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Zur Lage (48)

| 25. Mai 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 83, Zur Lage

Über eine Heiligkeit, die Lage der Nation, über eine Revolution für Österreich und die Piraten. Und über die bösen Banken.

»Wir sind extra aus München gekommen, um den Dalai Lama zu erleben. Ich kann seine Forderung, dass alle Menschen viel toleranter miteinander umgehen sollen, nur unterstreichen.« Dieses kurze und umso besinnlichere Interview der 55-jährigen Hanna in der katholischen Tageszeitung »Kleine Zeitung« hat mich beeindruckt. Mehr Toleranz! Wieso hört man das nie bei uns? Von unseren Würdenträgern, vom Papst zum Beispiel. Die Lage der Nation ist wahrlich eine beschämende. Das hat Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger letzten Montag um zehn herum den 1200 wichtigsten ÖVPlerinnen und ÖVPlern in seiner »Rede zur Lage der Nation« hoffentlich kundgetan. Sicher kann ich mir nicht sein, weil im Unterschied zu den 1200 wichtigsten Verantwortungsträgern musste ich leider, das ist bei mir doch tatsächlich wenigstens am Montag die Regel, was arbeiten. Egal. Die Lage der Nation. Jedenfalls Frank Stronach sieht die offenbar ähnlich angespannt, wenn nicht angespannter als ich: Ruft er doch via Österreichs führenden Qualitätsmedien (»Kronen Zeitung« und »Heute«) eine »Revolution für Österreich« aus.
Zumindest als Titel des Flugblattes seines Frank-Stronach-Instituts. Ich darf Ihnen dieses Flugblatt ans Herz legen und hier kurz die wesentlichen Forderungen Stronachs zusammenfassen: »Politiker durch Nichtpolitiker ersetzen« (klingt irgendwie unterhaltsam), »Demokratie stärken« (immer ein Bringer, wer will das nicht?) und »Weniger Verwaltung« (voll im Trend, unser austrokanadischer Tycoon). Klassische Nichtpolitiker-Politik also. Ich werde mir dieses Institut und dessen Engagement die nächsten Monate sicher genau anschauen, vielleicht wird das ja was. Auch genau anschauen werd ich mir die steirischen Piraten, die sich dieser Tage als echte Partei konstituiert haben, mit richtigem Parteitag und so. Was im Übrigen fast ein bisserl »old school« erscheint; hätte mir da von den Piraten mehr erwartet.
Außerdem, ich gestehe, halten sich meine Sympathien für eine nach einer – bei aller Freibeuterromantik – kriminellen Organisation benamsten Gruppierung doch in überschaubaren Grenzen. Diese Alles-Checker aus dem Internet haben eine in letzter Konsequenz dann doch zu vereinfachte Sicht der Dinge. Noch dazu erscheinen mir viele Piraten mit zu wenig Selbsteinschätzungspotenzial versehen zu sein. Es ist sicher ungeheuer unfair, aber mir graut vor allzu technikaffinen, mitten im Studium steckenden Enddreißigern, die frühmorgens um zwölf beim Frühstück auf Twitter erstmals von der US-amerikanischen Wirtschaftskrise der 1890er-Jahre hören, um dann einen ausgiebigen Nachmittag mit dem über diese Krise informierenden Wikipedia-Artikel zu verbringen, nicht ohne diesen Artikel um wichtige Schlagwörter wie »Kapitalismus«, »Vorherrschaft der weißen Rasse« und »Schuld der ÖVP« zu ergänzen. Um dann abends via Blogeintrag ein perfektes Konzept zu präsentieren, wie diese Wirtschaftskrise hätte verhindert werden können, warum die Regierung schuld daran war und wieso jedes von einem gewählten Parlament verabschiedete Gesetz überhaupt und insgesamt verabscheuungswürdig ist. Offenbar dauert das noch ein bisserl, bis ich warm werd mit den Piraten.
Und sonst? Karl-Heinz Grasser ist noch immer nicht angeklagt, hat aber dafür eine wirklich geile Penthousewohnung in Wien zu verkaufen. Nicht dass Sie jetzt glauben, er rechnete bereits mit einer mehrjährigen öffentlichen Unterkunft, nein, ganz im Gegentum, die Familie Grasser-Swarovski wolle lediglich mehr Zeit in Kitzbühel, am Wörthersee und auf Capri verbringen. Würd ich auch so machen. Und, genau, Facebook ist an die Börse gegangen!
Dieser Werbetafelaufsteller im Internet ist jetzt doch tatsächlich mehr wert als Deutsche Bank, Mercedes-Benz (oder überhaupt die Daimler AG, hab ich vergessen, spielt aber keine Rolle) und Adidas zusammen. Ich finde das super. Alle finden das super. Vor allem auch die vielen netzkritischen Bankenbasher im Internet (Occupy Bankenviertel usw.). Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Weil alle, die jetzt Facebook-Aktien kaufen und damit diesen fantastrillionischen Wert des Unternehmens festlegten, setzen ja darauf, man könnte auch schreiben, »wetten« darauf, dass es immer genug Nachfragende gibt. Und wenn es die dann irgendeinmal – Gott behüte – nicht mehr geben sollte, dann ist deren Geld gar futsch. Aber, das vergess ich immer, das macht dann ja nichts: Daran sind dann ja die bösen Banken schuld. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine große Koalition dem Lande nicht nutzen kann.

Zur Lage #48, Fazit 83 (Juni 2012)

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