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Politicks Juni 2014

| 28. Mai 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 103, Politicks

Haben wir wirklich die Regierung, die wir verdienen?
Für einen Lacher sorgte kürzlich Familienministerin Sophie Karmasin, als sie den »Tag der Arbeit«, den 1. Mai, durch den »Tag der Familie« am 15. Mai ablösen lassen wollte. Damit hätte Karmasin ihren Namenstag als »Tag der kalten Sophie« zum Feiertag erhoben. Die Frau hat Chuzpe, doch während es sich bei ihrem Vorschlag um einen harmlosen Unfug handelte, kostet uns das, was die Regierungsspitze täglich abliefert, nicht nur jede Menge Geld, sondern vor allem Zukunft. Angeblich hat ja jedes Volk die Regierung, die es verdient! Da müssen wir Österreicher uns wohl die Frage gefallen lassen, ob wir in einem früheren Leben nicht alle Brandschatzer und Plünderer gewesen sind. Denn wir werden von einer großen Koalition heimgesucht, die aus Rücksicht auf ihre schrumpfende Klientel und wegen ihres mangelnden Durchsetzungsvermögens in so gut wie allen Bereichen nachhaltige Reformen verhindert. Wir haben das teuerste, aber dafür ineffizienteste Bildungssystem der Welt. Peinlichkeiten wie die mangelnde Evaluierung der Neuen Mittelschule oder das Chaos bei der Zentralmatura sind nur kleine Symptome für die Inkompetenz in diesem Bereich. Die Verwaltungsreform wird angekündigt, findet aber nicht statt. Aus Feigheit vor den älteren Wählern schlittert das Pensionssystem in die Unfinanzierbarkeit. Ein weiteres Milliardenloch droht bei der Pflegefinanzierung, und auch bei der Gesundheitsreform geht nichts weiter. Obwohl die Steuereinnahmen sprudeln wie nie zuvor, gerät das Budget immer weiter aus den Fugen. Dass sich Finanzminister Michael Spindelegger dann auch noch still und heimlich in einem Brief an die EU-Kommission wendet und darum ersucht, von Sanktionen für Österreich abzusehen, weil der mit der EU vereinbarte Budgetpfad nicht gehalten werden kann, ist eine weitere Peinlichkeit. Er, Spindelegger, will ohnehin für weitere Einsparungen sorgen und spätestens 2016 sei Österreich mit dem Budget wieder auf Kurs. Ob Michael Spindelegger beim Erscheinen von FAZIT 103 – drei Tage nach der EU-Wahl – noch ÖVP-Chef ist? Schon möglich! Denn wer, wenn nicht er, will schon eine dermaßen kaputte Partei anführen? Neuerdings wird jedenfalls nicht mehr Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner als wahrscheinlichster Nachfolger genannt, sondern Klubobmann Reinhold Lopatka. Er ist Steirer und soll in keiner Abhängigkeit von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll stehen. Außerdem munkelt man, dass sich Pröll als Preis für Lopatka von den VP-Landeschefs die Zusage zu seiner Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl geholt haben soll.

Mehr Netto vom Brutto! Und was ist mit den Lohnnebenkosten?

Während der ÖVP die Wähler davonlaufen, weil diese ihr die dringend notwendigen Reformen nicht zutrauen, hat die SPÖ ganz andere Sorgen. Bundeskanzler Werner Faymann hat seinen Anhängern so viel Sand in die Augen gestreut, dass denen inzwischen oft gar nicht mehr klar ist, dass das mit den Reichensteuern nur ein Wahlkampfgag war. Inzwischen glauben weite Kreise der alternden SPÖ-Wählerschaft nämlich, dass sie eine Steuerreform tatsächlich mit einer Vermögensabgabe gegenfinanzieren kann und der Finanzminister darauf verzichten kann, auch die gesellschaftliche Mitte abzugreifen. Die SPÖ hat Sozialausgaben und Pensionen für ein paar Stimmen bei den jeweiligen Wahlgängen längst in unfinanzierbare Höhen getrieben. Das ist der wahre Grund für das finanzielle Debakel, in dem sich Österreich befindet. Genau wegen dieser Politik laufen der SPÖ die Arbeiter davon. Denn die Sozialversicherung nimmt 21 Prozent des Bruttobezuges und der Eingangssteuersatz beträgt unglaubliche 36 Prozent. Selbst gering verdienende Vollzeitbeschäftigte kommen so auf eine Abgabenlast von deutlich über 50 Prozent von jeder Lohnkostensteigerung. Da sind die Dienstgeberanteile, die der Arbeitgeber zusätzlich entrichten muss, noch gar nicht mitgerechnet. Immer mehr Arbeitgeber haben aber inzwischen damit begonnen, ihren Arbeitnehmern die tatsächlichen Kosten, die sie für ihren Betrieb verursachen, aufzuschlüsseln. Zu den Bruttolohnkosten kommen daher noch einmal unglaubliche 31 Prozent an Lohnnebenkosten dazu. Da ist einmal der Dienstgeberanteil zur Sozialversicherung von 21,8 Prozent, die Kommunalsteuer von 3 Prozent, der Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse von 1,53 Prozent, der Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds von 4,5 Prozent und dann noch der ominöse weitere Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag von 0,4 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist es nur zu verständlich, dass immer weniger Steuerpflichtige ein Verständnis für die Verschwendungssucht der öffentlichen Hand aufbringen – ganz egal, ob sie irgendwann einmal schwarz, rot oder irgendetwas anderes gewählt haben.

Eustacchio bringt Nagl in Bedrängnis

Der Grazer FPÖ-Chef Mario Eustacchio hat die Rathauskoalition gesprengt. Gut möglich, dass er sich tatsächlich so sehr über die Spielchen der ÖVP geärgert hat, dass ihm der Kragen geplatzt ist. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass ihn taktische Überlegungen zu seinem Schritt getrieben haben.

Denn Eustacchio will Bürgermeister werden. Das sagt er jedem, der es von ihm hören will. Dass Siegfried Nagl – wenn die vermuteten Vereinbarungen halten – spätestens im Herbst die Nachfolge von LH-Vize Hermann Schützenhöfer antreten soll, wird den FPÖ-Plänen weiteren Auftrieb geben. Denn wann, wenn nicht jetzt, kann man die Grazer ÖVP auf dem falschen Fuß erwischen? Schließlich hat Nagl nun über 10 Jahre lang die Grazer Politik geprägt. Er hat drei Gemeinderatswahlen geschlagen und es vor eineinhalb Jahren trotz deutlicher VP-Verluste geschafft, mit großem Abstand die Nummer Eins in der steirischen Landeshauptstadt zu bleiben. Wenn es Eustacchio tatsächlich schafft, Neuwahlen vom Zaun zu brechen, hat ein potenzieller Nagl-Nachfolger kaum die Chance, sich entsprechend zu profilieren. Ein neuerliches Antreten von Nagl kann aus heutiger Sicht ausgeschlossen werden. Der Grund dafür ist die Halbwertszeit, die jeden Politiker ereilt, wenn er zu lange in einer Position verweilt. Denn in aller Regel lieben die Wähler zwar Kontinuität – aber nur zehn Jahre lang. Außerdem hat Nagl die Kronen Zeitung so nachhaltig gegen sich aufgebracht, dass sämtliche Versuche, Chefredakteur Christoph Biro diesbezüglich zu mehr Objektivität zu bewegen, vorerst gescheitert sind. Dazu kommt die Gefahr, die von den NEOS für die ÖVP ausgeht. Die junge Partei hat es in den Städten bisher recht erfolgreich geschafft, sich als urbanere Volkspartei zu positionieren – mit Inhalten, die jenen der Volkspartei ziemlich ähnlich sind, und zum Teil sogar mit Leuten, die sich bereits einmal für die ÖVP engagiert haben; jedoch ohne die alten Zöpfe, welche die ÖVP nicht abschneiden darf, weil sie ansonsten fürchten muß, die Bauern, die Beamten oder die Lehrer als Wähler zu verlieren.

Doch auch die Grünen, die bisher beim Aufsammeln frustrierter christlich-sozialer Ex-ÖVP-Wähler fast ein Monopol besaßen, müssen die NEOS fürchten. Und auch die SPÖ hätte wohl nicht viel zu lachen, wenn in wenigen Wochen Gemeinderatswahlen wären. Im Showdown um den Bürgermeistersessel zwischen Eustacchio und wem auch immer von der ÖVP bliebe nämlich nicht viel Platz für SPÖ-Chefin Martina Schröck. Und so wird es in Graz – zumindest bis zur Landtagswahl im Herbst 2015 – wohl das »freie Spiel der Kräfte« geben. Das ist dann zwar die teuerste Spielart einer VP-SP-Koalition, weil nicht nur die eigenen Klientelen, sondern abwechselnd auch jene der jeweiligen Mehrheitsbeschaffer bei Grünen, Freiheitlichen und Kommunisten befriedigt werden wollen. Wenn es daher vorerst nicht zu Neuwahlen kommt, ist das für FP-Chef Mario Eustacchio auch kein Beinbruch. Eustacchio ist volksnah, verbringt viel Zeit in der Stadt »bei den Menschen« und wird auch bei Nichtfreiheitlichen als smarter Politiker ohne allzu xenophobe oder radikale Ansichten wahrgenommen. Das bürgerliche Lager ist in Graz ohnehin seit jeher in einen eher christlichsozialen Block und in einen eher nationalen Block gespalten. Die Grenzen dazwischen verlaufen fließend. Um es in Graz als Bürgerlicher auf den Bürgermeistersessel zu schaffen, muss man bei beiden Gruppen mehrheitsfähig sein. Das war sowohl bei Alexander Götz der Fall als auch bei Siegfried Nagl. Und bei Mario Eustacchio ist es möglicherweise nicht anders.

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Politicks, Fazit 103 (Juni 2014)

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