Transparent ist nur das Leere
Christian Klepej | 24. April 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 92
»La Grande Nation«, Frankreich also, ist jetzt amtlich in der Unterdurchschnittlichkeit angelangt. Alle Regierungsmitglieder müssen ihre gesamten Einkommensverhältnisse offenlegen. Jetzt kann also die ganze Welt wissen, dass etwa Regierungschef Jean-Marc Ayrault über ein Vermögen von 1,5 Millionen Euro verfügt und dazu Immobilien besitzt. Oder die Seniorenministerin Michèle Delaunay gerade 100.000 Euro gespart und eine Vespa hat. Staatspräsident François Hollande ist (noch) von dieser Regelung ausgenommen, da wird sicher noch nachgebessert, und auch den Mitgliedern der französischen Nationalversammlung droht dieses Outing der besonderen Art, welches alle Welt im Internet nachlesen und damit den Grad der Korruptheit jedes einzelnen französischen Politikers persönlich bestimmen kann.
Eine Maßnahme unter dem derzeit allgegenwärtigen Topos der »Transparenz«, der die (auch in dieser Fazitausgabe mehrmals beschriebene) größte Energiequelle der Welt nach der Sonne, den Neid, ordentlich befeuert.
Aber wem nutzt diese meines Erachtens doppelschneidige, jeden Vertrauensgrundsatz unserer Gesellschaft Hohn spottende Vorverurteilung jedes Menschen, der nicht bloß von Alimentierungen des Staates gelebt hat (bzw. gelebt haben muss. Die Unschuldsvermutung war und ist eine Errungenschaft!) und sich – durch regelmäßige Arbeit oder sonstigen rechtschaffenen Erwerb – ein kleineres oder größeres Vermögen angespart hat? Wer reich ist, ist korrupt, ist ein Verbrecher, lautet die dick zwischen den Zeilen geschriebene Botschaft der kleinen Geister. Denn etwas anderes können sich die vielen österreichischen Blogger, die bereits gegen elf Uhr des Vormittages ihr erstes kapitalismuskritisches Posting aus dem Kaffeehaus neben der Uni übers Ipad in die Welt hinausschreien, ja nicht vorstellen. Und das Vermögen zu erkennen, dass es in einer nichtkapitalistischen Welt kein einziges Ipad geben würde, um ihre Empörung zu verbreiten, fehlt diesen Geisteszwergen vollkommen.
Selbstverständlich ist jeder einzelne Mensch, der seine Steuern nicht rechtmäßig abführt, zu verachten! Selbstverständlich schadet dieser dem Staat und damit uns allen. Kein Pardon mit echten Steuersündern! Aber genauso selbstverständlich ist die Abgabenquote in Europa zu hoch. Und noch viel selbstverständlicher ist es, dass sich kein vernünftiger Mensch finden wird, der sich einer solchen Vorverurteilung aussetzen und Politiker werden würde. Dann erst haben wir endgültig die Politik, die wir verdienen: die des zum Scheitern verurteilten Mittelmaßes. Gott bewahre!
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Editorial, Fazit 92 (Mai 2013)
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