Was bleibt. Zehn Jahre nach der Kulturhauptstadt
Michael Thurm | 26. September 2013 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 96, Kunst und Kultur
Die Murinsel erfüllt Erwartungen. Kaum ein Ort eignet sich so gut, um über die Nachhaltigkeit von Kulturinvestitionen im Allgemeinen und die der Kulturhauptstadt Graz 2003 im Speziellen zu sprechen. Das einstige Prestigeprojekt ist inzwischen ein unterdurchschnittlich frequentiertes Café. ::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Wie zu erwarten, ist während des Gesprächs mit Altbürgermeister Alfred Stingl und dem früheren Kulturstadtrat Helmut Strobl gerade einmal ein weiterer Tisch besetzt. Was vom damaligen Intendanten Wolfgang Lorenz als Zentrum der Kulturhauptstadt, als kulturelle Verbindung der beiden Murhälften, gar als »Piazza für das neue Millennium« gedacht war, bekommt von Grazern und Touristen nur wenig Beachtung geschenkt und noch weniger Besuche abgestattet. Gleichzeitig verursacht die Insel bis heute hohe Instandhaltungskosten. Man hätte dieses Gespräch mit den beiden entscheidenden Initiatoren der Kulturhauptstadt auch an anderer Stelle führen können. Im erfolgreichen Kunsthaus, das in diesen Tagen zu seinem zehnten Geburtstag ein zehntägiges Fest feiert. Oder in der Messehalle, die sich als variable Veranstaltungslocation für Konzerte, Messen und Sportevents erfolgreich etabliert hat. Die Erfolge, die Graz 2003 mit sich gebracht hat, sind heute fast unbestritten.
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Dass über ein Kunsthaus für die Stadt bereits 1985 diskutiert wurde, ebenso wie über die Notwendigkeit einer großen Veranstaltungshalle, wirft die Frage auf, ob es diese Investitionen nicht auch ohne den Titel der Europäischen Union gegeben hätte.
Alfred Stingl: Ich habe da schon Zweifel. Die Kulturhauptstadt war ein wichtiges Argument für das Kunsthaus und die Stadthalle, weil wir als eine der größten Städte Österreichs so etwas nicht hatten. Unser Ziel war immer, die europäische Kultur, damals war vor allem die Öffnung nach Südosteuropa wichtig, nach Graz zu holen, und wir hatten ein Defizit an Kulturstätten. Wir haben die Kulturhauptstadt für Europa und für Graz gemacht. Die Stadthalle sollte vor allem der Messe neue Möglichkeiten und eine Zukunft geben. Wir wollten auch unbedingt einen Ausgleich zwischen den beiden Murseiten schaffen.
Das Kunsthaus ist dafür ein gutes Beispiel.
Stingl: Kaum hat es eröffnet, ist die ganze Achse vom Lend- bis zum Griesplatz aufgelebt. Das Hotel Mariahilf war damals zum Beispiel kurz vorm Zusperren.
Sie haben schon recht, diese Häuser sind erfolgreich. Aber die Helmut-List-Halle musste mit Zugeständnissen der privaten Teileigentümer gesichert werden. Die Murinsel fristet ein trauriges Dasein.
Stingl: Die Beobachtung ist richtig. Jetzt ist es zumindest gelungen, die wasserrechtliche Genehmigung für die Murinsel zu verlängern. Die Mur ist ein Bundesfluss, daher muss das alle zehn Jahre neu genehmigt werden. Es gibt längst die Absicht, die Insel ganzjährig bespielbar zu machen, und das ist sicherlich sinnvoll.
Helmut Strobl: Der geistige Schöpfer – Vito Acconci – wird da auch miteinbezogen. Was mir persönlich aber fehlt, ist, dass die Chance der Insel erkannt wird. Wir sind hier in der Mitte zwischen Kasematten, Dom im Berg, dem Kulturzentrum der Minoriten und dem Orpheum. Diese Dichte legt ja nahe, dass man als Veranstalter nicht nur getrennte Konzepte macht, sondern das mit der Murinsel als Mitte verbindet.
So hatte es der damalige Intendant Wolfgang Lorenz auch gedacht. Aber gibt es nicht die Notwendigkeit eines organischen Wachstums? Publikumsinteresse lässt sich eben nicht immer planen. Müsste man dann nicht das Scheitern eingestehen und kostspielige Dinge wieder abschaffen?
Stingl: Aber man kann Impulse geben. Das ist die Aufgabe der Kulturpolitik. Da muss nachgedacht werden, wie sich die Auslastung in den vorhandenen Ressourcen bündeln lässt. Das fehlt mir noch. Kulturpolitiker müssen natürlich gegenüber Kritik offen sein. Und gleichzeitig muss man ein wenig resistent sein. Gerade im Kulturbereich. Sonst kommen wir nie über die Frage hinaus: Warum dieses und nicht jenes? Wer Kultur will, der muss auch bereit sein, Risiken einzugehen, und das haben wir gemacht. Heute müsste man die Veranstalter offensiv ansprechen.
Strobl: Bei der Murinsel war es ganz eindeutig so, dass die Kreativszene keine Ambitionen hatte, diesen Ort zu bespielen. Die wurde aus irgendwelchen Gründen zum »Unort«. Es gibt außerdem viele gute Alternativen. Eine Rolle spielt sicher auch die Lärmentwicklung durch den Fluss, die bestimmte Sachen unmöglich macht. Ich bin gespannt, ob das in der Neugestaltung gelöst wird. Acconci hat gemeint, dass sich das realisieren lässt, und dann hoffen wir, dass die Bespielung besser funktioniert.
Im letzten Jahr stand sogar Rückbau im Raum.
Stingl: Ein Abbau wäre nicht gut. Da hätten wir schon eine Initiative ergriffen.
Strobl: Das sind doch Blödeleien, diese Schmäh, die Arme der Murinsel abzuschneiden und sie ins Schwarze Meer schwimmen zu lassen.
Stingl: Mit einigen Kunstobjekten von 2003 ist schon sehr fahrlässig umgegangen worden.
Sie sprechen den Marienlift und den Uhrturmschatten an …
Stingl: … und die gespiegelte Stadt. Aus all dem hätte man sicherlich mehr machen können, als sie irgendwohin zu verschicken.
Herr Stingl, von Ihnen stammt der Satz: »Es kann kein Zuviel an Kultur geben.« Würden Sie den Satz heute noch unterschreiben?
Stingl: Na sicher. Ich sehe, dass es heute qualitativ und quantitativ gute Weiterentwicklungen gibt. Ich sehe die Notwendigkeit kultureller Investitionen vor allem auch für die Kommunen. Graz hat im Unterschied zu vielen Städten der gleichen Größe keine Einschränkungen hinnehmen müssen, im Gegenteil, im Lendviertel wächst vieles weiter. Das einzige Sorgenkind ist noch der Griesplatz. Ich würde den Satz dreimal unterschreiben, weil wir in einer Phase leben, wo Kultur noch notwendiger wird. Mit den neuen Medien, mit der zunehmenden Sprachlosigkeit der Menschen.
Ich stimme Ihnen zu, dass das für den Einzelnen gilt. Aber ist es immer Aufgabe der Politik, das zu finanzieren und Kultur quasi zu verordnen?
Stingl: Man muss das zulassen. Schöpferisches Wirken kann nur in Freiheit passieren.
Strobl: Eine Variante von staatlicher Kunstförderung ist die sogenannte Staatskunst, die wollen wir nicht. Das kennen wir aus kommunistischen Staaten, die verordnen und bezahlen, was gemacht werden soll. Ich plädiere für einen liberalen Zugang. Die eine Aufgabe ist es, das zu ermöglichen, was ohne Förderung nicht stattfinden würde: experimentelle Kunst und alles, was dazugehört. Eine Stadt wie Graz hätte in den USA maximal einen Veranstaltungsraum, vielleicht noch eine Bibliothek, aber das war es dann. Die zweite Aufgabe der Politik ist es, diese Dinge ans Publikum heranzubringen. Ich behaupte, dass die Bedürfnisse in Graz massiv im Steigen waren. Und die Besucher sind ja damals nicht plötzlich anderen Institutionen ferngeblieben. Die sind zusätzlich zur Galerie oder zum Kino noch ins Kunsthaus gegangen.
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Kaum etwas war so schwierig wie die Suche nach dem Standort für das Grazer Kunsthaus. Nach einigen Ideen, die bis zur Zeit von Josef Krainer junior zurückgehen, sollte das Kunsthaus am Pfauengarten errichtet werden. Die Sozialdemokraten verweigerten damals die Zustimmung und brachten den Schlossberg – heute der Dom im Berg – ins Spiel, prompt widersprach die ÖVP. 1997 folgte schließlich ein Architekturwettbewerb, der damit endete, dass der Vorschlag, der von der Jury als Sieger ausgewählt wurde, von allen politisch relevanten Akteuren abgelehnt wurde. Stattdessen kam ein Jahr später der erste Entwurf des späteren Kunsthausarchitekten Peter Cook – nur der Standort fehlte noch immer. Die Freiheitlichen hatten indes eine Volksbefragung gegen die Variante im Schlossberg initiiert und mit über 80 Prozent auch eindeutig in ihrem Sinne entschieden. Die Vertreter der Stadt suchten erneut und wurden im »Eisernen Haus« fündig, einem schlecht genutzten Areal am rechten Murufer, das zu
Kastner & Öhler gehörte. Nach schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Verhandlungen mit den Eigentümern kam nun Bewegung in die Sache. Im Jahr 2000 fiel die endgültige Entscheidung für das Kunsthaus in seiner heutigen Form, im Herbst 2003 wurde es feierlich eröffnet. Der Druck durch das Prestigeprojekt Kulturhauptstadt hatte schließlich alle Beteiligten dazu genötigt einzulenken. Auch das Literaturhaus und das Kindermuseum wurden mit Zustimmung der starken Kaltenegger-KPÖ beschlossen.
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Meine Herren, würden Sie der These zustimmen, dass der Titel »Kulturhauptstadt« seit 2003 eigentlich wie eine kulturelle Entwicklungshilfe vergeben wird? Vorher waren es die großen Hauptstädte, Amsterdam, Berlin, Paris. Seitdem sind es vor allem die »zweiten Städte«, die dadurch Impulse erfahren sollen.
Strobl: Also wenn der Begriff der Entwicklungshilfe nicht so abwertend gemeint ist, stimmt das schon. Das war eine ganz bewusste Entscheidung der EU für die sogenannten zweiten Städte.
Was spielt die größere Rolle: Dass wir Kulturhauptstadt heißen und plötzlich alle kreativ werden? Oder sind die finanziellen Mittel, die dadurch möglich werden, entscheidender, weil dadurch Infrastrukturen entstehen, die dann bespielt werden?
Stingl: Wir haben einen sehr weiten Kulturbegriff gehabt. Der ging von Sozialprojekten …
Strobl: Der Homeless World Cup ist zum Beispiel damals erfunden worden und nach wie vor ein riesiger Erfolg.
Stingl: … bis zur Menschenrechtshauptstadt.
Auf die Kulturhauptstadt folgte noch die Genusshauptstadt und auch die City of Design steht in dieser Logik. Sehen Sie die Gefahr, dass Graz zur City of Beliebigkeit wird?
Strobl: Polemisch könnte man auch sagen: die Stadt der vielen Titel.
Stingl: Man kann es auch Stadt der Vielfalt nennen. Wir sind ja vielfältig. Und mit den Reininghausgründen hat Graz eine neue große Chance, endlich wurde sich dort geeinigt und der Westen wird weiter mit hochwertigen Projekten kultiviert.
In Graz sind es immer Top-Down-Projekte der Politik. Mit Ausnahme der Belebung des Lendviertels ist kaum etwas von selbst gewachsen, sondern war immer verordnet. Ist das politisch sinnvoll?
Stingl: Es muss ja einen Grund geben, warum eine Stadt wächst. Die wichtigsten Assets der Wirtschaft für Betriebsansiedelungen oder Fachkräfte, die nach Graz kommen, sind ganz klar: Gibt es eine internationale, bilinguale Schule? Wie ist der universitäre Sektor aufgestellt? Wie ist das Freizeitangebot? Man muss für neue Ideen auch ein bisschen Geduld investieren.
Wenn wir uns die Nächtigungszahlen anschauen, sehen wir natürlich 2003 die Spitze, aber ohne diese ist trotzdem eine recht kontinuierliche Steigerung zu erkennen. Wären wir nicht auch ohne die Kulturhauptstadt heute vor knapp einer Million Nächtigungen jährlich?
Strobl: Sicher nicht.
Stingl: Wenn Sie sich die Bilanz von 2003 anschauen, dann sehen Sie, dass wir eine der stärksten Kulturhauptstädte waren, und die internationale Aufmerksamkeit war enorm. Ich war ja sehr reserviert, als Intendant Lorenz meinte, wir müssen 30 Prozent des Budgets in die Werbung investieren. Das war mir zu viel, aber er hat recht gehabt. Plötzlich sind wir ein Punkt auf der Landkarte geworden. Und das ist auch eine Form von Nachhaltigkeit.
Ein Gemeinsamkeit, die Sie beide fast tragisch eint: Sie haben beide die Kulturhauptstadt vorbereitet, aber nicht mehr als aktive Amtsträger erlebt.
Strobl: Ich bin schon zwei Jahre vorher aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten …
Stingl: Das hat mir damals sehr leidgetan. Wir hatten immer eine kultivierte Zusammenarbeit. Auch in den Wahlkämpfen. 2003 hat Siegfried Nagl dann die Wahl gewonnen und er hat uns beide gebeten, dass wir im Aufsichtsrat der Kulturhauptstadt das Jahr begleiten. Das haben wir gemacht und erst nach der Abrechnung, im Mai 2004, unsere Ämter niedergelegt. Und ich habe immer gesagt, dass die Kulturhauptstadt kein Prestigeprojekt meiner Amtszeit sein wird.
Hat es Sie nicht geärgert, dass es für so ein insgesamt erfolgreiches Projekt nie eine politische Belohnung, also einen Wahlerfolg, gab? Seit 2003 hat die SPÖ ja keine Gemeinderatswahl mehr gewonnen.
Stingl: Das steht auf einem anderen Blatt. Und man hätte so etwas nie machen können, wenn man das parteipolitisch spielt. Das wäre niemals gegangen. Es gibt nichts Vernünftigeres als den unabdingbaren Willen zweier Partner zusammenzustehen. Und zwar durch dick und dünn. Und das ging damals alles. Ich allein hätte das nicht zusammengebracht.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Herr Stingl, Herr Strobl, vielen Dank für das Gespräch.
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Zehn Jahre Kulturhauptstadt bedeuten auch zehn Jahre Kunsthaus Graz. Aus diesem Anlass gibt es vom 22. September bis zum 3. Oktober kostenlosen Eintritt ins Kunsthaus.
Geburtstagsfest zu zehn Jahren Kunsthaus am 28. September ab 10 Uhr bei freiem Eintritt und mit stündlichen Spezialführungen. Genaues Programm unter: museum-joanneum.at
Erschienen in Fazit 96, (Oktober 2013) – Foto von Marija Kanizaj
Kommentare
Eine Antwort zu “Was bleibt. Zehn Jahre nach der Kulturhauptstadt”
Antworten
5. September 2019 @ 13:50
[…] Der ehemalige Grazer Kulturstadtrat Helmut Strobl starb am Mittwoch im Alter von 75 Jahren. Er galt als einer der Erfinder des Kulturhauptstadtjahres 2003 und als prägender Grazer Kulturpolitiker. In seine Zeit fiel der Bau der Grazer Stadthalle oder die Wiedererrichtung der Synagoge. Strobl war Vizebürgermeister der Landeshauptstadt. Zur Erinnerung an Helmut Strobl verlinken wir zu einem Doppelinterview, das wir im Jahr 2013 mit ihm und dem ehemaligen Grazer Bürgermeister Alfred Stingl auf der Grazer Murinsel geführt wurde: Was bleibt. Zehn Jahre nach der Kulturhauptstadt. […]