Tandl macht Schluss (Fazit 107)
Johannes Tandl | 29. Oktober 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 107, Schlusspunkt
Einwanderung als Standortchance Die letzte Fazittitelgeschichte, in der wir uns vor allem mit den positiven Aspekten der Migration auseinandergesetzt haben, hat eine große Bandbreite von Reaktionen ausgelöst. Einige sehen überhaupt kein Problem darin, wenn sich Armutsmigranten an unseren Sozialkassen bedienen. Wesentlich größer ist jedoch die Zahl jener verhetzten Zeitgenossen, die in jedem anerkannten Asylwerber und Zuwanderer aus einem ärmeren EU-Land eine Bedrohung für unsere Kultur erkennen.
Inzwischen will uns die Politik wenigstens nicht länger vorgaukeln, dass wir kein Einwanderungsland sind. Bis auf die Freiheitlichen, die aus populistischen Gründen nicht auf ihr »Ausländer raus!«-Getue verzichten können, haben die Parteien die Realitäten, die sie entstehen ließen, weil sie das Problem der unkontrollierten Zuwanderung verschlafen haben, zumindest akzeptiert. Die Gegebenheiten sprechen jedoch trotz der Akzeptanzprobleme dafür, in Zukunft noch mehr Ausländer zu uns zu holen. Denn nur wenige Länder auf der Welt altern so schnell wie Österreich. Die Alterszusammensetzung unserer Bevölkerung wird sich weiter dramatisch ändern. Die Babyboomer gehen in den nächsten fünfzehn Jahren in Pension. Und spätestens dann droht aus einem demografischen Problem eine demografische Katastrophe zu erwachsen. Derzeit kommen auf 100 Erwerbstätige etwa 52 Pensionisten. Bis 2040 werden es über 80 sein. Jetzt kann man diese Prognosen an-
zweifeln, weil vor allem die Erwerbsquoten kaum kalkulierbar sind. Eines ist dennoch klar: Wir haben nicht nur ein Problem bei der Pflegefinanzierung, sondern sämtliche Sozialkassen stehen vor dem Kollaps. Doch nur wenn wir es schaffen, Einwanderer zu holen, die mehr in das Sozialsystem einzahlen, als sie mit ihren Familien herausholen, können wir unser demografisches Problem über die Zuwanderung zumindest teilweise lösen.
Ein weiteres Problem, das sich ebenfalls auf die schlechten demografischen Perspektiven zurückführen lässt, ist, dass unsere Unternehmen seit Jahren viel zu wenig investieren. Natürlich hat das auch andere Ursachen – etwa die irre hohen Energiekosten oder die nicht bewältigbare Eurokrise. Dennoch sollten wir darüber nachdenken, warum ein Unternehmen nicht an einem Standort investieren will, dessen Wettbewerbschancen in absehbarer Zeit dramatisch sinken werden, weil zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte und analog dazu auch zu wenig Kunden zur Verfügung stehen. Dabei bestünde gerade jetzt die Möglichkeit, unsere demografischen Perspektiven deutlich zu verbessern. Die Krise hat nämlich quer über Europa dazu geführt, dass Millionen gut qualifizierte oder zumindest gut qualifizierbare Menschen dazu bereit sind, ihre Heimat zu verlassen und zu uns zu kommen. Es ist völlig klar, dass Zuwanderung nur dann einen Sinn ergibt, wenn wir es schaffen, Leute zu uns zu holen, von denen wir erwarten können, dass sie auf lange Sicht mehr zum Sozialstaat beitragen als herausholen. Sonst wird jede große Einwanderungswelle – und dazu zählen auch Menschen, die wir aus humanitären Gründen aufnehmen müssen – langfristig unser Sozialsystem gefährden. Im als besonders tolerant bekannten angloamerikanischen Raum fährt man seit vielen Jahren gut damit, die potenziellen Zuwanderer nach einem Punktesystem zu klassifizieren. Als Folge der gesteuerten Zuwanderung verfügen etwa 45 Prozent der in den letzten fünf Jahren in Kanada Zugewanderten über einen Universitätsabschluss – in Österreich kann man diesen Anteil mangels der Verfügbarkeit entsprechender Zahlen getrost auf einen Bruchteil dieses Wertes schätzen. Die Kinder der Migranten machen in Kanada in aller Regel einen akademischen Abschluss und übertreffen den Nachwuchs der Einheimischen bei Weitem. Bei uns liegen die Migrantenkinder bei den höheren Schulabschlüssen bekanntlich dramatisch hinter den Einheimischen.
Machen wir doch aus der Zuwanderung ein Geschäft, von dem auch die eingesessene Bevölkerung profitiert. Sie auf die humanitäre Aufnahme von politisch und religiös Verfolgten zu beschränken, können wir uns jedenfalls nicht mehr lange leisten.
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Tandl macht Schluss! Fazit 107 (November 2014)
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