Anzeige
FazitOnline

Prestigeprojekte

| 24. Oktober 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 87, Fazitthema

Jede Legislatur hat ihre Highlights, jede Partei hat ihre Glanzstücke. Trotz aller Unkenrufe über die »untätige« Politik geht hin und wieder etwas weiter. Das allein sagt aber noch nichts über Bedeutung, Notwendigkeit und Qualität der politischen Arbeit aus. Graz hat in den letzten fünf Jahren viel erlebt – nicht immer zur Freude der Betroffenen.


::: Text von Michael Thurm und Sabrina Luttenberger

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Es ist ja nicht so, dass Stillstand herrscht. Nicht einmal wenn die Politik am Werk ist. Prestigeprojekte sind nicht nur wichtig, um vor Wahlen etwas vorzuweisen, sondern sie zeigen, wobei die Stadtpolitik ihre Prioritäten setzt und wohin sich Graz entwickelt. Neben all den kleinen Maßnahmen – hier ein neuer Fußgängerweg, dort werden drei Bäume gefällt – sorgten in den letzten fünf Jahren einige »heiße Eisen« für Gesprächsstoff. Und die meisten dieser Eisen sind noch nicht fertig geschmiedet. Wir haben Händler und Betriebe befragt, die in den letzten fünf Jahren im Zentrum politischer Entscheidungen standen oder noch immer stehen, die davon profitierten und die darunter zu leiden hatten: Den Optiker Kurt Otter und den Gewürzhändler Manfred van den Berg, die beide ihr Geschäft in der Annenstraße haben und noch bis nächsten Sommer mit einer Dauerbaustelle leben müssen. Die Gärtnerei Herneth, die durch das Murkraftwerk und die damit verbundenen Pläne kurz um ihre Geschäftsexistenz bangen musste. Das Heimatwerk in der Sporgasse, vor dem es seit einiger Zeit  etwas ruhiger zugeht.

Annenstraße
Baustellen waren schon immer die Symbole der Erneuerung. Deshalb gibt es für Politiker auch nichts Schöneres, als Spatenstiche, Richtfeste und Eröffnungen zu feiern. Doch von Letzterem ist man in der Annenstraße weit entfernt. Noch mühen sich die Arbeiter ab, den alten Asphalt aufzubrechen, die Passanten lassen sich davon nicht stören und schimpfen mehr aus Gewohnheit denn aus echtem Ärger: »Is‘ eh gut, dass was gemacht wird«, meint eine ältere Dame, die eben noch schimpfend, aber voller Elan den Bauschutt zwischen Post und Straße übersprungen hat. Einen Gehsteig gibt es auf dieser Seite der Rosegger-Kreuzung im Moment nicht. Schräg gegenüber sieht man, wie es einmal werden soll, und direkt vorm Roseggerhaus steht der Fußweg noch wie eh und je. Hier soll spätestens 2013 alles aufgestemmt werden, bis an die Hausmauern heran. Für Manfred van den Berg war das kein Grund, sein neues Geschäft nicht in der Annenstraße zu eröffnen. Im Gegenteil: Der junge Grazer betreibt seit zwei Jahren einen Online-Gewürzhandel und wohnt in der Annenstraße. Jetzt hat er mitten auf der größten Baustelle im ehemaligen Geschäft von Holland-Blumen einen »echten« Laden für Gewürze und kulinarische Feinheiten aus der Steiermark aufgemacht. Trotz Baustelle bleiben regelmäßig Passanten vor den Fenstern stehen und bestaunen die Leckereien, die van den Berg anbietet. »Ohne die zu erwartenden Verbesserungen durch den Neubau der Annenstraße hätte ich mich aber nicht zur Geschäftsgründung entschlossen.«

Aus dem gleichen Grund ist auch Kurt Otter nie auf die Idee gekommen, mit seinem Optiker-Geschäft aus der Annenstraße zu verschwinden. »Es wurde ja diskutiert und es gab immer Aussicht auf Besserung. Jetzt bin ich froh, dass etwas passiert.«

Seit 1969 besteht das Geschäft in der Nähe des Esperantoplatzes und seit 1999 wird es von Kurt Otter geführt. Weil er aber in der Annenstraße nicht nur arbeitet, sondern auch wohnt, hat er sich schon früh in der Händlerinitiative Annenstraße engagiert, einem Zusammenschluss der dort ansässigen Unternehmen, die unter anderem die alljährliche Weihnachtsbeleuchtung organisieren. Seit Sommer 2012 hat er nun die »ersehnte« Baustelle vor der Tür, aber er und seine Frau hatten weit Schlimmeres befürchtet. Die Arbeiten gehen rasch voran, die Informationen der Stadt über bevorstehende Baumaßnahmen kommen regelmäßig. Aber Otter weiß, dass nicht alle Händler so optimistisch sind wie er: »Die Meinungen schwanken zwischen ‚bringt eh nichts‘ und ‚es wird so schön, dass die Herrengasse zusperren muss‘. Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen.« Die politische Begleitung des Projekts war und ist sehr bemüht. Von einem Stadtteilbüro, in dem alle Pläne zur Anschauung hängen und wo jeder auch seine Vorschläge und Anliegen platzieren kann, über zahlreiche öffentliche Diskussionsrunden und Bürgerbeteiligungsformate gab es genügend Möglichkeiten, die Initiative zu ergreifen. Wenn man nur wollte.
Diese Form der intensiven Bürgerbeteiligung beschloss der Grazer Gemeinderat im Oktober 2010 ebenso einstimmig wie die Investitionen von rund neun Millionen Euro. Das ist zwar nur ein Bruchteil dessen, was in die neue Nahverkehrsdrehscheibe – ein absurdes Werbewort für den Hauptbahnhof – fließt, der zeitgleich am oberen Ende der Annenstraße saniert wird. Für die Händler ist aber vor allem die neue Flaniermeile von Bedeutung, denn schluss-endlich bestimmt diese, wie die Geschäfte laufen.
Ein Gewinn für das Annenviertel dürfte die Rundumerneuerung allemal werden, auch wenn nicht jeder alle seine Wünsche durchgesetzt hat. Dafür sind die Interessen von Holding, Händlern, Taxlern, Hotels und Anwohnern einfach zu unterschiedlich. Vor allem die wegfallenden Parkplätze werden noch eine Zeit lang Zankapfel bleiben. Im Moment kauft das Citymanagement (Heimo Maieritsch) größere Parkplatzkontingente in den unmittelbar anliegenden Parkhäusern und gibt diese zu günstigeren Preisen an die Händler weiter, aber wie die Situation in einem Jahr sein wird, kann niemand genau sagen. Dann soll aus der aktuellen Baustelle eine ansehnliche Flaniermeile werden. Autos dürfen nur noch einspurig fahren, dafür ist der Fußweg so breit, dass man die wachsende Zahl von Schaufensterauslagen auch betrachten kann, ohne dass man gleich im Weg steht. Und das wird alteingesessenen Händlern wie Kurt Otter ebenso gefallen wie Neuling Manfred van den Berg.

Dass durch den vorverlegten Wahltermin nun erst nach der Wahl die große Eröffnung der Straßenbahn-Unterführung von der Annenstraße in den Hauptbahnhof gefeiert wird, müssen  Bürgermeister Siegfried Nagl und seine Vize Lisa Rücker verkraften. Dass in der Annenstraße überhaupt etwas passiert, können sich aber beide anrechnen lassen.

Sozialcard
Etwas geschickter bei der Terminwahl hat sich da die Grazer SPÖ-Chefin Martina Schröck angestellt. Die von ihr forcierte Sozialcard wurde pünktlich vor der Wahl eingeführt. Und so geben rot-weiß-rote Absperrbänder nun für einige Grazer den Weg vor. Als würde man ein Konzert besuchen, oder ein Fußballspiel. Nur: Zum Vergnügen ist niemand gekommen. Langsam bilden sich Menschenschlangen, keine allzu langen. Aber so lange, dass deutlich wird, wie wichtig und richtig die neue soziale Hilfe der Stadt Graz ist.
Das Mascherl für den politischen Erfolg der Sozialcard hat sich auch gleich Martina Schröck umgehängt. In ihrer Partei spricht man von einem sozialpolitischen Meilenstein, zugestimmt haben im Gemeinderat aber alle fünf Parteien. Einstimmigkeit also, wie so oft, wenn etwas offensichtlich nicht ganz Verkehrtes auf den Weg gebracht wird.
Denn auch in diesem Fall geht es um eine gute Sache: die Unterstützung sozial schwacher Mitbürger. Wer den Anforderungen entspricht – zum Beispiel ein geringes Einkommen von 912,60 Euro netto und weniger hat – kann die Sozialcard heuer seit 1. Oktober beantragen, ab 1. November ist sie gültig. 1.307 Grazer haben das bisher getan. Insgesamt rechnet man mit etwa 20.000 Menschen, die sich die finanzielle Hilfe holen werden. Diese bekommen dann zum Beispiel jährlich einen Heizkostenzuschuss von 65 Euro oder pro schulpflichtigem Kind 21 Euro zusätzlich zur Verfügung. Zentraler Punkt der Aktion ist aber die günstigere Jahreskarte für die Graz Linien. Um 50 Euro (inklusive Schloßbergbahn 60 Euro) statt um 365 Euro gibt es die »Grazer Sozialcard Mobilität«.

Gerald Pichler, Konzernsprecher der Holding Graz, zu denen die Graz Linien ja gehören, kann derzeit noch keine Prognosen abgeben, welche Auswirkungen die Ermäßigungen mit sich bringen werden. Ob und inwiefern das Unternehmen beziehungsweise auch das Image des Unternehmens profitieren wird. Oder eben auch nicht. Nur der Geldaspekt scheint geregelt. »Finanziert wird das Projekt durch die Stadt«, sagt Pichler. 375.000 Euro werden das allein für das Jahr 2012 sein. Die Holding rechne mit dem Verkauf von bis zu 15.000 Sozialcard-Jahreskarten. Zum Vergleich: »Es wurden 2011 circa 10.000 Jahreskarten und 2.000 Jahreskarten für Senioren ermäßigt im Haustarif verkauft.« Einen Ansturm habe es noch nicht gegeben, gehäufte Anfragen erwarte man sich für Ende Oktober, kurz bevor die Tickets dann gültig werden.

Und während die einen noch darauf warten, dass die Aktionen endlich starten, beschäftigen sich andere schon mit der Zeit danach. So orten Kommunisten und FPÖ Verbesserungen, was die Sozialcard angeht. Die Freiheitlichen würden sich etwa Sach- statt Finanzleistungen wünschen. Die Grünen sind für die Erweiterung des Angebots. Aber auch im Büro von Schröck plant man die Sozialcard-Zukunft. So sollen Bäderermäßigungen und Vergünstigungen in Sportvereinen bald ebenfalls im Hilfspaket im Scheckkartenformat inbegriffen sein.

Murkraftwerk
Weitab von den täglichen Sorgen der Menschen geht es wieder um ganz andere Dimensionen: 95 Millionen Euro für das neue Murkraftwerk im Grazer Süden. Noch steht zwar das Berufungsergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung aus, aber der politische Wille ist eindeutig. Die Mur soll auf Höhe des Puchsteges gestaut werden und im Regelfall circa 74 Gigawattstunden Strom produzieren. Das ist in etwa der Verbrauch von 20.000 Haushalten. Da das Land zu 75 Prozent an der Enerige Steiemark beteiligt ist, wird es auch im Wesentlichen für die Kosten aufkommen – trotzdem bleibt es vor allem ein Projekt von und für Graz. Vor allem Bürgermeister Nagl hat das Projekt in den letzten Jahren gepusht, wohl wissend, dass es von seinem damaligen Koalitionspartner, den Grünen, kein »Ja« zum Kraftwerk geben wird. Neben ihnen engagieren sich auch zahlreiche Aktivisten, um den Bau doch noch zu verhindern und den Lebensraum von Huchen und Mursurfern so zu erhalten, wie er ist.

Doch nicht nur diese müssen sich wegen des Kraftwerks Sorgen machen. Als Sabine Herneth von der Gärtnerei Herneth, direkt an der Mur gelegen, die Pläne der Stadtentwickler zu sehen bekam, hing kurzfristig die Zukunft ihres 230-Personen-Betriebes in der Luft. Weil für das Kraftwerk auch das angrenzende Gelände entsprechend gewidmet sein soll, wäre das bisher als Industrie- und Bauland ausgewiesene Grundstück der Gärtnerei zum Teil als Fläche für Freizeit, Sport und Ökologie geführt worden. Das hätte den Wert um über zwei Millionen Euro gedrückt und die Kredite der Firma, die mit dem Grundstück gesichert sind, gefährdet. Nach einigen Interventionen bei der verantwortlichen Stadtentwicklung zeigte man sich dort aber kompromissbereit. »Dabei kann ich heute gar nicht sagen, wer nun den Ausschlag gegeben hat«, ist Sabine Herneth trotz allem erleichtert. Die Ausweisung der Fläche für Freizeit und Ökologie im Stadtentwicklungskonzept erfolgte nun nur für einen kleinen Teil des Gärtnerei-Geländes und sichert sowohl den Werterhalt als auch das Bestehen der Firma in einer Weise, die auch für Herneth akzeptabel ist. Auf dem Radweg, der an der Gärtnerei vorbeiführt – und für den die Gärtnerei schon vor langer Zeit ihr Grundstück zu Verfügung gestellt hat – soll künftig mehr Verkehr Richtung Puntigam unterwegs sein. Irgendwann einmal, wenn das Naherholungsgebiet rund ums Murkraftwerk Wirklichkeit geworden ist. Auf den Straßen der Innenstadt herrscht indes etwas mehr Ruhe als noch vor einem Jahr.

Bettelverbot
Eine Handvoll Touristen versucht, aus dem Stadtplan schlau zu werden, dreht ihn einmal und findet, was sie sucht. Derweil huscht eine Dame im Kostüm vorbei, eine andere begutachtet entweder sich selbst oder die Stiefel in der spiegelnden Auslage. Niemand fühlt sich gestört oder hält kurz inne. Keiner kramt in der Hosentasche nach Münzen. Mit dem Bettelverbot vom 3. Mai 2011 verschwanden die bittenden Blicke und das schlechte Gewissen. Der Beschluss des steirischen Landtags – ÖVP, FPÖ und SPÖ (mit einer Ausnahme) stimmten für ein Bettelverbot – zeigt anhaltende Wirkung. Nur ganz selten verirrt sich jemand mit Sammeldose auf die Straße. Anfangs waren die Proteste gegen die, wie oft angeprangert wurde, unsoziale Regelung noch groß. So intervenierten zum Beispiel die Grazer Grünen zusammen mit der Grazer SPÖ (!) bei Bürgermeister Nagl. Der hatte das Ganze schließlich in Bewegung gebracht – auch wenn der Landtag das entsprechende Gesetz beschließen musste. Alles Protestieren dagegen ist bis heute vergeblich. Aus dem Widerstand scheint lähmende Ohnmacht geworden zu sein. Resignation statt Rettung. Aber: Es wurde eben auch an anderer Stelle weitergekämpft.

Die wenigen, die sich trotz Bettelverbots noch für ein paar Euro auf die Straße getraut haben, mussten sich plötzlich ebenfalls anpassen. Straßenmusik wurde in Graz neu geregelt, strenger reglementiert. Händler und Kunden würden sich ob der Lärmbelästigung in der Innenstadt beschweren, argumentierte man. »Unsere Kunden störte die Musik nicht«, sagt Christine Jevnisek, langjährige Mitarbeiterin bei Haller in der Herrengasse, »die sind ja nach kurzer Zeit ohnehin weitergegangen.« Sie selbst hätte manche Gruppen nach ein, zwei Stunden Gedudel hin und wieder schon gebeten, weiterzuziehen. »Aber das war nie ein Problem, die sind dann auch immer anstandslos gegangen.« Die alltägliche Dauerbeschallung, sie ist mühsam. Gegenmaßnahme bei Haller: die Türe schließen, den Klang-Grundpegel draußen lassen. Jevnisek: »Aber man muss schon auch sagen, dass gewisse Dinge halt ins Stadtbild gehören.« ÖVP, FPÖ und BZÖ sehen das vielleicht gar nicht anders, die drei Parteien, mit deren Stimmen die neue Straßenmusikverordnung beschlossen wurde, sorgten aber immerhin für bestimmte Auflagen – Stichtag: 19. Juli 2012. Seither müssen Straßenmusiker unter anderem ein Mindestalter von 15 Jahren haben, Spielzeiten und -orte einhalten, ihren Standort nach dreißig Minuten wechseln und vor allem: eine Spielkarte beantragen. 779 solcher Anträge sind im Präsidialamt der Stadt Graz bis 12. Oktober eingelangt, 779 Mal wurde das öffentliche Musizieren erlaubt. Sein musikalisches Talent muss aber niemand beweisen, ein Probespielen vor den Mitarbeitern des Präsidialamtes ist nicht nötig. Auch Strafverfahren gab es bisher keine, trotz regelmäßiger Kontrollen durch die Ordnungswache.

Sigrun Mogel vom Steirischen Heimatwerk ist aufgefallen, dass es auf der gegenüberliegenden Straßenseite seit einiger Zeit tatsächlich stiller geworden ist. »Es war früher schon anstrengend, wenn man den ganzen Tag dasselbe Lied gehört hat.« Dazu kam in der Sporgasse noch eine weitere Besonderheit. »Spielten Straßenmusiker bei uns, drehte einer der Nachbarn als Gegenprogramm seine Musik unglaublich laut auf«, so Mogel. Doch genauso wie in der Herrengasse habe Straßenmusik – unabhängig von ihrer Qualität – nie einen Einfluss auf das Geschäft gehabt. Business as usual, wie so oft.

Die Grazer Händler finden bei allen Streitigkeiten offensichtlich ihr Auskommen mit der Politik und ihren Entscheidungen, da mag es hin und wieder ein Vorteil sein, dass der Bürgermeister selbst Teil der Händlerzunft ist (Klammerth). Davon, dass in der nächsten Legislatur aber Ruhe in Graz einkehrt, ist wohl nicht auszugehen. Weder für uns Journalisten noch für die Bürger der Stadt und sicher auch nicht für den Grazer Handel.

Titelgeschichte Fazit 87 (November 2012) – Foto © Michael Thurm

Kommentare

Antworten