Der tanzende Revoluzzer
Michael Thurm | 20. Dezember 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 89, Fazitgespräch
Christian Felber will eine ganze Menge. Den Euro retten, eine neue Wirtschaftsordnung durchsetzen und alle Menschen glücklich machen. Für ihn hängt all das eng zusammen und soll in einer Gemeinwohl-Ökonomie in Erfüllung gehen. Dahinter steckt die Idee eines Wirtschaftssystems, in dem jene Werte, die heute schon zwischenmenschliche Beziehungen und Verfassungen bestimmen, auch das Wirtschaftsrecht dominieren. Die Krisen der letzten Jahre sind, so scheint es, der optimale Nährboden für seine Ideen.
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Das Gespräch führten Michael Thurm und Markus Zottler
Herr Felber, Sie haben am Sonntag Ihren 40. Geburtstag gefeiert. Wie oft wurde Ihnen schon der Spruch entgegengeworfen, laut dem kein Herz hat, wer mit 20 nicht Sozialist ist, und kein Hirn, wer es mit 40 immer noch ist?
Bis jetzt noch nicht, daher kann ich noch herzhaft drüber lachen.
Wir hoffen, dass die Ideen, die Sie in Ihren letzten Büchern formuliert haben, auch nach dieser biografischen Zäsur noch aktuell sind …
Sie werden schärfer und klarer.
Nur in der Formulierung oder auch inhaltlich?
Vor allem in der inhaltlichen Präzision. In der Formulierung werden sie sanfter und durch die Genauigkeit auch verträglicher für Liberale und Anhänger der Marktwirtschaft.
Ihr Buch von der Gemeinwohl-Ökonomie ist nach der neunten Auflage heuer noch einmal in überarbeiteter Fassung erschienen, verkauft sich also sehr gut. Gleichzeitig ist Ihre Bewegung vergleichsweise klein.
Also für mich ist es ein Wachstum, das ich in dieser Stärke und Schnelligkeit noch nie erlebt habe. Über 900 unterstützende Unternehmen nach zwei Jahren können Sie als wenig bezeichnen, ich empfinde es als sehr viel. Auch die internationale Ausprägung ist groß, wir sind in 15 Staaten aktiv und haben alle Hände voll zu tun, das auch organisatorisch zu begleiten.
Bewegungen wie Occupy hatten viel mehr Teilnehmer und eine größere Aufmerksamkeit.
Wir unterscheiden uns von diesen Massenbewegungen, wenn man das überhaupt so nennen darf, weil wir uns auf die konkreten Akteure konzentrieren. Also auf die Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, auf Gemeinden, die zu Gemeinwohl-Gemeinden werden, und auf Personen, die regionale Gruppen, sogenannte Energiefelder, gründen und dauerhaft vor Ort wirken. Das ist etwas anderes, als Flashmob-artig schnell mal tausend Leute zusammenzutrommeln.
Diese Unternehmen bleiben aber zumindest in Österreich relativ unsichtbar. Das ganze Konzept ist eng mit Ihrer Person verknüpft, Sie werden nach Alpbach und in den ORF eingeladen – stehen Sie mit Ihrer Präsenz nicht den eigenen Zielen im Weg?
Wir haben inzwischen schon sieben Botschafterinnen, die an die Öffentlichkeit gehen. Jüngster Zugang ist das Vorarlberger Bauunternehmen Rhomberg Bau, auch der Herr Schirnhofer hat sich schon ein erstes Mal engagiert und ich arbeite daran, dass die Fokussierung auf meine Person schwächer wird.
Wie hoch schätzen Sie das Potenzial für Ihre Bewegung? Zuletzt haben in Graz 20 Prozent kommunistisch gewählt – ist das Ausdruck einer Sehnsucht nach einem Systemwechsel?
Ich würde unsere Reichweite nicht auf die Grazer Kommunisten begrenzen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich über 90 Prozent der Menschen ein anderes Wirtschaftssystem.
Aber die sind noch nicht alle zu Ihnen gekommen.
45.000 haben immerhin das Buch gekauft und die Gemeinwohl-Ökonomie wird täglich bekannter.
Nutzt Ihnen die zum Teil auch sehr kontroverse Diskussion um Ihre Person dabei sogar? In der Presse wurden Sie von Michael Fleischhacker schon als »anarcho-marxistischer Enteignungseuphoriker« bezeichnet.
Ich glaube nicht, dass so etwas hilft. Solche Bilder schaffen Vorurteile und ich treffe dann auf Menschen, die denken, ich sei ein Kommunist, Stalinist oder ein Messias, das muss ich schmerzhaft erfahren.
Wenn Peer Steinbrück wie bei seiner Nominierungsrede zum SPD-Kanzlerkandidat in Deutschland das Wort »Gemeinwohl« über zehn Mal in seiner Ansprache verwendet, sprechen er und Sie dann über das Gleiche?
Das Wort ist das gleiche und das hat sich in den letzten Jahren angedeutet. Für mich ist das die völlig logische Konsequenz des übertriebenen Zahlenkapitalismus, also des ständigen Optimierens von Finanzindikatoren. Inzwischen gibt es ein immer stärkeres Bedürfnis auch andere Ziele ins Blickfeld zu nehmen und zu messen: soziale Sicherheit, Arbeitsplatzqualität, Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Sinn … Und wenn man das alles zusammenfassen will, dann gibt es keinen treffenderen Begriff als den des Gemeinwohls. Den habe nicht ich erfunden, sondern der steht in zahlreichen Verfassungen demokratischer Staaten und ist seit dem 13. Jahrhundert Teil unseres Sprachschatzes.
Den Begriff gibt es schon lang, die Umsetzung steht noch aus. Was ist der Plan, um von einigen beteiligten Unternehmen zu einer nationalen Wirtschaftsordnung zu kommen?
Der Mindestzeitraum, von dem ich ausgehe, sind zehn Jahre, wenn nicht gar mehrere Dekaden, um überhaupt spürbare Zeichen einer solchen Veränderung zu haben. Dafür braucht es freiwillige Pioniergruppen von Unternehmen, die überall Vorbilder schaffen.
Irgendwann muss aber der Zeitpunkt kommen, wo sich die Politik und die Legislatur dieser Entwicklung anpassen. Sie wollen ja mehr als nur eine möglichst große Zahl von vorbildlichen Betrieben.
Dafür brauchen wir Gemeinwohl-Konvente und die können nur demokratisch entstehen, indem sich die Bürgerinnen und Bürger auf regionaler Ebene und in weiterer Folge auf Bundesebene über die Regeln einer neuen Wirtschaftsverfassung verständigen.
Das heißt, in der Anfangsphase vertrauen Sie auf den klassischen Markt. Darauf, dass sich eine ausreichend große Zahl für Ihre Idee einsetzt, weil sie Ihr Modell für besser hält als das bestehende.
Ja, und dabei reicht auch eine Minderheit. Alle großen Veränderungen gehen von den Rändern aus. Ich sehe aber das Potenzial, dass diese Bewegung tief in die Mitte der Gesellschaft hineinwächst, weil die Wertebasis absolut mehrheitsfähig ist. Das Einfache an der Gemeinwohl-Ökonomie ist doch, dass wir die Werte fördern wollen, die wir schon haben, weil wir wissen, dass es uns mit ihnen gut geht. Sie können aber in der Wirtschaft nicht gelebt werden, weil sie nicht belohnt werden. Im Moment haben wir fünf Verfassungswerte, die in vielen Staaten schon verankert sind: Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Demokratie und zunehmend auch die Nachhaltigkeit.
Sie lassen immer die Freiheit weg.
Die ist die Voraussetzung, dass es überhaupt private Unternehmen gibt, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen können.
Was passiert in der neuen Wirtschaftsordnung mit Unternehmen, die sich die Freiheit nehmen nicht mitzumachen?
Die haben als Erstes die Freiheit, ihre Vorstellungen in den demokratischen Prozess einzubringen und diese zum Gesetz zu machen. Wir fordern nicht bestimmte Vorgaben, sondern einen demokratischen Prozess, der diese Wirtschaftsregeln definiert.
Wenn zum Beispiel Diskriminierung von dieser neuen Verfassung verboten wird, ein Unternehmen aber sagt, ich stelle keine Raucher bei mir ein und arbeite nicht mit Unternehmen zusammen, in denen Raucher arbeiten – sollte das in einer freien Gesellschaft nicht zumindest möglich sein? Was passiert mit diesem Betrieb?
Der würde wohl Konkurs gehen. Denn jedes Unternehmen muss die Gemeinwohl-Bilanz erstellen, das ist verpflichtend. Und ein Unternehmen, das ein gutes Gemeinwohl-Ergebnis hat, zahlt weniger Steuern, weniger Zölle und bekommt günstigere Kredite. Der Betrieb, der seine Freiheit so nutzt, dass es dem Gemeinwohl widerspricht, würde wirtschaftlich nicht so leicht überleben.
Warum brauchen wir dafür ein aufwendiges System? Warum trauen Sie diese Belohnung des Gemeinwohls nicht dem Markt als Summe der Konsumenten zu?
Also »den Markt« selber gibt es nicht. Konsumenten bewegen sich immer in einem künstlichen, kulturell und politisch konstruierten Markt. Jeder Markt, den wir kennen, ist eine staatliche Einrichtung, die bestimmtes Verhalten ermöglicht, anderes belohnt und wiederum anderes bestraft. Es ist ein Mythos, dass es einen Markt ohne Staat gibt.
Moment …
Das Privateigentum wird vom Staat geschützt, das Vertragsrecht macht der Staat, Unternehmenslizenzen vergibt der Staat … Wir können zum Beispiel die demokratische Bank nicht einfach gründen, sondern müssen uns an die bestehenden Genehmigungsverfahren halten. Alle Entscheidungen auf dem Markt sind hochgradig abhängig von der staatlichen Konzeption des Marktes. Wir wollen, dass diese Konzeption geändert wird und andere Anreize geschaffen werden, die mit den Verfassungswerten übereinstimmen. Wenn die Marktwirtschaft in ihrer bestehenden Form in der Lage wäre, die großen Probleme der Gesellschaft zu lösen oder zumindest zu lindern, dann würde niemand eine Gemeinwohl-Ökonomie erfinden. Aber das Gegenteil ist der Fall und daher müssen wir die Marktwirtschaft ändern.
Also nicht mehr Freiheit, sondern andere Regeln?
Richtig.
Diskutieren wir das an einem Beispiel: Es gibt Unmengen an Schokoladenproduzenten, die ihre Tafeln für 49 Cent verkaufen, weil sie ihre Produktionsbedingungen so ausgerichtet haben, dass sie einen so günstigen Preis anbieten können. Dann gibt es Unternehmer wie Josef Zotter, die ihre Schokolade für über drei Euro die Tafel verkaufen können und trotzdem erfolgreich sind, weil es eben einen Markt gibt, der es richtig findet, dass Schokolade fair und biologisch gehandelt wird – abgesehen davon, dass sie auch noch besser schmeckt. Trauen Sie es den Marktteilnehmern nicht zu, dass sie langfristig jene Unternehmen pleitegehen lassen, die sich nicht an ihre Werte halten, indem sie ihnen den Konsum verweigern?
Schon, aber die Gesetzeslage darf es doch nicht unnötig schwer machen. Im Moment wird der unfaire Händler finanziell belohnt, weil er es leichter hat, seine Waren billig anzubieten. Das ist die groteskeste Form von politischem Einfluss auf einen Markt, die ich mir vorstellen kann. In den Preis fließen nicht alle Werte ein, die in unserer Verfassung stehen: Umweltschutz, Ressourcenschonung, Menschenwürde und so weiter … Damit ist die Marktwirtschaft hochgradig ineffektiv. Der Mythos besteht darin, dass wir nur eine Finanzbilanz fordern und glauben, dass ein Unternehmensgewinn automatisch auch einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet. Aber eine herkömmliche Bilanz sagt darüber überhaupt nichts aus. Das kann in manchen Fällen zutreffen, muss es aber nicht. Mit der zusätzlichen Gemeinwohl-Bilanz wird diese Koppelung von bloßem Finanzerfolg und gesellschaftlich positiven Auswirkungen zugunsten des Gemeinwohls geändert. Wer also seinen Gewinn auf Kosten anderer macht und dabei gegen Verfassungswerte verstößt, muss künftig dafür bezahlen. Nicht wie jetzt, wo derjenige mehr zahlt, der faire Löhne oder soziale Absicherung ermöglicht.
So in etwa wie es momentan mit den CO2-Zertifikaten passiert? Industriebetriebe müssen dafür bezahlen, dass sie CO2 ausstoßen.
Genau, das ist ein Beispiel, wenn auch nicht das beste. Beim Wohnungsbau gibt es schon viele Modelle, wo Energieeffizienz und Null-Emission belohnt werden.
Ich habe noch ein Problem mit Ihrer Ablehnung des Gewinnstrebens. Wenn ich Sie richtig verstehe, darf ein Unternehmen Gewinn machen, aber es darf nicht das Ziel sein.
Was ist daran schwer zu verstehen?
Gewinn ist doch die Voraussetzung jedes längerfristigen Unternehmens. Erst Gewinn macht Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Gemeinwohl möglich.
Das stimmt, aber Voraussetzung ist nicht gleich Ziel. Der Gewinn ist nicht der Zweck, sondern eine Bedingung. Manche verstehen das am besten mit einer Erklärung des in Wien geborenen Ökonomen Peter Drucker: Er hat gesagt, dass der Gewinn wie das Blut im lebendigen Organismus ist. Ohne Blut ist er tot, aber das Blut ist nicht der Sinn des Lebens. Ich weiß selbst nicht, wie es mir mit dieser Metapher geht, aber ich glaube, sie hilft ein bisschen zu verstehen, was ich meine. In der bayrischen Verfassung steht es sogar wörtlich drin, dass der Finanzgewinn ein Mittel und nicht der Zweck unternehmerischer Tätigkeit ist. Das ist nicht neu, aber darin besteht meine ganze Kapitalismuskritik. Im Kapitalismus ist die Vermehrung von Kapital das oberste Ziel des Wirtschaftens. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist überhaupt nicht kapitalfeindlich, aber Gewinn ist nur Mittel zum Zweck.
Trotzdem wird es unternehmerische Entscheidungen geben, die man entweder zugunsten der Gemeinwohl-Bilanz oder zugunsten der Finanzen treffen muss.
Das Ziel einer positiven Finanzbilanz und das Ziel einer guten Gemeinwohl-Bilanz geraten erst miteinander in Konflikt, wenn es unfairen Wettbewerb gibt. Wenn ein Unternehmen finanzielle Probleme bekommt, weil es zum Beispiel Löhne nach Kollektivvertrag zahlt und der Mitbewerber nicht, dann haben wir die Probleme, die wir jetzt schon haben, und erst dann müsste man sich für eine der beiden Bilanzen entscheiden. Wir wollen, dass der Staat denjenigen belohnt, der nach Kollektivvertrag zahlt und damit einen besseren Beitrag zum Gemeinwohl leistet als der Dumping-Unternehmer. Der darf nicht die Möglichkeit bekommen, durch tiefe Löhne auch noch günstigere Preise anzubieten.
Warum soll der Staat und nicht der Markt entscheiden, dass ein Unternehmen, das 10 Leute voll bezahlt, besser behandelt wird als eines, das für die gleiche Arbeit 20 Leute zu 50 Prozent und ohne Vertrag beschäftigt?
Da muss man den Grundgedanken von der konkreten Umsetzung unterscheiden. Wir wollen belohnen, wenn jemand, abhängig von der aktuellen wirtschaftlichen Lage, gemeinwohlorientiert entscheidet. Wenn wir zum Beispiel eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent wie in Spanien haben, dann würden Unternehmen belohnt werden, die ihre Arbeitszeit senken und dadurch das Arbeitsvolumen auf 10 Prozent mehr Mitarbeiter verteilen. Das können sie freiwillig tun, aber der Staat soll es durch Anreize belohnen. So senken sie die Arbeitslosigkeit und tragen zum Gemeinwohl bei.
Claus Raidl sagt gern, dass man bei unternehmerischen Entscheidungen meist nicht zwischen guten und bösen Entscheidungen unterscheiden kann. Macht er sich zu wenig Gedanken oder ist es tatsächlich schwierig, bei täglichen Unternehmensentscheidungen vorher die Folgen zu bemessen?
A priori gibt es kein gut und böse. Ab dem Moment, wo aber Verfassungswerte definiert sind, gibt es dieses »gut« und »böse« sehr wohl.
Woher nehmen Sie das Selbstbewusstsein, dass diese Werte tatsächlich für alle gelten? Laut Ihrem Buch reicht es Ihnen nicht, nur die größtmögliche Zahl zu erreichen, sondern Sie wollen alle.
Dieses Selbstbewusstsein brauchen wir nicht, denn das soll alles in einem demokratischen Prozess definiert werden. Wir sind nicht demokratisch legitimiert und wenn die Menschen andere Verfassungswerte wollen, als wir uns erwarten, dann sollen sie die Möglichkeit haben diese festzulegen.
Wie begegnen Sie der Transparenz, die haben Sie bisher nicht erwähnt? Antworten Sie, wenn man Ihnen die Steinbrück-Frage nach Ihren Vortragshonoraren stellt?
Gerne, ich werde das in meiner Bilanz für 2012 sogar offensiv veröffentlichen. Wer prominent an der Front einer Bewegung steht, tut gut daran, offensiv transparent zu sein und nicht erst auf Nachfrage. So viel habe ich in der letzten Zeit gelernt.
Warum sollte ein steirisches Unternehmen heute schon eine Gemeinwohl-Bilanz schreiben?
Das fragen wir die Unternehmen auch immer und meist kommen da sehr ähnliche Antworten. Die häufigste ist Sinn.
Für das Unternehmen selbst?
Viele sagen: »Endlich weiß ich wieder, wo wir uns verorten.« Der zweite große Vorteil, von dem wir so erfahren haben, besteht darin, dass viele Unternehmen neue Entwicklungschancen entdecken. Sie werden sich ihrer Aktivitäten aus einem neuen Blickwinkel bewusst und entdecken, wo es Potenziale gibt. Dann eröffnen sich auf diesem Weg viele Möglichkeiten für Kooperationen, weil es eine Plattform für Gleichgewillte gibt, die sich gegenseitig unterstützen.
Was ist der Unterschied zu den klassischen Corporate-Social-Responsibility-Berichten, die in viel größerer Zahl geschrieben werden?
Auch das fragen uns die Unternehmen immer wieder. Wir haben acht Kriterien definiert, die unserer Meinung nach eine gut durchdachte Rechenschaftsbilanz erfüllen sollte. Dazu gehören die Merkmale ganzheitlich, messbar, vergleichbar, rechtsverbindlich und dann auch mit positiven Rechtsfolgen für jene, die mehr leisten als andere.
Das klingt nach klassischer Konkurrenz.
Meritokratie würde ich sagen, also die Belohnung des Erwünschten. Es können alle gleich viel bekommen und das schließt sich nicht gegenseitig aus. Konkurrenz ist immer dadurch gekennzeichnet, dass sich die Ziele gegenseitig ausschließen.
In Ihrer persönlichen Gemeinwohl-Bilanz von 2011 steht, dass Sie viel lieber hauptberuflich Tänzer, Masseur oder Biogärtner wären. Warum sind Sie es dann nicht?
Diese Berufe würden mir mehr Spaß machen. Die politische Arbeit gibt mir mehr Sinn und dann ist es eine Abwägung von Sinn und Spaß. Und da ist mir im Moment der Sinn wichtiger.
Spielt es nicht auch eine große Rolle, dass Sie für Ihre politische Arbeit, Ihre Vorträge und Bücher mehr Geld bekommen, als Sie für das Tanzen bekommen würden?
Die glücklichste Zeit meines Lebens, rein von der Lebensqualität, war die, als ich Staatsstipendiat für Literatur war und den Tag mit einem dreistündigen Morgenspaziergang in der Natur begonnen habe. Da war mein Monatseinkommen so, dass ich nur durch selbst Kochen in einer winzigen Garçonnière über die Runden kam. Und es war wundervoll.
Aber eine Gesellschaft funktioniert nicht, wenn alle nur von Staatsstipendien leben.
Das ist auch nicht das Ziel, aber ich finde es schön, dass Kunst gefördert wird und wenigstens ein Teil der Gesellschaft die Möglichkeit bekommt, die künstlerischen Talente zu entfalten. Was war die Frage?
Gehört es nicht auch zum Gemeinwohl, dass jeder Einzelne und jedes Unternehmen den Ehrgeiz haben muss, ohne Steuergelder und Subventionen auszukommen?
Grundsätzlich habe ich selbst diesen Ehrgeiz und will meine Existenz nicht auf den Leistungen anderer gründen. Aber ich finde es total sinnvoll, dass jeder Mensch immer mal wieder Auszeiten zugestanden bekommt. Deshalb schlagen wir ein Freijahr vor, in dem jeder die Möglichkeit hat, das zu tun, was er will. Kreativ zu sein, dem Müßiggang nachzugehen. Die besten Ideen kommen genau in diesen Momenten, nicht in der Konkurrenzsituation.
Bedeutet das nicht, dass man in den Jahren vor dem Freijahr so viel mehr arbeiten muss, dass man sich dieses Jahr finanziell erarbeitet?
Das wäre natürlich keine sinnvolle Konstellation und das wäre bei der Produktivität, die wir schon erreicht haben, auch nicht nötig.
Ist all das möglich, wenn wir das nur in einem nationalen oder europäischen Rahmen umsetzen? Die Produkte werden tendenziell immer teurer sein als Produkte, die aus Nicht-Gemeinwohl-Nationen kommen.
Mit dem Freihandel schneiden wir uns tatsächlich ins eigene Fleisch, weil unsere Annehmlichkeiten durch Dumping-Konkurrenz verunmöglicht werden. Wenn wir das nicht wollen, weil uns Lebensqualität, Zeitwohlstand und eine intakte Umwelt wichtiger sind als das allerbilligste Produkt, müssen wir den Freihandel einschränken.
Also Protektionismus?
Da sind wir dagegen. Das ist genauso schädlich wie offene Grenzen. Unser Vorschlag ist ein differenzierter Handel. Wir handeln fair mit den Staaten und Unternehmen, die den demokratisch bestimmten Werten entsprechen, und wir beschränken den Handel mit denen, die es nicht tun.
Stehen Sie sich eigentlich manchmal selbst im Weg? Ihre Attac-Vergangenheit, der Tanz und auch die zum Teil esoterische Sprache – die regionalen Gruppen heißen Energiefelder – das klingt nicht so, als hätten Sie viele Gemeinsamkeiten mit dem klassischen, Golf spielenden Unternehmer.
Also das halte ich für eine Beleidigung des klassischen Unternehmers. Den Tänzer hat mir noch niemand vorgeworfen, im Gegenteil, ich werde meist bestärkt auch bei mir selbst auf Ausgewogenheit zu achten. Attac ist tatsächlich für viele eine Hemmschwelle, andererseits ist es ein historischer Fakt, dass die ersten 15 Unternehmen, die ihre Impulse zur Gemeinwohl-Ökonomie gegeben haben, in Attac organisiert waren. Jetzt zu Beginn ist es unvermeidbar, dass eine Bewegung auch mit ein paar Frontfiguren identifiziert wird, aber wir arbeiten alle gemeinsam am Verschwinden meines Namens und meines Protagonismus.
Herr Felber, vielen Dank für das Gespräch.
Fazitgespräch, Fazit 89 (Jänner 2013) – Foto © Michael Thurm
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