Zum Thema (Fazit 85)
Johannes Tandl | 27. Juli 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 85, Fazitthema
Wenn die Politik die Entscheidung verweigert … Warum fällt uns der Umgang mit der direkten Demokratie bloß so schwer? Ist es unsere belastete Vergangenheit, die uns als Volk, das sich schon einmal mehrheitlich zu einer schrecklichen Diktatur verleiten ließ, daran hindert, zu viel ungefilterte Macht in die Hand zu nehmen? Oder fürchtet die politische Klasse um ihren Einfluss? Direkte Demokratie ist jedenfalls nur ernst zu nehmen, wenn das Volk und nicht die gewählte Politik darüber entscheidet, worüber abgestimmt werden darf. Das verpflichtende Plebiszit nach einem Volksbegehren mit entsprechender Unterstützerzahl wäre dazu ein geeigneter Weg. Aber wollen wir das wirklich? Müssen wir uns nicht davor fürchten, dass wir mit verpflichtenden Volksabstimmungen ein Instrument schaffen, das es populistischen Parteien à la FPÖ ermöglicht, sich mit dem Rückenwind des „gesunden Volksempfindens“ Mehrheiten für dumpfe und möglicherweise diskriminierende Anlassgesetze zu sichern? Doch nicht nur Parteien, auch Interessengruppen oder Einzelpersonen mit Geld und starkem Sendungsbewusstsein könnten sich womöglich ein Plebiszit erkaufen. Ob diese Ängste begründet sind, wird man wohl nur herausfinden, wenn man das Risiko der direkten Demokratie eingeht. Selbst wenn deren Schwächen offenkundig sind: Komplexe Themen, die niemanden berühren, sind für direktdemokratische Entscheidungen untauglich, weil sie nicht auf eine entsprechende Unterstützerzahl kommen. Wenn sich also gewählte Politiker mit den falschen Fragen an die Wähler wenden, riskieren sie einen ordentlichen Denkzettel.
Viele, die etwa in Graz gegen den Reininghaus-Ankauf stimmten, haben dieses Votum womöglich dazu benutzt, um über Ampelschaltungen oder GVB-Intervalle abzustimmen, weil sie sich außerstande sahen, über ein Detail der Grazer Stadtplanung zu entscheiden. Dazu kommt, dass es zweifellos Themen gibt, die den Wähler überfordern. Wir bezahlen unsere Politiker dafür, dass sie sich mit den Pros und Kontras einer Problematik auseinandersetzen und danach einen Kompromiss durchsetzen, der dem Gemeinwohl am ehesten dient. Doch Volksabstimmungen machen die Politik nicht intelligenter, sondern nur schwarz oder weiß. Die Entscheidungsalternativen müssen stark polarisierend formuliert sein, um möglichst viele Wähler zur Abstimmung zu lockern. Außerdem steigt die Zahl der „last minute deciders“, das sind Menschen, die ohne genaue Interessenabwägung aus dem Bauch heraus entscheiden, von Wahl zu Wahl. Statt Expertenhearings oder Stellungnahmen der Interessenvertretungen beeinflussen Sympathie und PR-Geschick der Proponenten das Urteil. Aber bekanntlich bezeichnete schon Churchill die Demokratie als schlechteste Staatsform – ausgenommen alle andern. Gilt das auch für Plebiszite?
Zum Thema, Fazit 85 (August 2012)
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