Aberglaube im Management
Maryam Laura Moazedi | 20. Dezember 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 89, Managementserie
Die Fazit-Managementserie Muster sind gleichbleibende Strukturen, die vielem innewohnen, zuweilen aber auch dort erkannt werden, wo sie nicht wirklich zu erkennen sind. Beinahe automatisch werden – öfter als einem bewusst ist – zwei Sachverhalte miteinander in Verbindung gesetzt, wo es keine Verbindung, keinen Zusammenhang gibt. Ebenso beliebt sind kausale Attributionen, d.h., die beiden Tatsachen werden durch ein „weil“ miteinander verbunden. So erklären wir uns relativ rasch die Welt. Und so liegen wir relativ rasch falsch. Diese Automatismen erklären mitunter die weite Verbreitung von dem, was wir allgemein unter Aberglauben verstehen. Der US-amerikanische Psychologe Burrhus Frederic Skinner zeigte bereits in den 1940er Jahren in einem Tierexperiment auf, dass selbst Tauben nicht vor voreiligen Erklärungen gefeit sind. In seiner Versuchsanordnung bekamen die Vögel alle 15 Sekunden Futter, unabhängig davon, was sie zu dem Zeitpunkt gerade taten. Die Tauben sahen darin allerdings nicht zwei unabhängige Ereignisse, sondern dachten, dass ihr zufällig kurz vor der Futtervergabe gezeigtes Verhalten mit dem Futter in Verbindung stünde. Als Folge entwickelten sie zum Teil eigenwillige Rituale, wie Stolzieren, Nicken oder bestimmte Kopfhaltungen, je nachdem, was sie zum Zeitpunkt der Futtervergabe getan hatten. Bestärkt in der Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und der Belohnung gäbe, zeigten sie diese Rituale immer öfter. Sie wurden sozusagen abergläubisch.
Aberglaube in der Menschheit
Analogien gibt es auch im menschlichen Verhalten, mit Glücksbringern, Glückszahlen und Glückssymbolen. Den Bereichen Glücksspiel und Sport wird eine stärkere Tendenz zum Aberglauben nachgesagt. Zum Teil können die Verhaltensmuster bizarre Formen annehmen, wie eine Studie von Jerry M. Burger und Amy L. Lynn unter Profi-Baseball-Spielern demonstriert. Etwa drei Viertel der Sportler berichten von zumindest einem siegbringenden Ritual, beispielsweise kurz vor dem Spiel die Glückszahnbürste zu verwenden, viel Huhn zu essen, drei Kaugummis zu kauen, die Kleidung vom letzten Sieg zu tragen und sie nicht zu waschen, solange Spiele gewonnen werden u.v.m. Das Verhalten wird damit erklärt, dass bei vielen Sportarten, wie beispielsweise dem Baseball, Zufälle oft entscheidend sind und Rituale einem die Illusion von Steuerungsmöglichkeiten geben.
Zahlen im Management
Entscheidungshilfen anderer Art können Zahlen bieten. Henry J. Heinz von Heinz Ketchup entschied sich – obwohl es weit mehr Produktvarianten gab – bei dem Slogan „57 Varieties“ für seine persönlichen Glückszahlen 5 und 7. Als China zu einem der am schnellsten wachsenden Flugzeugmärkte wurde, benannte man parallel zum chinesischen Großauftrag die Boeing Dreamliner für die chinesischen Fluggesellschaften von 7E7 in 787 um und baute so die chinesische Glückszahl 8 ein. In Europa beugte sich Brussels Airlines dem Aberglauben ihrer KundInnen und fügte nach deren Beschwerden über 13 rote Punkte in dem neuen Logo einen 14. Punkt ein.
Graphologie im Management
Zu einem Weniger an Unsicherheiten und Mehr an Informationen soll die Analyse des Schriftbilds beitragen, wenn zum Beispiel in der betriebsgraphologischen Beratung auf der Basis von Schriftmerkmalen wie Größe, Lage und Zeilenführung Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der BewerberInnen geschlossen werden. In den 80er und 90er Jahren griffen in Europa etwa 85 Prozent der Unternehmen darauf zurück – viele davon renommierte internationale. In den letzten Jahren nahm der Trend ab. Untersuchungen des Psychologen Gershon Ben-Shakhar an zufällig ausgewählten Angestellten ergaben, dass der Übereinstimmungs-Koeffizient zwischen den Stellungnahmen ihrer Vorgesetzten und den graphologischen Urteilen nahe an dem Bereich war, der durch das Lesen von Kaffeesatz zustandekommt. Auch der Wissenschaftsjournalist Rolf Degen vergleicht Graphologie mit dem Kaffeesatz, der Psychologe Barry Beyerstein mit der Astrologie.
Astrologie im Management
Nach Angaben der österreichischen „First Lady unter den Sternen“, Gerda Rogers, suchen immer mehr Geschäftsleute astrologischen Rat bei ihr, wenn sie in beruflichen Fragen unsicher sind. Zudem sollen die Sterne auch Auskunft über Persönlichkeitseigenschaften geben. In ihrer „astrologischen Charakterkunde“ meint Linda Goodman, niemand könne auf Dauer sein Sonnenzeichen verleugnen, denn deren Beschreibung würde für den einzelnen Menschen mit einer Genauigkeit von 80 bis 90 Prozent zutreffen. Für Aufsehen und Negativ-Schlagzeilen sorgte Anfang 2009 eine österreichische Finanzfirma mit ihrer Jobanzeige: Für den Verkauf von Finanzprodukten suchte sie MitarbeiterInnen mit den Sternzeichen Steinbock, Stier, Wassermann, Widder oder Löwe, die laut astrologischer Lehre und statistischer Auswertung am geeignetsten wären. Da innerhalb einer Gruppe von Sternzeichen Frauen und Männer unterschiedlichen Alters vertreten sind, handle es sich hier nicht um Diskriminierung, sondern um eine Einschränkung, so die „Entkräftigung“ der Diskriminierungsvorwürfe.
Blutgruppen im Management
Als er für die Beschreibung von Blutgruppen 1903 den Nobelpreis für Medizin bekam, ahnte der Wiener Arzt Karl Landsteiner wahrscheinlich nicht, welche Einsatzbereiche das AB0-System Jahrzehnte später finden würde. Der US-amerikanische Naturheilkundler Peter J. D’Adamo sieht einen Zusammenhang zwischen Blutgruppe und Verarbeitung von Nahrung, was in der umstrittenen Blutgruppendiät berücksichtigt wird. Im Zweiten Weltkrieg sollen in Japan Soldaten nach Blutgruppen ausgewählt worden sein. Heute ist in Japan die Frage nach der Blutgruppe eine Standardfrage, ob im Privat- oder Berufsleben. Die Antwort soll intimste Details zur Persönlichkeit verraten und bildet die Basis für Personalauswahl, Beförderung und Ablehnung.
Einschränkungen
Laut dem Psychologen Stuart Vyse neigen Menschen dazu, in einer Kette von Ereignissen Zusammenhänge zu sehen. Durch Konditionierung und simples Assoziationslernen verbinden Mensch und Tier Vorgänge, die nicht in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Die Hartnäckigkeit von Aberglauben erklärt Seymour Epstein damit, dass er auf einem intuitiven Erfahrungssystem beruht, das durch eine automatische, unbewusste, gefühlsbetonte Denkweise bestimmt wird, die keine neuen Informationen zulässt und dadurch Vorurteile auch gegen widersprechende Fakten beibehält. Das erklärt, warum an die Aussagekraft von Handschrift, Sternzeichen, Blutgruppen und vielem mehr geglaubt wird. Sie sollen zur Entlastung von PersonalentscheiderInnen Intimes, Geheimes, Verborgenes über BewerberInnen verraten und beruflichen Erfolg prognostizieren. Der Aberglaube an sich ist im Grunde genommen nicht das Problem, betrachtet man ihn als eine individuell-persönliche Haltung. Er bietet sicherlich Überdenkungspotenzial, wenn er so weit geht, dass das Festhalten an Sternzeichen- und Blutgruppen-Formeln zu Diskriminierungen – oder euphemistisch „Einschränkungen“ – am Arbeitsmarkt führt.
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Über die Autorin
Mag. Maryam Laura Moazedi ist Universitätslektorin am Institut für Wirtschaftspädagogik der Grazer Karl-Franzens-Universität und Lehrbeauftragte an der FH Campus02. Ihr Arbeits- und Interessensschwerpunkt ist Diversity Management.
Fazit 89 (Jänner 2013) © Illustration: Paperwalker
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