Neumayr macht Schluss
Michael Neumayr | 29. Mai 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 93, Schlusspunkt
Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.« Die bekannten Worte aus dem ersten Artikel des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes definieren den Kern unserer Gesellschaft und klingen doch wie eine Traumvorstellung. Was ist nämlich, wenn die Österreicher nichts mehr von der Politik wissen wollen? Immerhin sinkt die Wahlbeteiligung stetig. Bis 1986 lag die sie bei österreichischen Nationalratswahlen noch bei über 90 Prozent. 2008 waren es immerhin gute 78,8 Prozent. Doch bei den Landtagswahlen jagt ein Beteiligungsminus das nächste. In Tirol sind vor wenigen Wochen nur noch 56,1 Prozent der Wahlberechtigen zur Urne gegangen. So wenige waren es überhaupt noch nie und auch in den anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Die desaströse Volksbefragung zur Wehrpflicht braucht man gar nicht mehr zu erwähnen. Das Schlagwort Politikverdrossenheit geistert schon seit Jahren durch die Medien. Und immer öfter entsteht der Eindruck, dass Politikverdrossenheit fast schon eine Verniedlichung ist. Wir sollten viel eher von einer Politikverachtung, noch besser von einer Politikerverachtung sprechen.
Dabei leben wir seit 68 Jahren in einem Land, das sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich prächtig entwickelt hat. Das haben wir zu einem Großteil auch unserem politischen System und wohl auch unseren Politikern zu verdanken. Sich in diesem Wissen aus der Verantwortung zu ziehen und nur hin und wieder am derzeitigen Personal abzuputzen, reicht aber nicht. Auch der gemeine Wähler steht in der Pflicht. Zu einem modernen Verständnis von Demokratie gehört nicht nur eine hohe Wahlbeteiligung. Demokratie ist eigentlich eine Konkurrenz unterschiedlichster Lösungsansätze, die diskutiert und entwickelt werden. Und genau hier hakt es, denn mit diesem aufwendigen Prozess lassen sich längst keine Wahlen mehr gewinnen.
Deshalb diskutieren wir über grüne Radwege, obskure Ausländerthemen und darüber, in welchen Wohnungen unsere Politiker wohnen, anstatt uns mit echten Themen zu beschäftigen. Selbst bei einer so grundlegenden Debatte wie jener um die Wehrpflicht war es vollkommen egal, wer welches Konzept hatte oder eben nicht hatte. Der lauteste Marktschreier, der am besten mit den Ängsten der Bevölkerung spielt, gewinnt heute die Wahl und die politische Mitte wendet sich immer öfter angewidert ab. Wer will schon Politiker, denen es wichtiger ist, sich die nächsten 20 Jahre in der Politik zu halten, als ihren Idealen treu zu bleiben? Wer will schon einen Politiker, der wie ein Psychopath immer die gleichen Phrasen vorbetet und Fragen wortreich beantwortet, ohne etwas zu sagen? Es braucht Politiker, die Meinungen vertreten, und die, wenn sie Fehler machen, dazu auch mit allen Konsequenzen stehen. Selbst wenn die Konsequenz ein Rücktritt ist. Auf Politiker, die erst Fehler eingestehen und dann so tun, als ob sie ohnehin immer schon so gedacht hätten, kann man getrost verzichten. Die politischen Spielfiguren neuer Parteien versuchen, genau diese Wünsche anzusprechen, und verschleiern dabei recht ungeschickt, dass sie die Prototypen der Sesselkleber sind. Wie gut diese internen Beißereien bei den Wählern ankommen, zeigt zum Beispiel die Wahl in Tirol.
Um bei Wahlen kurzfristig erfolgreich zu sein, bleibt auf dem ersten Blick nur eine dumme Anbiederung an radikale Lager. Diese lassen sich mit Parolen viel leichter rekrutieren als die Mitte mit ihrem Hunger nach einer vernünftigen und sachlichen Politik. Wohin das führen kann, zeigt uns die kürzliche ÖH-Wahl. Wenn selbst bei den Studenten – eigentlich unsere zukünftige geistige Elite – nicht einmal jeder Dritte seine eigene Standesvertretung wählt, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die ÖH endgültig zum ideologischen Kindergarten verkommt und Sachpolitik zur Randerscheinung verkommt.
»Regiert« wird dann von einigen ideologischen Kasperln, die weder die breite unpolitisch gewordene Masse vertritt, noch zu irgendeinem ernstzunehmenden Erfolg gelangt. Auch in der echten Politik, da, wo es wirklich um etwas geht, driften wir auf so ein postdemokratisches System zu. Das Schreckliche ist aber, dass wir uns die »Postdemokratie« selbst aussuchen. An politischen Debatten nicht teilzunehmen ist, frei nach Watzlawick, auch schon eine politische Entscheidung. So gesehen ist die stille Wahl der Postdemokratie ein lupenreiner demokratischer Prozess, wenn auch ein bedauerlicher und äußerst gefährlicher.
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Neumayr macht Schluss! Fazit 93, (Juni 2013)
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