Politicks Dezember 2013
Johannes Tandl | 20. November 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 98, Politicks
Streit ums Budgetloch
Der Streit um das Budgetloch war sogar für uns als gelernte Österreicher ziemlich skurril. Da lügen uns zwei Parteien, die seit Jahrzehnten in einer gemeinsamen Koalition nebeneinander her regieren, die Taschen voll und tun vor der Wahl so, als sei alles in Ordnung, und wollen dann im Zuge der Koalitionsverhandlungen draufgekommen sein, dass in der nächsten Periode strukturelle Abgänge von bis zu 40 Milliarden ins Haus stehen. In jedem anderen Land müssten Regierungschef Werner Faymann und sein Vize Michael Spindelegger und selbstverständlich auch Finanzministerin Maria Fekter die Koffer packen, weil der Wunsch nach innerparteilicher Hygiene stark genug wäre, um diese Leute aus dem Amt zu jagen. Nicht so bei uns in Absurdistan: Bis zum »Kassensturzkompromiss«, bei dem sich die beiden Stillstandskoalitionäre darauf geeinigt (!) haben, dass das strukturelle Defizit eigentlich doch »nur« 24 Milliarden Euro beträgt, war eigentlich klar, dass Finanzministerin Maria Fekter durch Michael Spindelegger »himself« ersetzt wird. Die Noch-Finanzministerin hat angekündigt, dass sie auch ohne Ministeramt politisch weitermachen wird. Aber vielleicht verliert Spindelegger ja doch noch die Lust auf den Ressortwechsel. Denn, wenn 2016 das Nulldefizit verfehlt wird, wäre das ein Desaster für jeden Finanzminister.
Das strukturelle Defizit ist nichts Neues
Obwohl sich die Steuerprognosen seit beinahe einem Jahr nicht wesentlich verschlechtert haben, tut die ÖVP nun überrascht, dass im Budget eine mehrere Milliarden schwere Lücke klafft. Wer also nun behauptet, es sei nicht absehbar gewesen, wie sich das Budget in den nächsten Jahren entwickeln wird, weil sich die Prognosen verschlechtert hätten, lügt.
Der Sager des ersten Schattenkanzlers, Michael Häupl, es gebe gar keine Budgetlücke, sondern nur ein Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben, ist wiederum dermaßen skurril, dass er kaum kommentiert werden kann: Das Auto hat keine Panne, es funktioniert nur nicht, oder der Herr soundso ist nicht krank, er ist nur nicht gesund. Um die »eigenen Leute« bei der Stange zu halten, wurden also von SPÖ und ÖVP im vollen Wissen, dass das Budget ihre Politik nicht tragen kann, Geschenke gemacht, Reformen verwässert oder gänzlich verhindert. Dass auch die Oppositionspolitiker – mit Ausnahme des Grünen Werner Kogler – nicht in der Lage waren, das Ausmaß des Budgetdesasters aufzuzeigen, wirft aber auch auf diese kein gutes Licht.
Faymann und Spindelegger bleiben Kanzler und Vizekanzler
Eigentlich haben zwei Parteien, die den jungen Menschen dieses Landes aus wahltaktischen Überlegungen die Zukunft zerstören, nichts in einer kommenden Regierung verloren. Trotzdem ist klar, dass Faymann und Spindelegger die nächste Regierung anführen werden. Denn auch der zweite Schattenkanzler, Erwin Pröll, hat sich längst festgelegt.
Trotz der in den nächsten Tagen ins Haus stehenden Lippenbekenntnisse, endlich tatsächlich die Verwaltungsreform umzusetzen und bei den Pensionszuschüssen zu sparen, stehen uns also weitere fünf Jahre des Stillstands ins Haus, in denen Österreich wirtschaftlich noch weiter hinter die Spitze und vor allem hinter Deutschland zurückfallen wird. Dabei gäbe es in beiden Parteien genügend helle Köpfe, die dazu bereit wären, echte Reformen zu wagen. Da muss man nur in die Steiermark blicken, wo mit Franz Voves und Hermann Schützenhöfer zwei Politiker, die auch lange Zeit zugelassen haben, dass ihr Bundesland in Grund und Boden gewirtschaftet wird, den Mut – aber auch die erforderliche Härte zu sich selbst – aufbrachten, um das Steuer herumzureißen.
Zwingen die leeren Kassen zu einer Bundes-Reformpartnerschaft?
Dass die steirische Reformpartnerschaft nur entstehen konnte, weil nach den Jahrzehnten der Verschwendung das Ende der Fahnenstange erreicht war, ist klar und wird auch von ihren Protagonisten so gesehen. Der Bund steht nun vor der gleichen Situation wie die Steiermark im Jahr 2010. Doch um die anstehenden finanziellen Herausforderungen stemmen zu können, müssten die Spitzen von SPÖ und ÖVP über ihre parteipolitischen Schatten springen können. Das wird jedoch nicht funktionieren.
Denn die politischen Lobbys sind in Wien ungleich stärker als in Graz. Franz Voves war zudem als Quereinsteiger bestenfalls seinem politischen Erfinder Peter Schachner-Blazizek verpflichtet.
Diese Schuld hat der Landeshauptmann abgedient, indem er Schachner zum Aufsichtsratschef des Landesenergieversorgers ESTAG gemacht hat. Außerdem hat Voves in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit nichts unversucht gelassen, um das Land nach 60 Jahren ÖVP-Dominanz in der kürzest möglichen Zeit umzufärbeln und sich dabei die Anerkennung und den Respekt der SPÖ-Vorfeldorganisationen zugezogen.
Zwischen 2005 und 2010 reichte nämlich ein SPÖ-Parteibuch oft schon aus, um eine vielversprechende Karriere im Landesdienst zu begründen. Als Voves seinen Gefolgsleuten 2010 klarmachen musste, dass die Party vorbei ist, war die Dankbarkeit der Partei so groß, dass sie ihm selbst bei den schwierigsten und unpopulärsten Reformen anstandslos gefolgt ist.
Bei der steirischen ÖVP war es etwas anders. Der Konsenspolitiker Hermann Schützenhöfer musste 2005, nachdem seine Partei nach 60 Jahren den Landeshauptmannssessel verloren hatte, ein unmögliches Erbe antreten. Mit einer auf Dissens ausgerichteten Politik schaffte er es, bei der Landtagswahl 2010 bis auf wenige Stimmen an Franz Voves heranzukommen. Das war etwas, was zuvor eigentlich für undenkbar gehalten wurde. Deshalb hatte Schützenhöfer immer genügend Spielraum, um innerparteilich selbst unpopuläre Reformen wie die Gemeindereform durchzusetzen.
Minderheitskabinett als unrealistische Alternative
Obwohl die Bevölkerung endgültig genug hat von der großen Koalition, sind SPÖ und ÖVP dazu verdammt, es noch einmal miteinander zu versuchen. Dabei wäre es vielleicht tatsächlich an der Zeit, es mit einer Minderheitsregierung zu versuchen. Das wäre zwar ein echtes Experiment, doch eine Regierung, die sich wechselhafte Mehrheiten für unterschiedliche Probleme suchen muss, könnte so lange funktionieren, bis zumindest einige jener Baustellen abgeschlossen wären, die dem Land Milliarden kosten und nicht angegangen werden, weil entweder die rote oder die schwarze Kernklientel betroffen ist. So könnte eine SPÖ-geführte Minderheitsregierung einiges im Bereich des Bildungssystems weiterbringen und eine ÖVP-geführte Regierung könnte einiges für den Wirtschaftsstandort oder die Sanierung des Pensionssystems erreichen. NEOS-Chef Matthias Strolz hat jedenfalls im Interview mit der Zeitung »Österreich« bereits angekündigt, dass er eine Minderheits-Koalition mit der ÖVP für denkbar hält und für ihn sogar die Duldung von Schwarz-Blau in Frage käme. FPÖ und Grüne wiederum werden sich auf solche Spielchen nicht lassen.
Schließlich haben die beiden Parteien bei der EU-Wahl erstmals die Chance,
bei einer Bundeswahl die Plätze eins und zwei einzunehmen. Das wird von SPÖ und ÖVP aber wohl wieder nicht als Signal für echte Reformen verstanden werden, sondern nur dazu, sich noch weiter einzubunkern.
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Politicks, Fazit 98 (Dezember 2013)
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