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Sturmlegende mit Weitblick

| 26. März 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 101, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Rot oder Schwarz. Im Fußball war es in Graz immer wie in der Politik – man musste sich für einen entscheiden. Doch anders als bei den Parteien stand Schwarz für den Verein der Arbeiter, den Sportklub Sturm Graz. Ein Mythos, der auch durch die Kult-Heimstätte des Vereins, die »Gruabn« am Jakominigürtel, entstand. Auf dem engen Spielfeld nahe dem Stadtzentrum wurde ein besonders kampfbetonter Stil geprägt, der die Gegner das Fürchten lehrte. Mario Haas wurde von diesem Mythos schon als kleiner Bursch angezogen, für das Fazit kehrte er zurück an seine alte Wirkungsstätte. Ein Gespräch über ein Leben in Schwarz und Weiß sowie die seltenen Graubereiche des Fußballs.

Foto von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Herr Haas, Sie waren Sturm als Spieler bis auf zwei kurze Auslandsgastspiele stets treu und haben Ihren Vertrag auch in schwierigen Zeiten immer wieder verlängert, obwohl Sie bei anderen Klubs mehr Geld verdienen hätten können. Vergangenen Herbst haben Sie den Verein nach knapp einem Jahr als Marketing-Mitarbeiter plötzlich verlassen. Warum?
Es hat einfach nicht mehr gepasst.

Was hat nicht gepasst? Sturm und Mario Haas – das passte immer.
Es ist manchmal so und ganz normal. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, findet man nicht zusammen.

Tut es weh, nicht mehr Teil des Vereins zu sein?
Es ist vielleicht gar nicht schlecht, alles einmal von außen zu sehen. Außerdem bin ich mir sicher, dass das, was zusammengehört, auch wieder irgendwann zusammenfinden wird. Ich arbeite ohnehin noch mit Sturm. Ich versuche, weiterhin Firmen zu finden, die den Verein sponsern wollen, und bekomme bei Abschluss eine Provision. Auch wenn das natürlich theoretisch jeder Privatier machen könnte.

Für Abschlüsse waren Sie zu Ihrer aktiven Zeit bekannt. Sie sind mit 547 Einsätzen nämlich nicht nur Sturms Rekordspieler, sondern auch mit 180 Volltreffern Sturms Rekordtorschütze. Einen wie Sie könnte man in der sportlich schwierigen Situation derzeit gut gebrauchen. Wie oft würden Sie noch gerne spielen?
Wenn man für den Fußball lebt und gelebt hat wie ich, wird man die Zeit immer vermissen. Aber der Fußball hat sich gewandelt. Und manchmal ist es mir gar nicht unrecht, dass ich nicht mehr aktiv bin. Es wird für einen jungen Spieler immer schwieriger, Fuß zu fassen.

Warum?
Der Druck nimmt zu. Durch die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter hat auch im Profifußball eine neue Kultur Einzug gehalten. Ein Fußballer steht viel mehr und viel direkter in der Öffentlichkeit. Man kann sich kaum mehr frei bewegen und ist immer unter Beobachtung. Ein junger Spieler hat heute ein oder zwei Jahre Galgenfrist, dann muss er ständig seine Leistung bringen. Für die Medien, den Trainer, die Geschäftsführung oder den Vorstand.

War das früher nicht gleich?
Nur in Ansätzen. Heute nimmt jemand sein Smartphone und fotografiert dich beim Fortgehen. Oder er lässt sich online anonym darüber aus, was du beim letzten Spiel falsch gemacht hast. Damit umzugehen ist alles andere als einfach. Wenn du es dennoch schaffst und in den auserwählten Kreis der Bundesliga aufgenommen bist, kann es dir natürlich noch immer gut gehen als Fußballer heute. Das Problem ist nur, dass du vielleicht einen guten Vertrag für drei Jahre bekommst, im Durchschnitt zehn Jahre aktiv bist. Und genau diesen Weg wollen mittlerweile sehr viele junge Kicker gehen.

Warum ist es heute schwerer als früher, den Durchbruch als Profifußballer zu schaffen?
In den Akademien, die es in allen Bundesländern gibt, werden Fußballer gezielt ausgebildet. Jahr für Jahr strömen sehr gut ausgebildete Fußballer nach, die Vereine tun sich aber immer schwerer damit, anständig zu zahlen.

Ist das Ausland mit den großen Ligen in Deutschland oder England der einzige Ausweg?
Natürlich gibt es dort mehr Geld zu verdienen, aber aus der österreichischen Bundesliga rauszukommen ist auch schwer. Die heimische Liga ist im internationalen Vergleich nicht so hoch bewertet. Junge Spieler wollen heute schon mit 15 Jahren ins Ausland. Das kann eine Chance sein, birgt aber auch Gefahr: Die Burschen haben keine Ausbildung und gehen ein großes Risiko ein, falls sie den Sprung nicht schaffen.

Sie sind den sicheren Weg gegangen und haben den Beruf des Stahlbauschlossers erlernt.
Ja, mein großer Vorteil war, dass mein Chef, Gert Pölderl, bei Sturm im Vorstand war. Es war viel Verständnis dafür da, wenn ich zum Training musste. Ich habe übrigens auch hier in der »Gruabn« gearbeitet. Da war ich noch ganz frisch in der Kampfmannschaft, als sich meine Kollegen am Rasen bereits aufgewärmt haben, habe ich noch an der Tribüne geschraubt. Auch bei der Montage der alten Stadionuhr habe ich geholfen.

In den heutigen Akademien sind nur mehr wenige Burschen dabei, die einen Beruf erlernen, dafür steht die Matura hoch im Kurs. Der Weg, den ein Fußballer heute nimmt, ist ein ganz anderer geworden. Vielerorts wird das kritisiert – die Straßenfußballer wie Marko Arnautovic, die für die besonderen Momente sorgen, sterben angeblich aus.
Das stimmt absolut. In den Akademien werden gezüchtete Fußballer produziert. Jeder erwartet dennoch die außergewöhnlichen Talente. Wenn man aus der Reihe tanzt und nicht dem Konzept der Ausbildung entspricht, das die Akademien haben, gilt man als disziplinlos. Es geht natürlich auch nicht ganz ohne Disziplin, aber von diesen extravaganten Spielern, die nicht immer das machen, was der Trainer fordert – die Spieler, die vielleicht einmal einen Haken zu viel machen –, von denen lebt der Fußball auch. Und das Problem ist noch ein ganz anderes: Oft wissen gezüchtete Fußballer dann nicht, wie sie neue Situationen im Spiel lösen sollen, weil sie plötzlich zur Eigenverantwortung gezwungen werden und keinen Ausweg mehr finden. Das ist bei Straßenfußballern anders. Sie versuchen in den Akademien, der  Ideenlosigkeit mit besonderen Trainingsformen entgegenzuwirken, aber das ist nicht dasselbe. Du hast dich früher einmal in deiner Siedlung durchsetzen müssen oder nicht. Das kann man sich nicht aneignen, Straßenfußballer ist man eben oder nicht.

Sie sind einer gewesen.
Ja. Ich habe mich mit sieben Jahren gegen Zwölfjährige durchsetzen müssen. Ich hatte mehr blaue Flecken als die Älteren, aber geschadet hat es mir nicht.

Der Fußball hat sich im Gesamten stark gewandelt. Sie wurden Profi, als im Fußball vor allem durch die Öffnung der Übertragungsrechte für das Privatfernsehen das große Geld Einzug hielt. Als Sie 1993 Ihr Profi-Debüt gaben, waren die Champions League und die englische Premier League gerade einmal ein Jahr alt. Hat diese Entwicklung dem Fußball geschadet?
Ich sehe das realistisch. Es muss alles irgendwie bezahlt werden. Die Stadien werden größer, weil das Interesse immer mehr zunimmt, und die Fußballklubs sind Betriebe geworden, bei denen Geld hereinkommen muss, damit die Mitarbeiter bezahlt werden können. Und auch die Spieler wollen immer mehr verdienen. Durch das Bosman-Urteil im Jahr 1995 (Anm.: Fußballern ist es in der EU seitdem erlaubt, nach Vertragsende ablösefrei zu wechseln) hat sich ebenfalls viel verändert. Plötzlich haben Durchschnittskicker durch eine starke Halb-Saison hoch dotierte Verträge bekommen. Die wirklich guten Fußballer wollten aber auch mehr verdienen und die Gehälter wurden immer höher.

Wayne Rooney vom englischen Spitzenklub Manchester United hat unlängst einen Vertrag unterschrieben, der ihm laut Medienberichten 360.000 Euro pro Woche einbringen soll. Ist das noch verhältnismäßig?
Ein Spieler sagt nicht nein. Wenn jemand von einer Firma abgeworben wird und dort 1.000 Euro mehr verdienen soll, wird er wahrscheinlich auch wechseln, oder?

Wahrscheinlich.
Das ist im Fußball dasselbe. Wenn der Verein der Meinung ist, dass der Spieler es wert ist, wird er ihm dieses Gehalt zahlen. Weil der Klub überzeugt ist, dass der Spieler ihm etwas zurückgibt. Sei es in Form von Toren, höheren Merchandising-Umsätzen oder besseren Imagewerten. Oft ist ein Spieler eine Identifikationsfigur eines Vereins, die über Jahre aufgebaut wurde. Bevor man Gefahr läuft, die zu verlieren, greift man lieber tiefer in die Tasche. Das ist eben sehr schwierig. Man kann nicht einfach einen Spieler züchten, der Aushängeschild eines ganzen Klubs ist.

Sollte es dennoch Gehaltsobergrenzen geben?
Gibt es die woanders in der Wirtschaft?

Zumindest in den USA dürfen in der Profifußballliga nur drei Spieler pro Verein die Gehaltsobergrenze von 368.750 US-Dollar übersteigen.
Dennoch halte ich es für schwierig. In anderen Bereichen der Wirtschaft gibt es auch keine Obergrenzen.

Gibt es eigentlich Neid unter Fußballern?
Wenn ich an meine Zeit zurückdenke, haben Ivica Vastic, Hannes Reinmayr oder ich zu den großen Zeiten Ende der 1990er auch mehr verdient als andere in der Mannschaft – aber durch die Punkteprämien haben sie mitverdient und so gewusst, dass sie von unseren Toren profitieren.

Weil wir gerade bei den Identifikationsfiguren waren. Viele Sturm-Fans sagen derzeit: »Ich bin Sturm-Fan, aber nicht Fan dieser Mannschaft, weil ich mich nicht mit ihr identifizieren kann.« Fehlen der derzeitigen Sturm-Mannschaft Aushängeschilder, wie Sie eines waren?
Das höre ich auch oft. Es ist eine Generation da, die zwei oder drei Jahre beim Verein bleibt und dann wieder weiterzieht. Dadurch kann man als Verein sehr schwer eine Mannschaft aufbauen. Im Moment hat man das Gefühl, dass Routiniers fehlen, die unerfahrenen Spielern helfen, aus der Krise zu kommen. Als ich ein älterer Spieler war, bin ich vorweggegangen, habe Dinge auf meine Kappe genommen. Die Jungen mussten nicht vor die Kameras treten, ich habe für sie mitgesprochen.

Wo sind die Fehler passiert in den letzten Monaten oder vielleicht sogar Jahren?
Im Nachhinein redet man immer leicht. War Paul Gludovatz der richtige neue Sportdirektor? Wahrscheinlich nicht. Waren Trainer Peter Hyballa und sein Co-Trainer bzw. späterer Sportdirektor Ayhan Tumani die Richtigen für Sturm? Ich sage nein. Hyballa war ein junger Trainer, der seine fachlichen Kompetenzen hatte, aber menschliche Defizite. Und er hatte mit verdienten Spielern wie mir ein Problem.

Ein verdienter Spieler sorgte vergangenen Sommer für eine große Euphorie. Warum konnte Darko Milanic, der in Slowenien beim NK Maribor in fünf Jahren viermal Meister und dreimal Pokalsieger wurde, die in ihn gesetzten Hoffnungen noch nicht erfüllen?
Seine Erfolge zeigen, dass er kein schlechter Trainer ist. Vielleicht hat er für das System, das er spielen will, die falschen Spieler. Dass Anel Hadzic, Daniel Offenbacher, Manuel Weber und wie sie alle heißen Qualität haben, steht außer Frage – sie haben es auch schon oft genug bewiesen. Ich glaube, er hat die Mannschaft, die sein System spielt und seine Philosophie versteht, noch nicht gefunden. Man kann bei Sturm ja keinem Spieler vorwerfen, dass er nicht will. Vielleicht ist es manchmal sogar das Gegenteil, vielleicht wollen manche auch einmal zu viel. Vielleicht denken manche auch einmal zu viel nach. Auch das ist im Fußball manchmal das Richtige: Den Spielern einfach zu sagen, dass sie rausgehen und Spaß haben sollen. Mir war der Druck immer egal. Wenn ich zehn Chancen vergeben habe, hat es halt beim elften Mal funktioniert.

Machen Sie sich Sorgen um Sturm? Vor allem finanziell.
Nein. Man kann im Fußball eben nicht vorausschauen, es hängt immer nur vom sportlichen Erfolg ab.

Weil der ausbleibt, sollen 1,3 Millionen Euro fehlen.
Wenn man eins und eins zusammenrechnet und von den Zuschauerzahlen ausgeht, die Sturm derzeit hat, kann man annehmen, dass da etwas dran ist.

Wären Sie verantwortlich gewesen – hätten Sie anders budgetiert?
Weiß ich nicht. Es gibt so viele Leute, die jetzt mitreden wollen und alles schlecht reden. Aber wenn jemand eine Idee hat, wie man ganz schnell alles besser machen kann, soll er kommen. Das passiert aber nicht, stattdessen wird nur kritisiert. Ich habe auch kein Konzept für die schwierige Situation, aber den Trainer zu entlassen, ist die einfachste Lösung. Im Fußball ist es so: Wenn es sportlich läuft, ist das Stadion voll und alles ist in Ordnung. Wenn es nicht läuft, ist alles schlecht.

Tatsächlich gab es bei Sturm wenige Graubereiche. Nach dem überraschenden Meistertitel 2011 und dem knapp verpassten Einzug in die Champions-League kam der sportliche Abstieg von Sturm just in dem Moment, in dem sich der Klub dazu entschloss, ein von Geschäftsführern geleitetes Unternehmen anstatt eines ehrenamtlich geführten Vereins sein zu wollen. War man damals, vor ziemlich genau zwei Jahren, einfach noch nicht dazu bereit?
Ich glaube, das ist Zufall. Das war eine absolut richtige Entscheidung, weil dieser Schritt für einen professionell geführten Fußballklub heute einfach notwendig ist. Auch andere Vereine haben solche Phasen durchgemacht. Der sportliche Bereich ist davon zu trennen. Schon im Herbst kann die gleiche Mannschaft ganz vorne mitspielen und das Stadion ist jedes Mal ausverkauft. Im Endeffekt will der Sturm-Fan sehen, dass man kämpft und das Trikot am Ende des Spiels dreckig ist. Die Sturm-Fans sind eigentlich sehr dankbar und noch treuer. Denn Spieler kommen und gehen, aber die Fans werden immer bleiben.

Sie sind im Dezember 2012 als Spieler gegangen. Anders als die meisten Fußballer haben Sie schon während Ihrer Karriere versucht, sich für die Zeit nach der aktiven Laufbahn abzusichern. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Mario Haas eine Marke sein kann?
Als ich gewusst habe, dass es bald zu Ende ist, habe ich mir immer die Frage gestellt, was nach meiner aktiven Zeit passiert. Es ist nicht so, dass in der Berufswelt alle auf ehemalige Fußballer warten. Ich habe das Glück, dass ich mit diesem Verein so viel erreichen durfte, und dadurch fällt es mir leichter, mir etwas aufzubauen. Nichts zu tun geht bei mir sowieso nicht. Ich habe daher verschiedene Projekte am Laufen, die in meiner Gesellschaft gebündelt werden. Meine Fußballcamps gibt es schon länger und seit Neuestem biete ich auch Individualtraining für junge Spieler an. Außerdem schreibe ich zusammen mit einer Autorin Kinderbücher und vergangenen Winter ist meine Biografie erschienen.

Es hat einmal geheißen, Mario Haas gehört immobilientechnisch halb Graz.
Das war einmal. Damit habe ich schon lange ganz aufgehört. Das hat mir nur Probleme gebracht. Auch ich habe viel Geld verloren in der Krise.

Warum denken so wenige Fußballer wirtschaftlich so weit wie Sie?
Weil sie glauben, dass es immer weiter geht. Aber wenn es für die Bundesliga nicht mehr reicht und man plötzlich ein paar Klassen tiefer spielt, dann verdient man eben bei Weitem nicht mehr so viel.

Sie sind mittlerweile Trainer ein paar Klassen tiefer – in der Gebietsliga Mitte beim SV Tobelbad. Ist das nicht eine ganz andere Fußballwelt?
Natürlich, aber die richtige für den Anfang. Die Gebietsliga ist die zweitniedrigste Liga, aber zum Lernen passt es perfekt für mich. Ich sehe meine Zukunft im Trainerjob und weiter unten kann man nun mal viel leichter etwas verändern – die Mannschaft, einzelne Spieler, aber auch einen Verein im Gesamten.

Herr Haas, vielen Dank für das Gespräch!

***

Mario Haas wurde 1974 in Graz geboren und wuchs dort in der Schönausiedlung im Bezirk Jakomini auf. Mit sechs Jahren schnürte er erstmals die Fußballschuhe für Sturm Graz, wo er spätestens in den Nullerjahren zur lebenden Legende reifte. Als Spieler mit den meisten Einsätzen, den meisten Toren und als einziger Spieler, der an allen Titeln der über 105-jährigen Vereinsgeschichte beteiligt war, beendete er Ende 2012 seine aktive Karriere. Heute trainiert er den SV Tobelbad in der Gebietsliga Mitte und vermarktet sich über eine eigene Gesellschaft.

Fazitgespräch, Fazit 101 (April 2014) – Foto von Marija Kanizaj

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