Zum Thema (Fazit 94)
Michael Thurm | 26. Juni 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 94, Fazitthema, Kunst und Kultur
Zur Kunst gehören immer Zwei Auf der Art Basel, der größten Kunstmesse der Welt, werden Millionen umgesetzt und jedes Jahr aufs Neue die gefragtesten Künstler ermittelt und erschaffen. Heuer überragte allerdings ein Polizeieinsatz die Sensationsmeldungen von den Verkaufsrekorden. Ursprünglich wollte der japanische Künstler Tadashi Kawamata mit seiner Installation »Favela Café« soziale Verhältnisse kritisieren. So was machen Künstler hin und wieder. Dass in dieser künstlichen Ausgabe eines südamerikanischen Elendsviertels aber teurer Kaffee durch teure Maschinen floss, um die noch teurer angezogenen Besucher zu beglücken, störte einige Aktivisten, die kurzerhand ihr eigenes Kunstwerk zimmerten, das noch ärmer und noch viel viel echter war. Am Ende des Tages hatte die Polizei etwas gegen dieses nicht genehmigte Happening und räumte das Areal ohne übertriebenes Einfühlungsvermögen, dafür mit Tränengas.
Diese kleine Geschichte zeigt, wie schlecht sich künstlerischer Anspruch und gesellschaftlich-ökonomische Normen vertragen. Sozialkritische Kunst kann in einem Wohlfahrtsstaat nicht authentisch sein. Dieses Spannungsverhältnis war unter anderem Ausgangspunkt für die Analyse auf den folgenden Seiten. In der Titelgeschichte dieser Ausgabe wird vieles am Kunstbetrieb und seinen Förderungssystemen kritisiert. Bei all dieser Kritik sind aber auch ein paar Worte ans Kulturpublikum angebracht, also an uns alle.
Vor allem die Erziehung zur Kultur, so der nicht zu widerlegende Tenor aller Kulturpessimisten, lässt dabei immer mehr zu wünschen übrig. Wenn schon die grundlegenden Kultur(!)techniken – Lesen, Rechnen, Schreiben – zum Problem werden, dann bleibt für Goethe, Mozart und van Gogh nicht mehr viel Zeit und Hirn übrig. Von allem, was über diese populären Grundlagen kultureller Bildung hinausgeht, ganz zu schweigen. Man darf das nicht mit bürgerlicher Attitüde verwechseln: Wer sich mit Kunst beschäftigt, der kultiviert sich damit selbst. Er bekommt ein Gefühl dafür, wie störend ein Handyklingeln während eines Konzertes ist oder wie respektlos nachlässige Kleidung gegenüber seinen Mitmenschen wirken kann. Dabei geht es nicht darum, unser Verhalten zu uniformieren, sondern eine gewisse Form der ehrlichen Rücksichtnahme zu entwickeln. Die eigene Individualität ein Stück weit beherrschen, um seine Mitmenschen nicht durch Exzentrik oder Nachlässigkeit zu belästigen. Wenn es den Künsten und Künstlern gelingt, uns zu kultivieren, zu unterhalten und unsere Gedanken voranzutreiben, dann wird sie den hohen Ansprüchen, die wir zu Recht an sie haben, gerecht. Und wir werden der Kunst gerecht, wenn endlich auch der letzte Depp die Erfahrung gemacht hat, dass auch er derjenige sein kann, dessen Handy im falschen Moment klingelt.
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Zum Thema, Fazit 94 (Juli 2013)
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