Kochwerk Orange
Peter K. Wagner | 2. Juli 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 104, Fazitgespräch
Grün trifft Orange. Aber eigentlich regiert hier Schwarz: Das Restaurant von Didi Dorner am Grazer Karmeliterplatz liegt mitten im Erdgeschoß der Parteizentrale der Steirischen Volkspartei. Während im Foyer grüne Elemente dominieren, künden der orange Kinostuhl neben der Eingangstür und das Schild an der Wand an, was hier in laut Gault-Millau Österreichs bestem, weil einzigem Drei-Hauben-Lokal der steirischen Landeshauptstadt Programm ist: Orange, so weit das Auge reicht.
Im Zuge seiner Scheidung hatte sich der wahrscheinlich beste Koch von Graz dieser Farbe verschrieben. Uhr, Socken, Elemente des Hemdes, die fürs Fotoshooting angelegte Kochschürze sowieso – Orange fehlt auch heute nicht. Und beweist in greller Form: Obwohl das Gespräch am späten Sonntagvormittag stattfindet, ist Didi Dorner gut gelaunt. Denn die Anzahl der orangen Kleidungsstücke steht direkt mit seinem Gemütszustand in Verbindung.
Foto von Marija Kanizaj.
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Herr Dorner, es freut mich, zu sehen, dass Sie heute viel Orange tragen. Ist es eigentlich eines Ihrer Erfolgsgeheimnisse, aufzufallen, um nach oben zu kommen?
Das mit der Berühmtheit ist so eine Geschichte. Ich kann hier nur für mich reden und sagen, dass ich es nie darauf angelegt habe, aufzufallen, sondern immer ich selbst war. Straight und mit Ehrlichkeit. Ich habe Dinge immer gleich herausgesagt, anstatt einen Kropf zu kriegen. Es gibt genug Leute, die sich negativ über mich äußern. Wenn es einem nicht gefällt, soll er zu Hause bleiben.
Aber warum eigentlich Orange?
Ich wurde das immer wieder gefragt und ich antworte immer wieder gerne gleich darauf: Hellblau war ausverkauft. Orange ist mir in Wirklichkeit im Jahr 2001 einfach passiert. Erstmals tauchte die Farbe in einem meiner Bilder auf, das ich gemalt habe. Systematisch wurde es dann mehr. Als ich noch im Landhaus Stainach gearbeitet habe, bin ich jeden Tag im Haus mit dem Lift von der Wohnung hinunter zur Arbeit gefahren. Vor dem Spiegel im Lift stehend, wurde mir bewusst, dass das eine Eigenheit von mir ist. Wenn ich weniger Orange trug, musste ich mehr daran arbeiten, um besser drauf zu sein.
Ist Ihnen die Spitzengastronomie auch einfach passiert?
Nein, das war mir immer klar. An dem Tag, an dem ich gesagt habe, ich mache die Matura nicht, sondern lerne Koch und Kellner, wusste ich, dass ich etwas Hochwertiges machen will. Bereits damals habe ich meine Stationen bewusst ausgesucht und mich nicht umsonst schon mit 25 selbstständig gemacht, weil ich eine klare Vorstellung von Gastronomie hatte. Ich war bereit, mit eigenem Risiko und eigenen finanziellen Mitteln erfolgreich durchzustarten.
Anfangs ging es ins kulinarische Niemandsland der Obersteiermark in Irdning. In einem Umkreis von 50 Kilometer lebten nur 25.000 Menschen, denen Sie Haubenküche angeboten haben. Gab es da nicht viele, die gesagt haben, der spinnt?
Ich war der Meinung, dass es wurscht ist, wo du bist. Das Wichtigste ist, dass du deine Sache gut machst. Die Peripherie hat hier sogar einen riesengroßen Vorteil. Wenn du für etwas Bekanntheit erreichst, dann kommt der Gast bewusst zu dir. Wir sollten in der Gastronomie nicht moderne Huren sein, die versuchen, jedem alle Wünsche zu erfüllen. Spezialisierung ist eine gute Sache und sie ist auch der Grund dafür, dass ich mir um die Top-Gastronomie keine Sorgen mache.
Wäre es nicht einfacher, in der deutschen Gastronomie zu sein als in der österreichischen?
Hätten wir das gleiche Gespräch vor vier Jahren geführt, hätte ich Ihnen absolut Recht gegeben. Heute sag ich: Deckel drauf. Ich bin aber auch siebzehn Jahre am Markt und habe meine Klientel. Wir hatten im Michelin immer gute Bewertungen und waren immer mit einem Stern dabei. Heute schlafe ich aber nicht schlechter, im Gegenteil vielleicht sogar besser, wenn ich den Stern nicht mehr habe. Hohe Wertungen zu bestätigen, ist schon ein mentaler Druck, den man nicht unterschätzen darf.
Also wird Ihnen diese Hauben-Geschichte bereits zu viel?
Für mich hat sie einfach nicht mehr diese Bedeutung. Hier hängt kein Taferl und keine Urkunde mehr. Ich weiß, dass diese Bewerterei und die mediale Präsenz für uns alle in dieser Branche ziemlich wichtig waren, um zu überleben. Heutzutage hat das für uns aber nicht mehr diesen großen persönlichen Stellenwert. Schauen Sie her, ich hab sie eh alle da.
Dorner steht auf und holt einen Gefäß mit unzähligen Stickern positiver Bewertungen, die er nach der Reihe auf den Tisch legt.
Ich könnte die alle an die Tür kleben, aber wofür?
Die jüngere Generation sieht sich vor einem Gastronomie-Besuch gerne Internet-Kritiken an. Könnten diese Plattformen die Gault-Millaus und Michelins vielleicht sogar verdrängen?
Diese anonyme Art der Restaurantkritik im Internet ist für mich die schlimmste Art der Bewertung. Der wahre Kern darin ist meist so klein, dass es eigentlich traurig ist, die Kritiken öffentlich zugänglich zu machen. Ich bin der Meinung, dass Gastronomie und das Erlebnis dabei ganz stark von der Wechselwirkung abhängen. Du kannst einem Gast, der nichts annehmen will, nichts geben. Wenn nicht der Genuss im Vordergrund steht, bist du bereits auf der Verliererspur.
Man liest immer wieder, dass Sie Ihre Gäste rausschmeißen. Passiert das tatsächlich?
In Wirklichkeit habe ich nie jemanden rausgeschmissen, sondern immer nur gebeten, dass wir es lassen sollen. Vorgestern rief mich ein guter Freund an und sagte, dass er mit einigen Leuten zum Essen kommen will. Auf ein Bauchgefühl hin habe ich nachgefragt, um wen es sich denn dabei handelt. Als er mir den Namen sagte, war für mich klar, dass sich die Geschichte bereits im Vorhinein erledigt hatte. Natürlich wäre es für mich ein Leichtes gewesen, diesem Herren eine Menge Geld abzuknöpfen, allerdings im Wissen, dass ich das eigentlich nicht machen will, weil wir eine Vorgeschichte haben, über die ich hier nicht sprechen will. Das habe ich meinem Freund erklärt. Kurz darauf schrieb er mir in einer SMS, dass ihm die Entscheidung gefällt und er einfach so vorbeikommt. Ich bin einfach nur ein konsequenter Mensch.
Es gibt nur wenige Leute in Österreich, die viel Geld für Essen ausgeben wollen. Liegt das daran, dass man in Österreich in nahezu jedem Lokal der Mittelklasse angemessene Qualität bekommt, wenn man das beispielswiese mit der Fast-Food-Kultur in den USA vergleicht?
Mit Ihrer Frage bin ich nicht d’accord. Die österreichische Durchschnittsgastronomie mit Amerika zu vergleichen ist zu einfach. Unter den Blinden ist der Einäugige der König. Wenn man den Durchschnitt in Österreich allerdings mit Hochburgen wie Frankreich, Italien oder Spanien vergleicht, wo man gerne gut isst und dafür auch viel Geld ausgibt, dann sind wir in der Mittelschicht schon weit hinten nach. Wo Sie sicher Recht haben, ist, dass der Österreicher nicht bereit ist, für Essen viel Geld auszugeben, und das vor allem nicht im eigenen Land. Wir schaffen es in der Gastronomie aber auch nicht, uns als starke Einheit zu präsentieren. Ich denke da zum Beispiel an die Tischler als große Einheit, die den Baustoff Holz verkaufen und dafür österreichweit Werbung machen. In Österreich habe ich immer das Gefühl, dass jeder gegen jeden ist. Ich kann mich an eine Studie von vor einigen Jahren erinnern, in der festgestellt wurde, dass 92 Prozent der Franzosen und 85 Prozent der Italiener ihr Geld gerne in gutes Essen investieren. In Spanien waren es überhaupt 98 Prozent, während es in Österreich lediglich um die 50 Prozent sind. Essen und Trinken in der Top-Gastronomie hat für mich in diesem Sinne auch etwas mit Hobby zu tun. Eine Küche wie bei uns oder bei einigen meiner Kollegen, ist keine Alltagsküche.
Sie sehen Essen bei Ihnen also als Spektakel.
Es soll etwas Besonderes sein, ja. Dort schließt sich der Kreis wieder. Ich muss vom Gast die Chance bekommen, dass ich ihm etwas bieten kann. Ähnlich funktioniert das auch mit den Parteien in Österreich. Sie haben alle ihre eigenen idealistischen Wege verloren und versuchen, jedem ein Angebot zu machen, und damit verlieren sie auf allen Fronten. Der Kernwähler fühlt sich verraten und im Endeffekt führt es wieder zu nichts. Wenn ich jemanden mit dem ködern muss, was er gerne hätte, verliere ich ihn in diesem Moment.
Ein Menü bewegt sich bei Ihnen zwischen 99 und 199 Euro. Wo ziehen Sie die Grenze, an der Sie sagen: »Dieses Essen ist zu teuer«?
Ich habe vor einigen Jahren in Paris bei Ducasse für zwei Personen 1.400 Euro bezahlt. In Österreich müssten sich die Gäste eigentlich alle zehn Finger abschlecken, dass gutes Essen so billig verkauft wird. Ich bin der Meinung, dass wir in der Top-Gastronomie um 30 Prozent zu billig sind. Bedenken Sie den enormen Vorlauf. Bedenken Sie, was es heißt, Gerichte vorzubereiten, oder was ein Servierer machen muss, um die Tische herzurichten. Vor ein paar Jahren stellten wir ein Rechenbeispiel an: Was muss ein Paar Frankfurter kosten, wenn wir es mit dem Stundenlohn eines Elektrikers verrechnen? Damals kamen wir auf einen Preis von 150 bis 170 Schilling. Vor 17 Jahren kostete eine Schweinskarreerose zwischen 45 und 54 Schilling. Heute kostet das gleiche Produkt zwischen 3,20 und 4,80 Euro. Wie ist das möglich, wo alles andere fast um das Doppelte, wenn nicht um noch mehr teurer geworden ist? Es darf kein warmes Essen in der Gastronomie, also Suppe und Hauptspeise geben, das unter 9,90 Euro erhältlich ist. Wenn das trotzdem gemacht wird, verdient entweder keiner mehr etwas oder er kocht nur Schrott. Sehen wir uns die neuen Lokale in Graz an: Was hat aufgesperrt in der Relation zu dem, was zugesperrt hat? Neu sind lediglich Systemgeschichten, die in der Multiplikation die Menschheit mit allem überschwemmen, nur nicht mit Qualität. Michi Schunko vom Eckstein und die Grossauer-Betriebe sind ja nicht Repräsentanten der großen Masse, sondern sind die Ausnahmen. Der Rest ist eine Nudel, ein Teig.
Ihr Lieblingsgericht ist interessanterweise nicht Hummer oder Kobe-Rind, Sie favorisieren Schnitzel mit Rahmsauce. Etwas, das Sie sicher nie in Ihrem Restaurant anbieten würden.
Nur weil es mir schmeckt, heißt es nicht, dass es jemand anderem schmeckt. Das bekomme ich zwei Mal im Jahr von meiner Mutter gekocht. Und da genieße ich es genau so »potschert« gekocht, wie sie es eben zubereitet. Die Rahmsauce ist so dick, dass du die sie mit der Gabel essen kannst, das Fleisch ist zu Tode gekocht. Vielleicht ist es nichts anderes als die Auffrischung von Kindheitserinnerungen, aber ich liebe es. Darum sage ich zu vielen Gästen bei Sonderwünschen: »Ich könnte Ihnen diesen Wunsch gerne erfüllen, dabei tun wir uns aber beide nichts Gutes. Mein Zugang zu dem, was Sie sich von mir wünschen, ist ein ganz anderer. Ein anderer als der, den Sie in Erinnerung haben. Zuerst verliere ich und dann Sie.« Denn ich kann den Gästen ihr abgespeichertes Erinnerungsbild nicht erfüllen.
Wie oft kochen Sie privat?
Privat koche ich nichts, das übernimmt meine Frau. Ich gehe gerne essen. Ich sage immer, ich bin mit meiner Frau 364 Tage im Jahr im Wirtshaus, entweder bei mir im Betrieb oder wo anders. Der einzige Tag im Jahr, wo das nicht so ist, ist traditionell der Heilige Abend. Meine einzige Prämisse beim Essengehen ist: Es muss gut sein. Wenn es einmal wo nicht passt, heißt das nicht, dass ich dort nicht wieder hingehe. Eine zweite Chance hat jeder verdient, in Wirklichkeit auch eine dritte. Meine Frau Astrid und ich sind aber auch sehr schräg: Wir fahren zum Beispiel nach Don Bosco, um eine Leberkäsesemmel zu essen, weil die bei der Esso-Tankstelle einfach die beste ist.
Wie kritisch sind Sie Ihrer Frau gegenüber, wenn sie kocht?
Ich habe mich damit abgefunden (lacht).
Der Erwartungsdruck muss schrecklich für sie sein.
Nein, überhaupt nicht. Sie kocht die besten Palatschinken, die ich je gegessen habe, und macht supergeile Bolognese.
Was ist für Sie das beste Lokal Österreichs?
Für mich persönlich ist das beste Lokal der Obauer in Werfen. Dennoch glaube ich, dass das beste Lokal Österreichs das Steirereck in Wien ist.
Sie würden Ihr eigenes Lokal also nicht als das beste Österreichs bezeichnen?
Als Lokal nein. Von der Küchenleistung her allerdings schon. Es mag zwar vermessen klingen, aber ich glaube, dass nirgendwo so konzentriert gekocht wird wie bei uns.
Warum arbeiten Sie allein in Ihrer Küche? Hat es keinen Sinn, Helfer anzustellen, oder sind Sie der Meinung, dass kein Mitarbeiter die Qualität liefern kann, die Sie aufs Teller bringen?
Wir haben einfach zu wenig Platz für mehrere Mitarbeiter. Länger dauernde Vorbereitungen müssen wir sogar nach draußen verlegen. Vorher sprachen wir von Spezialisierung. Einen Teller von mir kennt man optisch und vom Geschmack. Ich bin Minimalist und reduziere auf das Wesentliche. Ich bin mir bewusst, dass das Lokal atypisch für die Erwartungen in dieser Liga ist. Die gesamte Umsetzung hat etwas mit meinem Zugang zur Gastronomie zu tun. Diese Raumteiler hier etwa sind vom Ikea, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass es mir wichtig ist, dass jeder einzelne Tisch eine private Atmosphäre hat.
Ist auch für Sie das Noma in Kopenhagen bestes Restaurant der Welt?
Ich war einmal dort, aber ich bin als Koch in einer ganz anderen Richtung unterwegs. Für mich kann das beste Lokal der Welt in Wirklichkeit nur ein Lokal sein, das sich der klassischen Küche verschrieben hat. Ich habe mit dieser Entwicklung hin zu mördergeilen Präsentationsvarianten nichts am Hut.
Versucht man nicht immer neue Dinge zu kreieren?
Das ist alles OK, nur bin ich jemand, der sehr naturwissenschaftlich orientiert ist. Der Drang zu etwas Neuem ist wichtig. Wenn niemand weitergedacht hätte, hätten wir heute noch keinen Strom und würden rohes Fleisch essen. Ich bin aber der Meinung, dass in dem Wort Lebensmittel ein Mittel zum Leben steckt. Mit dem Wort habe ich gelernt, einen wachsamen Umgang zu hegen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Zerlegen der richtige Umgang damit ist. Für mich kommt das nicht in Frage. Die Asiaten haben immer gesagt: »Man kann alles essen, was vier Beine hat und kein Tisch oder Stuhl ist, was fliegt und kein Flugzeug ist, und was schwimmt und kein Schiff ist.«
Sie sind jetzt Anfang 40 und haben immer wieder extravagante Projekte in Angriff genommen. Was planen Sie eigentlich als nächstes?
Prinzipiell versuche ich gerade, alles dafür vorzubereiten, dass ich dieses Restaurant bis zu meinem Ruhestand betreiben kann. Außerdem habe ich mich in die Stadt Piran in Slowenien verliebt und plane, dort zusätzlich ein kleines Lokal zu eröffnen.
Sie haben einen Namen, Sie haben drei Hauben – warum arbeiten Sie eigentlich noch immer selbst so viel?
Weil ich mich weniger ärgern muss. Wenn du nur Chef bist und Mitarbeiter hast, hast du viele Sorgen. So stehe ich hier alleine in der Küche, meine Frau bedient und alles läuft. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.
Herr Dorner, vielen Dank für das Gespräch!
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Didi Dorner wurde 1971 in Voitsberg geboren und wuchs in Liezen auf. Ein Jahr vor der Matura verließ er die Schule und begann eine Kochlehre im Kurhotel Bad Heilbrunn. Mit nur 25 Jahren machte er sich mit dem Hirschenwirt in Irdning selbstständig und erkochte sich bald mit seiner »Cuisine intuitive« über die Landesgrenzen hinaus einen Namen in der Spitzengastronomie. 2010 kam er nach Graz kam, wo er sich seit 2012 in seinem Restaurant in der ÖVP-Parteizentrale am Grazer Karmeliterplatz über drei Hauben freuen darf. Er ist geschieden und hat eine Tochter.
Fazitgespräch, Fazit 104 (Juli 2014) – Foto von Marija Kanizaj
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