Fetisch Wachstum
Michael Thurm | 20. Dezember 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 99, Fazitthema
Warum alles immer mehr werden muss, aber nicht kann.
::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Eine der erfolgreichsten Werbe-Erzählungen der Achtzigerjahre ist die der Wachstum fördernden Fruchtzwerge. »So wertvoll wie ein kleines Steak« lautete der Originalslogan, später umgewandelt zu »Kleiner Quark – knochenstark«. Nur wer genügend Fruchtzwerge isst, wird groß und kräftig. Das war das Versprechen, mit dem kleine Kinder zum Fruchtquark überredet wurden, der ihnen dank ausreichend Zucker und bunter Verpackung auch noch geschmeckt hat.
Jeder vernünftige Mensch verabschiedet sich irgendwann von Fruchtzwergen – schon weil diese Ein-Löffel-Portionen so albern sind. Die Hoffnung vom immerwährenden Wachstum wird stattdessen von der eigenen Körpergröße auf das Unternehmen übertragen. Wachstum ist gut, je mehr, desto besser – das galt und gilt weitgehend unwidersprochen. Bis vor 40 Jahren erstmals der »Club of Rome« mit seinen Warnungen vor zu viel Wachstum für Aufmerksamkeit sorgte. Und auch wenn die Apologeten von damals aus unterschiedlichen Gründen heute widerlegt sind oder für unglaubwürdig befunden werden, gehören zu jedem guten Konjunkturtrend auch die Warnungen, es nicht zu übertreiben. Denn Wachstum ist ein zartes Pflänzchen – wer es auf Dauer erhalten will, sollte bescheiden sein.
Wachstum und seine Grenzen
Auch wenn verführerische Analogien von Menschen, Unternehmen und Staaten oft falsch sind: Für alle gibt es ungesunde Übergrößen und zu rasante Wachstumskurven. Jugendliche, die zu schnell wachsen, bekommen ebenso Medikamente wie jene, die überhaupt nicht wachsen. Zahlreiche zu schnell gewachsene Unternehmen wurden durch plötzliche Liquiditätsprobleme in den unnötigen Ruin getrieben. Und die Staaten, die ihr Wirtschaftswachstum durch immer mehr und vor allem zu hohe Schulden finanziert haben, müssen sich heute mit Sparpaketen »gesundschrumpfen«. Gleiches gilt für viele Banken, die während der Finanzkrise ihre Bilanzsummen gezielt verkleinert haben.
Die Thesen des »Club of Rome« haben auch nach dessen 40-jährigem Jubiläum noch Anhänger: Wachstum ist endlich und schon allein durch die begrenzte Menge natürlicher Ressourcen eingeschränkt. Vor kurzem erneuerte der frühere Chefökonom der Weltbank Larry Summers seine Warnungen und prophezeite den führenden Industrieländern eine lang anhaltende Wirtschaftsflaute mit geringem bis nicht vorhandenem Wachstum. Dabei ist gerade Wirtschaftswachstum die einzige »gefahrlose« Hoffnung, die weltweit hohen Staatsschulden zu reduzieren, künftige Pensionen zu finanzieren, den erreichten Wohlstand zu bewahren und vor allem neue Arbeitsplätze für jene zu schaffen, deren Jobs durch den technologischen Fortschritt obsolet werden. Unser ganzes bisheriges System vertraut auf Wachstum.
Defizit vs. Wirtschaftswachstum
In den letzten 60 Jahren war dieser Zusammenhang offensichtlich: Das Wohlstandsniveau stieg kontinuierlich mit dem Wirtschaftswachstum, Krisen wurden innerhalb weniger Jahre überwunden und konnten dem stetigen Aufwärtstrend nichts anhaben. Dass parallel auch die Staatsschulden weiter wuchsen, sorgt aber seit 2009 für die problematischste aller Nachkriegskrisen. Weil sie nämlich das System in Frage stellt. Während Wohlstand immer wieder neu erarbeitet und finanziert werden muss, werden Schulden kumuliert und durch den Schuldzins wachsen sie sogar expotentiell. Es war unser Glück, dass die Grenzen dieser Methode zuerst in anderen Ländern deutlich wurden, als nämlich Griechenland, Malta und das inzwischen wieder besser wirtschaftende Irland plötzlich Probleme bekamen, bezahlbare Kredite zu erhalten. Ein hoher Schuldenstand und geringe Erwartungen an die ökonomische Zukunft sorgten für deutlich höhere Zinsen am Kapitalmarkt und brachten die Staaten in Zahlungsnöte. Das wird auch Österreich passieren, wenn nicht rechtzeitig der Schuldenpolitik und Reformverweigerung ein Ende gemacht wird.
Geht‘s auch ohne?
Lässt sich ein Wirtschaftssystem auch so gestalten, dass es ohne oder mit nur geringem Wachstum auskommt? Das berühmte »Nullwachstum« ist im Grund alles andere als erstrebenswert – aber eben keine Katastrophe. Sowohl Aktionäre und Unternehmen als auch der Staat sollten mit Kontinuität umgehen können und nicht »auf Wachstum spekulieren«. Denn wer davon ausgeht, dass immer größere Schuldenberge durch immerwährendes Wachstum irgendwann einmal bezahlt werden können, der irrt und sollte diesen Irrtum angesichts der letzten 60 Jahre einsehen. Wer heute noch glaubt, dass die Wachstumsgewinne zur Schuldenreduktion eingesetzt werden, der hat weder John Maynard Keynes noch das Wesen der Krise verstanden. Hinzu kommt das Phänomen, dass gutes Wirtschaftswachstum sogar noch die relative Verschuldung verringert: Wenn sich nämlich eine Bilanzsumme nach einem Jahr von 100 auf 109 Millionen Euro erhöht, sind das neun Prozent Wirtschaftswachstum. Wenn sich im gleichen Zeitraum aber die Neuverschuldung von drei auf neun Millionen erhöht (also verdreifacht!), ist das nur ein Anstieg von drei auf 8,2 Prozent! Obwohl also das gesamte Wachstum von neun Mio. Euro schuldenfinanziert ist, suggeriert der relative Vergleich (8,2 Prozent Verschuldung vs. 9 Prozent Wachstum) eine positive Entwicklung.
Wachstum durch Schulden
Schulden und Investitionen dürfen für den Staat nur Mittel sein, um Krisen zu dämpfen und konjunkturellen Depressionen etwas entgegenzuhalten. Wenn sie in guten Zeiten verwendet werden, führt das erneut und tiefer in die budgetäre Sackgasse, in der wir uns aktuell befinden. Darin unterscheidet sich der Staat eben von Unternehmen, die natürlich gelegentlich Investitionen durch Schulden tätigen müssen, um überhaupt langfristig erfolgreich sein zu können. Das gelingt des Öfteren, aber manchmal endet es in einer Pleite, die für Angestellte, Eigentümer und Banken immer eine Katastrophe ist. Ein Staat sollte sich auf dieses Spiel nicht einlassen, denn dessen faktische Pleite – siehe Griechenland – hätte weit gravierendere Folgen als der Konkurs jeder noch so großen Firma. Stattdessen hat der Staat die Aufgabe, über die Generationen hinaus zu denken und das richtige Maß zu finden: Wann braucht es Schulden, um jetzt Schlimmes zu verhindern; wann braucht es Reformen, um künftig noch Schlimmeres zu vermeiden. Aktuell scheinen die Überlegungen der Politik zu oft im ersten Teil der Frage zu verharren und die Diskussionen über wichtige Reformen lediglich in Fernsehdiskussionen stattzufinden, aber leider nicht im Parlament.
Qualitatives Wachstum statt Rekordergebnissen
Auf Wachstum zu verzichten kann dabei nicht die Lösung sein. Die Gründe dafür führen unsere Gesprächspartner in seltener Einigkeit plausibel an. Doch es gilt, dieses Wachstum nicht um jeden Preis, vor allem nicht um den Preis ewiger Neuverschuldung zu erreichen und stattdessen gelegentliche Nullwachstumsjahre zu überstehen. Dieses Dilemma müssen wir aushalten: Nach mehr streben und mit weniger zufrieden sein. Die Logik des »immer mehr« geht nicht auf – es sich im Stillstand bequem zu machen aber auch nicht.
Was wir ändern sollten: Politiker und Firmen nicht immer nur an nominellen Wachstumszahlen messen, sondern auch an qualitativen Veränderungen wie Arbeitslosenzahlen bzw. der Anzahl der Beschäftigten bei einem Unternehmen, ihren Arbeitsbedingungen etc. Zehn neue Arbeitsplätze, die bei gleichbleibendem Ertrag finanziert werden können, müssen erstrebenswerter sein als zehn Prozent Plus beim Jahresgewinn.
Titelgeschichte Fazit 99 (Jänner 2014)
Kommentare
Antworten