Der Ruf des Schöckls
Volker Schögler | 3. Oktober 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 106, Fazitportrait
Nach über 20 Jahren in der Parkraumbewirtschaftung wechselte Simon Klasnic mit seiner Frau Ulrike in die Gastronomie und wurde Wirt. Nahe bei Graz, aber auf 1.445 Meter Seehöhe, im Alpengasthof am Schöckl. Seither sind fünf Jahre vergangen und der exponierte Arbeitsplatz gefällt ihm noch immer.
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Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt und wenn W. Ambros vom Sonnenuntergang in Jesolo singt, schwingt immer ein bisschen Schwermut mit. Wenn aber am Alpenostrand die Sonne aufgeht, als ob Engelschoräle in den Klang der Äolsharfe einstimmen wollten, kann Lebensmut geschöpft werden. Vorausgesetzt, man hat sich ausgesetzt: auf einem hohen Berg. Für Bewohner der Grazer Ebene – immerhin einige hunderttausend auf gerade einmal 300 bis 400 Meter Seehöhe – bietet sich dafür der Grazer Hausberg, der »Mons Altissimus« – wie er genannt wurde, noch bevor der Grimming diesen Titel erhielt –, der wilde steirische Zauberberg, der Schöckl an. Wenn Simon Klasnic um 6.30 Uhr seinen Alpengasthof am Plateau des Schöckls aufsperrt, ist das Sonnenschauspiel bereits in vollem Gange. Unabhängig von Jahreszeit, Wochentag oder Wetter öffnet der »Hüttenwirt« seit fünf Jahren tagtäglich in der Früh seine Tore. Wanderer wie Bergläufer und Mountainbiker wissen das entsprechend zu schätzen und halten »ihrem« Gastwirt die Treue – und es werden immer mehr. »Wir verstehen uns auch als Gasthaus und nicht als Wirtshaus«, erklärt der eigentlich branchenfremde Frühaufsteher in der Mehrzahl, weil er nie auf seine Frau Ulrike und sein Team vergisst. »Bei einem Wirtshaus steht der Wirt im Mittelpunkt, aber bei einem Gasthaus der Gast.« Der Umstand, dass man ab tausend Meter per du ist, ist diesem Ansinnen auch nicht wirklich abträglich. In den Pausen zwischen Begrüßungen, Bestellungen und Beredungen von und mit den Gästen verrät Simon Klasnic ein weiteres Geheimnis, das so offen ist wie er selbst: »Die Arbeit als Wirt besteht zu sechzig bis siebzig Prozent aus Kommunikation.«
Von der Parkraumbewirtschaftung zur Gastronomie
Der Träger eines prominenten Namens – Mutter Waltraud hat zehn Jahre lang als »Landeshauptmann« die Geschicke der Steiermark gelenkt – scheint auf dem Schöckl seine Berufung gefunden zu haben. Der 51-Jährige war zuvor über 20 Jahre in der Parkraumbewirtschaftung des Schwarzl-Freizeitzentrums tätig, dies noch für Karl Schwarzl, danach für das Porr-Unternehmen, er erlebte die Errichtung der Daviscuphalle 1993 hautnah mit und ebenso die Internationale Gartenschau 2000. Dabei begleitete ihn schon damals Ulrike – die beiden kennen einander nämlich schon aus der Handelsakademie. Ihr Bruder Karl führt heute das Familienunternehmen »Scheucher-Parkett« (Holzindustrie) in Zehensdorf in der Südost-Steiermark mit mittlerweile 200 Mitarbeitern. Dass Simon und Ulrike Klasnic schon so lange Zeit ein eingespieltes Team sind, erleichtert ihre Aufgabe als Schöckl-Wirte im Alpengasthof entscheidend, zumal mit Simon jun., Laura und Waltraud drei Kinder im Alter zwischen 16 und 25 da sind, die im Notfall mithelfen können. Ursprünglich waren neben den Klasnics noch Heli Steinhuber (als »Deckmeister« mit Gastgewerbekonzession) und bis Juli 2014 Thomas Absenger mit von der Partie.
Gästevorhersage durch die Holding
Da das Gastgewerbe tage-, wie saisontechnisch sehr schwankend, insbesondere am Berg auch äußerst wetterabhängig ist, bedarf es nicht nur bei der Personalplanung genauer Kalkulation. So sind für den Betrieb etwa zehn bis fünfzehn Mitarbeiter notwendig, davon zumindest vier in der Küche und vier im Service. Simon Klasnic: »Da hilft uns übrigens sehr das Arbeitsmarktservice, das uns immer gute Mitarbeiter vermittelt.« Auf einem 1.446 Meter hohen Berg kann aber auch für die Küche nicht so einfach Nachschub besorgt werden – das Kaufhaus ums Eck gibt’s hier nicht. Der Idealzustand wäre es demnach, zu wissen, wie viele Gäste kommen. Auch wenn es dabei eine gewisse Bandbreite geben mag, aber – die Familie Klasnic weiß es. Und nicht nur sie. Auch die anderen Gasthäuser am Schöckl bekommen diese Information: Am Plateau befinden sich auch noch das Stubenberghaus des Alpenvereins und »s’Wirtshaus« direkt neben der Bergstation der Seilbahn, das ebenso wie der Alpengasthof der Holding Graz gehört. Die Freizeit-Sparte der Holding verfügt über Informationen, die über bloße Zahlen, etwa darüber, wie viele Personen mit der Schöckl-Seilbahn befördert werden, hinausgehen. Aus in den letzten sieben Jahren gesammelten Daten über Temperaturen, Niederschlagsmengen, Seilbahnfahrten und deren Verschränkung und der computerunterstützten fiktiven Hochrechnung auf 100.000 Jahre lassen sich Prognosen über Wetter, aber auch Anzahl der Schöckl-Besucher erstellen. So wird zweimal pro Woche je eine 5-Tages-Prognose erstellt, die auch den Wirtsleuten übermittelt wird. Die Vorschau vom 29. August 2014 etwa lautete: »Für die Schöckl-Seilbahn werden in den nächsten 5 Tagen wetterbedingt durchschnittlich 780 Fahrten (Personen) pro Tag erwartet.« Michael Krainer, der Geschäftsführer der Holding-Sparte Freizeit, die auch die Schöckl-Seilbahn umfasst, weiß: »Diese Vorschauen haben eine Treffergenauigkeit von 95 Prozent.« Dass am Schöckl der Sonntag in der Regel der stärkste Tag und Montag der schwächste ist, ist ebenfalls aus den Grafiken zu ersehen, aber das weiß ohnehin jeder Wirt. Wie viele Wanderer im Verhältnis zur relativ bekannten Zahl der Seilbahnfahrer kommen werden und wie viele die Einkehrmöglichkeiten nützen, bleibt natürlich Erfahrungssache. Jedenfalls aber lassen sich die Zahlen für den Einkauf von Speis und Trank seitens der Gasthäuser nutzen.
Terrasse mit Ausblick
Von außen versprüht der 60 Jahre alte Alpengasthof den Charme der renovierungssüchtigen 1980er Jahre, was durchaus seinen Reiz hat. Das Nonplusultra ist aber die Terrasse mit der angrenzenden Wiese, auf der ebenfalls fixe Holztische und Bänke zum Verweilen einladen und wo insgesamt bis zu einhundert Gäste Platz finden; sie bietet einen traumhaften Blick von Ost über Süd bis West, somit auch über Graz, aber auch über den direkt angeschlossenen Kinderspielplatz, was gemütlich sitzenden Eltern die Aufsicht unsagbar erleichtert. Innen lockt im größten der drei Gasträume zunächst einmal ein riesiger, kuschelig-rundlich-gemütlicher Kachelofen, der die gesamte Mitte des Raums für sich in Anspruch nimmt, dafür aber buchstäblich rundum seine Wärme abstrahlt. Entscheidendes Kriterium für ein Gasthaus – egal ob am Berg oder nicht – bleibt allemal die Kulinarik: Der Alpengasthof hat es mit seinen Speisen vom Rindswadlgulasch über die saisonbedingten Schwammerlgerichte bis zu den hausgemachten Mehlspeisen und den Naturfruchtsäften in den Slow-Food-Styria-Führer (Guide 2014) von Manfred Flieser geschafft.
Der Schöckl ruft
Da sind aber eben noch ganz andere Gründe, die den Schöckl immer beliebter machen, was man nicht zuletzt an den Zahlen der Seilbahn ablesen kann. Im langjährigen Schnitt gondeln 160.000 Gäste den Berg hinauf und hinunter, Tendenz steigend. Michael Krainer: »Allein zwischen Jänner und August des heurigen Jahres wurden 124.111 Personen befördert, das sind um 19.512 mehr als 2013.« Im August verbuchten die Bergfahrten gegenüber dem Durchschnitt aus den Jahren 2007 bis 2013 ein Plus von 3 Prozent, die Talfahrten eines von 10 Prozent, was ein Durchschnittsplus von 6 Prozent ergibt. Berg- und Talfahrten halten sich insgesamt ungefähr die Waage, interessanterweise gleichen sich die Zahlen der Wintersaison zwischen 1. Oktober und 30. April jenen der Sommersaison an, was gegen einen Ausbau des Ski-Angebots spricht, aber dafür, dass der Weg, aus dem Schöckl keinen Eventberg zu machen, der richtige ist. Statt einen kurzlebigen Hexenberg-Hype zu konstruieren, setzte die Graz Holding in Abstimmung mit den Grundeigentümern wie Ulrich Stubenberg eindeutig auf sanften Tourismus. Schon die »Downhill«-Europameisterschaft 2003 auf dem Schöckl war ein Anstoß in diese Richtung. Die Schöckl-Trail-Area (»die Streif der Downhiller«) oder der 38 km lange Schöckl-Panorama-Rundradweg ziehen in der Folge eben Fahrradfahrer und nicht Motorradfahrer an; am Schöckl-Plateau finden sich mittlerweile neben einem Disc-Golf-Parcours (Zielschießen mit Frisbee-Scheiben) und einer Orientierungslaufstrecke für Sportliche dank der »Lebenshilfe« auch »Wege für alle«, ein barrierefreier, dreieinhalb Kilometer langer Rundweg für Rollstuhl, Kinderwagen und Rollator (übrigens auch zu den erwähnten drei Gasthäusern) sowie eine Wohlfühlzone mit Kräuterpfad; nicht zu vergessen: die Sommerrodelbahn Hexenexpress – und nicht zuletzt steht der Schöckl natürlich für 40 km Wander- und Spazierwege. Da wurde doch glatt einmal versucht, das unerträglich hohle Wort »Nachhaltigkeit« mit Inhalt zu füllen. Wenn am Schöckl die Sonne untergeht – sieht das Simon Klasnic meistens gar nicht. Denn der Alpengasthof sperrt erst um 21 Uhr zu. Früher sei er oft mit dem Auto auf den Schöckl gefahren, dann abwechselnd mit der Gondel. Und heute? Heute geht er vier- bis fünfmal pro Woche zu Fuß von der Schöcklkreuz-Kapelle weg. Die 300 Höhenmeter schafft er mittlerweile in einer halben Stunde: »zum schönsten Arbeitsplatz der Welt.«
Alpengasthof am Schöckl
8061 St. Radegund, Schöckl 74
Telelefon: 03132 2372
alpengasthofamschoeckl.at
Fazitportrait, Fazit 106, (Oktober 2014) – Foto: Marija Kanizaj
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