Tandl macht Schluss (Fazit 103)
Johannes Tandl | 28. Mai 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 103, Schlusspunkt
Das Chlor, die Hühnerund ein transatlantisches Freihandelsabkommen Die Angst geht um. Diesmal im Fokus: das böse Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. TTIP bedeutet übrigens »Transatlantic Trade and Investment Partnership« oder auf Deutsch Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (THIP). Mit eindrucksvollen Argumenten warnen die irregeleiteten Verbraucherschützer, aber auch die antiamerikanische Linke vor aufgeweichten Standards, die das Abkommen angeblich mit sich bringen würde. In Wahrheit müssen sich die Agrarlobbys diesseits und jenseits des Atlantiks vor dem Vertrag fürchten, denn hüben wie drüben droht dadurch ein rigoroses Zurückschrauben der Agrarsubventionen.
Die Gegner von TTIP bedienen sich bei ihrem Widerstand eines einfachen, aber altbewährten Rezeptes: Sie setzen auf Angst. Und zwar auf die Angst vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln. Als Träger der Angstparolen wurde eine Desinfektionsmethode für Geflügelfleisch gewählt. Denn anders als bei uns in Europa wollen die Gesundheitsbehörden verhindern, dass die amerikanischen Geflügelfarmer Antibiotika zur Bakterienbekämpfung einsetzen. Als eine im Vergleich dazu ziemlich unbedenkliche Methode hat sich daher die Chlordesinfektion durchgesetzt.
Als in einer Stammtischdiskussion über TTIP jemand meinte, dass ihn die EU nun mit Chlorhühnern umbringen wolle, erinnerte ich ihn daran, dass es für ihn doch auch völlig normal sei, seinen Swimmingpool mit Chlor zu desinfizieren.
Der volksverdummenden Argumentation der Antiamerikaner und all jener, die wegen TTIP um ihre Subventions-Pfründe fürchten, gingen aber nicht nur einfache Geister auf den Leim, sondern auch Verbraucherschützer, die noch vor Kurzem ebenfalls ein Verbot des Antibiotika-Einsatzes in der Landwirtschaft gefordert hatten. Auch die alarmistischen Medien haben diese Argumentation gerne aufgegriffen, um damit Auflage bzw. Quote zu machen.
Völlig kleingeredet werden daher die Vorteile, die TTIP als gemeinsamer Markt der beiden größten Wirtschaftsräume der Welt unzweifelhaft mit sich bringen wird. Die EU-Kommission hat berechnet, dass das Abkommen jährliche zusätzliche Erlöse von 119 Milliarden Euro bringen kann, was einem jährlichen Zusatzeinkommen von etwa 500 Euro pro europäischem Haushalt entspricht. Da die Wirtschaft seit der Krise gar nicht bzw. nur sehr langsam wächst, würde das Abkommen dem Bruttoinlandsprodukt endlich jenen Wachstumsschub von etwa einem Prozent geben, den es so dringend braucht, um die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Das Abkommen wird Zölle abbauen und natürlich werden die EU- und US-Standards angepasst. Das ist deshalb notwendig, weil die Lobbys ansonsten über die Standards zusätzliche Hürden aufbauen könnten, die dem Freihandel im Wege stehen.
Durch den Abbau von Marktbarrieren und den Wegfall von doppelten Zulassungsverfahren würden etwa Medikamente billiger werden. Auch die Angst, dass die Justiz durch Schlichtungsstellen ausgehebelt werden würde, entbehrt jeglicher Grundlage. Diese Schiedsgerichte würden nämlich vor allem die Europäer schützen. Aufgrund der exorbitanten Kosten und Strafen kann es sich derzeit kaum ein europäisches KMU leisten, vor einem US-Gericht einen Prozess anzustrengen oder gar zu verlieren.
Die Gegner von TTIP haben also in erster Linie protektionistische Ziele im Sinn. Da wird von Gesundheitsgefährdung gesprochen, von einem kulturellen Diktat der USA, das unsere Vielfalt durch einen Einheitsbrei ersetzen würde und kulturelle Leistungen zu Handelsware herabwürdigen würde. Dabei unterwerfen sich die meisten deutschsprachigen Sender schon derzeit, ganz ohne TTIP, diesem kulturellen Diktat, indem sie – wie etwa der öffentlich-rechtliche Sender ORF 1 – fast völlig auf die Ausstrahlung von Eigenproduktionen verzichten und stattdessen auf »amerikanischen Einheitsbrei« setzen. Von den Amerikanern wird in der Diskussion ein Bild als turbokapitalistische, Hamburger fressende Kulturbanausen gezeichnet, die nichts anderes im Sinn haben, als sich Europa unter den Nagel zu reißen.
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Tandl macht Schluss! Fazit 103 (Juni 2014)
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