Tandl macht Schluss!
Johannes Tandl | 26. Juni 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 84, Schlusspunkt
Es geht steil bergauf! Aber wir können es schaffen!“ Mit diesem Bonmot beschreibt ein lieber Kollege gerne seine eigene Befindlichkeit und die seines persönlichen Umfelds. Da ich plakative Ansagen liebe, habe ich schon oft darauf zurückgegriffen, um in wenigen Worten die Entwicklung der Europäischen Integration zu beschreiben. Nach einigen spannenden Tagen in Brüssel bin ich jedoch zur Überzeugung gelangt, dass ich mir eine andere „Wuchtel“ suchen muss, um die Lage unseres Kontinents einer Blitzanalyse zu unterziehen. In einer „Off-Records-Paneldiskussion“, in der ein EU-Kommissar, einige Lobbyisten und eine Handvoll Journalisten über Europa redeten, warf der Chefanalytiker eines führenden europolitischen Thinktanks ein, dass die wirtschaftlichen Folgen des immer unausweichlicher scheiternden Euro gar nicht unser Hauptproblem seien, sondern, dass als nächster Schritt der Zusammenbruch der EU unausweichlich sei.
Mein erster Gedanke war: Schon wieder einer, der ganz gut davon lebt, dass er solche Horrorgeschichten verbreitet. Ich kannte den Mann schließlich nicht persönlich, sondern nur als Gastkommentator diverser europäischer Printtitel. Da es zu den Spielregeln eines solchen Gespräches gehört, „aus Gründen der offenen Gesprächskultur“ niemanden zu zitieren, muss ich Ihnen seinen Namen leider vorenthalten.
Was mich entsetzte, war daher nicht einmal das, was dieser Experte von sich gab, sondern der Fatalismus, mit dem sein Standpunkt von allen anderen Diskutanten akzeptiert wurde. Meine hoffnungslose eigene Conclusio: In Brüssel hat man bereits akzeptiert, dass derzeit niemand die Kraft hat, die bekannten Konstruktionsfehler des Euro, in dem kurzen Zeitfenster, das bis zum Finanzgau von Spanien, Italien und Frankreich bleibt, zu lösen.
Frau Merkel ist selbstverständlich klar, dass ein Währungsverbund wie der Euroraum nur weiter bestehen kann, wenn ein Transfermechanismus geschaffen wird, der jenes wirtschaftliche Auseinanderdriften zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden stoppt, das wir nun seit Einführung der Gemeinschaftswährung erleben. Auch in Deutschland kann nur der Finanzausgleich verhindern, dass die Starken immer stärker und die Schwachen immer schwächer werden. Anders hätte das Land auch die Wiedervereinigung niemals stemmen können. Und unter den 16 deutschen Bundesländern gibt es mit Bayern, Hessen und Baden-Württemberg nur mehr drei namhafte Nettozahler, die zwar über jeden Euro, den sie etwa nach NRW oder an die Stadt Berlin zahlen müssen, aufstöhnen, denen aber dennoch völlig klar ist, dass es ihnen ökonomisch wesentlich schlechter ginge, wenn sie ihre Wirtschaft nicht mit Aufträgen aus den Empfängerländern auslasten könnten.
Und auch Frankreichs Präsident François Hollande weiß genau, dass er zwar eine Zeit lang seine Mehrheit, niemals jedoch Frankreich oder gar Europa retten kann, wenn er Strukturreformen, wie sie in Deutschland mit der Agenda 21, ausgerechnet von einer linken Regierung, vorexerziert wurden, weiter hinauszögert. Deutschland wiederum kann einer Transferunion nur zustimmen, wenn garantiert ist, dass die EU-Mittel in Zukunft – anders als heute – nicht in einer ineffizienten Verwaltung, einem überteuerten Pensionssystem oder schlicht und einfach in den Taschen einer korrupten politischen Klasse „versumpern“. Da alles andere für die deutsche Regierung einem politischen Selbstmord gleichkäme, muss sie für jeden Euro, der in Zukunft in die Länder des europäischen Club Méditerranée geht, Strukturen einfordern, die dort die Wirtschaft wachsen und die Haushaltsabgänge schrumpfen lassen. Für italienische, spanische und erst recht französische Politiker käme es dem politischen Untergang gleich, wenn sie etwa im Zuge der Schaffung einer Fiskalunion – also eines europäischen Bundesstaates – Souveränitätsrechte nach Brüssel abtreten würden, während Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke weitgehend unangetastet bliebe.
Europa befindet sich in einer Situation, die sich analytisch Zug um Zug recht einfach lösen ließe. Historische Vorurteile, Stolz, aber auch Nationalismus blockieren jedoch jeden sinnvollen Kompromiss. Denn ein Politiker, der wiedergewählt werden will, darf viel, aber niemals sein Gesicht verlieren. Und so muss ich mir für jene, die ähnlich gestrickt sind wie ich und auf schnelle pointierte Analysen komplexer Sachlagen stehen, ein neues Bonmot suchen. Wie wäre es mit: „Gestern noch stand Europa vor dem Abgrund! Es setzt gerade zu einem gewagten Schritt nach vorne an!
Tandl macht Schluss, Fazit 84 (Juli 2012)
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