden drinnen Getränke verteilt: »Wasser, Carpe Diem oder aus dem eigenen Haus: ein Red Bull«, erklärt die freundliche Service-Dame. Dabei ist nicht ganz klar, ob sie es nur nicht sagen will oder ob sie gar nicht weiß, dass auch Carpe Diem zum Mateschitz-Konzern gehört und selbst das stille Mineralwasser mit dem Logo der zwei Bullen versehen ist.
Worst Practice: Nürburgring
Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten bleibt es auch nur, wenn alles gut geht. Erfolgsversprechende Studien gab es nämlich auch immer wieder für den berühmten Nürburgring in Deutschland. Doch dort fliegt der Eigentümergesellschaft und dem Land gerade alles um die Ohren, was 1927 als ambitioniertes Projekt begann. Trotz kontinuierlicher Besuche durch die Formel 1, zuletzt im jährlichen Wechsel mit dem Hockenheimring, blieb der erhoffte Gewinn aus. 2004 und 2005 sollen die Formel-1-Rennen jeweils Verluste von rund neun Millionen Euro verursacht haben. Auch die alternativen Nutzungsversuche als Erlebnispark blieben bis jetzt erfolglos und kosteten sowohl den Hauptgeschäftsführer als auch den Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz ihre Posten. Die Betreiber zahlten in den letzten Jahren ihre Pacht nicht mehr an die Landesgesellschaft und von den geschaffenen Arbeitsplätzen müssen knapp 100 Stellen gestrichen werden. Ein Millionengrab, über das viele nur noch den Kopf schütteln.

All das sollte den Betreibern des Red-Bull-Rings und den Verantwortlichen des Landes eine Mahnung sein. Auch wenn die Unterschiede zwischen Nürburgring und Spielberg deutlich sind. Denn während in Deutschland vor allem das Land versucht hat, dieses Projekt zu etablieren, ist es in der Steiermark vor allem ein Privatunternehmen, das im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten vom Steuerzahler gefördert wird. Ein lebendiges Warnsignal ist außerdem Walter Kafitz, der ehemalige Geschäftsführer der Nürburgring GmbH. Er ist jetzt am Red-Bull-Ring in ähnlich entscheidender Funktion als »Head of Marketing & Sales« tätig. Bislang zumindest scheint die »bescheidenere« Rennstrecke Spielberg profitabel wirtschaften zu können. Der Standort ist vor allem auf kleinere Events ausgerichtet und schaffte es so, durch Kontinuität zu überzeugen. Ein klärender Einblick in die Bilanzen des Betreibers ist nicht zu bekommen, aber im ersten Jahr seines Betriebs konnte der regionale Tourismusverband über 40 Prozent mehr Nächtigungen zählen. Mit der DTM im Juni und Hubert von Goisern im Juli kommen heuer auch wieder einige Großereignisse in die Region und es wird sich zeigen, wie viele Gäste diese Events diesmal in die Steiermark locken können. Für den ganz großen und ganz geheimen Traum von der Formel 1 ist die Rennstrecke aber noch nicht tauglich. Sowohl Marketingchef Kafitz als auch Mateschitz leugnen alle Ambitionen, in naher Zukunft ein Formel-1-Rennen in Österreich veranstalten zu wollen. Dafür müsste zumindest einmal die Start-Ziel-Gerade aufgerüstet werden, die bis dato noch keine durchgehende Zuschauertribüne hat.

Doch schon daran könnte das ganze Vorhaben scheitern, denn durch den Bescheid der UVP ist die Besucherzahl des Rings limitiert. Das Problem sind also nicht die fehlenden Sitze, die sich angeblich innerhalb einer Woche nachrüsten lassen, sondern die nötige Neuverhandlung der maximalen Besucherzahlen. Auch aus diesem Grund setzt der Ring wohl vor allem auf Kontinuität mit nur einigen wenigen großen Ereignissen. Denn was ein Event wie das DTM-Rennen für Diskussionen mit sich bringt, kann man aktuell verfolgen. Während Landesrat Buchmann den Militärflughafen Zeltweg dafür gern auch zivilen Flugzeugen öffnen möchte, lehnt der zuständige Verteidigungsminister Norbert Darabos dieses Anliegen ab. Und so sorgen solche Kleinigkeiten wohl auch künftig für Sand im Getriebe des sonst gut geölten Spielberg-Betriebs.

Titelgeschichte Fazit 83 (Juni 2012)

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