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Demokratie stärken. Aber wie?

| 27. November 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 108

Foto: Teresa RothwanglEin Essay von Klaus Poier zur zunehmenden Kluft zwischen politischer Elite und den Bürgern.

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Dr. Klaus Poier, geboren 1969, ist Politikwissenschafter und Verfassungsrechtler. Er ist Assistenzprofessor am Institut für öffentliches Recht an der Karl-Franzens- Universität Graz und Generalsekretär des »Club Alpbach Steiermark«. Er war Mitglied im Österreich-Konvent (2003–2005) zur Reform der österreichischen Verfassung und wird als Experte an der parlamentarischen Enquetekommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich ab Dezember 2014 mitwirken.

Am 18. Dezember wird im österreichischen Parlament mit der Enquete-Kommission »betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich« ein neuer Anlauf zur Demokratiereform starten. Alle sechs Parteien im Nationalrat haben sich gemeinsam auf diese Kommission geeinigt. 18 Abgeordnete – je fünf von SPÖ und ÖVP, vier von der FPÖ, zwei von den Grünen und je einer vom Team Stronach und den Neos – sollen sich gemeinsam mit Experten unter dem Vorsitz von Nationalratspräsidentin Doris Bures in der Enquetekommission bis zum Sommer 2015 primär mit der Aufwertung direktdemokratischer Instrumente beschäftigen. Weiters sollen auch Möglichkeiten zur Aufwertung der parlamentarischen Abläufe und Rahmenbedingungen diskutiert werden. Das Arbeitsprogramm der Enquetekommission wurde bereits im Detail festgelegt. Auf der Tagesordnung der ersten Sitzung am 18. Dezember steht der Status quo der Instrumente der direkten Demokratie auf der Bundesebene in Österreich. Wesentlicher Diskussionspunkt wird dabei der von SPÖ, ÖVP und Grünen im Juni 2013 vorgelegte Vorschlag sein, die Wirksamkeit von Volksbegehren zu erhöhen. Volksbegehren mit großer Zustimmung – von zumindest 10 Prozent der Wahlberechtigten bei einfachen Gesetzen, von zumindest 15 Prozent im Falle von Verfassungsgesetzen – sollen nach diesem Vorschlag nicht wie bisher einfach in der Schublade verschwinden können. Wenn solche »qualifizierten« Volksbegehren vom Nationalrat nicht umgesetzt werden, sollen sie nach diesem Vorschlag einer Volksbefragung aller Bürgerinnen und Bürger unterzogen werden. Diese Volksbefragung wäre freilich nicht bindend – also keine Volksabstimmung –, aber faktisch würde es für die Politik wohl schwer sein, eine solche Meinungsfeststellung durch die Bevölkerung zu übergehen.

Die Bürger würden somit gestärkt, die Eliten geschwächt. Freilich, sofern dieser Vorschlag tatsächlich Realität wird. Einiges deutet darauf hin, dass dies mehr als ungewiss ist. Noch vor der Nationalratswahl 2013 wurde der Vorschlag zum Ausbau der direkten Demokratie in Begutachtung geschickt. Und im Begutachtungsverfahren sowie in der medialen öffentlichen Diskussion wurde eine Reihe negativer Stellungnahmen laut, insbesondere vom Bundespräsidenten Heinz Fischer oder etwa auch vom früheren Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes Clemens Jabloner. Aber nicht nur aus dem Umkreis der Sozialdemokratie, die in Österreich der direkten Demokratie traditionell kritisch gegenübersteht, wurde Ablehnung laut. Auch der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol spricht sich vehement gegen einen Ausbau der direkten Demokratie aus und nimmt dabei innerhalb der ÖVP quasi die Antipodenfunktion zu Außenminister Sebastian Kurz ein, der ja 2012 ein Demokratiepaket mit weitreichenden Vorschlägen präsentiert hat, das die aktuelle Diskussion über mehr direkte Demokratie in Österreich letztlich erst ausgelöst hat.

Direkte Demokratie in vielen Ländern in Mode

Österreich ist freilich nicht das einzige Land, in dem derzeit direkte Demokratie diskutiert bzw. in Mode gekommen ist. Woche für Woche sind in den Medien Meldungen über Abstimmungen und Befragungen zu lesen. So vor wenigen Wochen das – allerdings gescheiterte – Referendum in Schottland über die Loslösung von Großbritannien. Oder jüngst die Befragung in Katalonien, bei der die Katalanen mit großer Mehrheit für eine Unabhängigkeit von Spanien votiert haben, wobei diese Befragung zu guter Letzt nur als »private« Umfrage durchgeführt werden konnte, da die spanische Regierung und das spanische Verfassungsgericht alle Strippen zogen, um eine offizielle Befragung zu verhindern. In einigen Ländern Europas hat auch die »EU-Dynamik« zu einer Zunahme von Referenden geführt. So kam es zuletzt in fast allen Beitrittsländern zu Abstimmungen über den geplanten Beitritt zur Europäischen Union – wie im Jahr 1994 ja auch in Österreich. Zum anderen haben die Abstimmungen über EU-Vertragsänderungen zugenommen. Die prominentesten Beispiele dafür waren die Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005, die den EU-Verfassungsvertrag zum Scheitern brachten, während ein Referendum zuvor in Spanien noch positiv ausgegangen war. Mit großer Spannung wartet ganz Europa freilich auch auf die von Premierminister David Cameron für 2017 angekündigte Abstimmung über den Verbleib der Briten in der Europäischen Union. Der politische Druck zu derartigen Referenden kommt sowohl von den Bürgern wie auch aus der Parteienlandschaft. Vor allem populistische Parteien sprechen sich seit jeher deutlich für mehr direkte Demokratie aus. Andere Parteien sehen sich derart unter Druck und greifen deshalb – wie etwa das britische Beispiel zeigt – ebenso zum Instrument des Referendums, um damit Volksnähe und Volksverbundenheit zu demonstrieren und mit dem Ziel, den Populisten derart den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Schließlich sind es vor allem auch separatistische Parteien, die – wie etwa in Schottland und Katalonien – mithilfe von Referenden ihre Unabhängigkeitsbestrebungen vorantreiben wollen.

Aber auch von Seiten der Zivilgesellschaft und von Bürgerinitiativen wird ein Ausbau bzw. eine stärkere Inanspruchnahme der direkten Demokratie immer stärker gefordert. Eine erste Welle derartiger Bürgerrechtsbestrebungen ging mit der 68er-Bewegung einher, eng verbunden auch mit der aufkommenden Ökologie- und Grünbewegung. In Österreich führte dies in den 1970er und 1980er Jahren auch tatsächlich zu einem massiven Ausbau der direkten Demokratie auf Landes- und Gemeindeebene. Der erste wirklich umfassende Katalog wurde dazu in der Steiermark mit dem »Volksrechtegesetz 1986« geschaffen. Während man ab den 1990er Jahren eher das Gefühl hatte, dass die Diskussion abflaute, nahm sie in den letzten Jahren wieder enorm an Fahrt zu. Wobei diese zivilgesellschaftlichen Aktivitäten für mehr Bürgerbeteiligung in Österreich vor allem auch durch die Kritik am empfundenen Stillstand der Großen Koalition auf Bundesebene beflügelt wurde. Eine Reihe von Initiativen bildete sich, wie etwa die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform oder die Initiative »MeinOE«. Letztere, mit den »Altpolitikern« Johannes Voggenhuber von den Grünen und Ex-Vizekanzler Erhard Busek von der ÖVP, startete 2013 sogar ein eigenes Volksbegehren »Demokratie Jetzt!«, mit dem insbesondere ein Ausbau der direkten Demokratie und eine Reform des Wahlrechts gefordert wurden. Auffallender Weise konnte aber auf diesem Weg das Volk nicht begeistert werden, für mehr eigene Rechte einzutreten. Das Volksbegehren erreichte nur eine Zustimmung von knapp mehr als einem Prozent der Wahlberechtigten und rangierte damit bloß an 36. Stelle der bisherigen 37 Volksbegehren. Schlechter schnitt bloß das ebenso 2013 durchgeführte Anti-Kirchen-Volksbegehren ab. An der Spitze rangiert nach wie vor das Anti-Konferenzzentrum-Volksbegehren der ÖVP von 1982, das fast 1,4 Millionen Österreicher unterstützten, was mehr als einem Viertel der Wahlberechtigten entsprach.

Österreicher mit Demokratie ohnedies zufrieden?

Kann man aus dem schlechten Abschneiden des Demokratie-Volksbegehrens den Schluss ziehen, dass die Österreicher ohnedies mit der Demokratie und Politik zufrieden sind und Änderungen gar nicht notwendig wären? Der Befund hierzu muss wohl differenziert ausfallen. Zum einen sprechen alle demoskopischen Untersuchungen der letzten Monate von einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung und einem noch nie erreichten Grad der Enttäuschung. Im September 2014 kam es mit der Regierungsumbildung zwar zu einer gewissen Trendumkehr, deren Nachhaltigkeit aber abgewartet werden muss und wesentlich vom Erfolg der Parteien zur Auflösung des Reformstaus abhängig sein wird.

Eine OGM-Umfrage vom September 2014 zeigte gegenüber den Vorjahren nach wie vor ein großes Misstrauen gegenüber der Politik. 28 Prozent vertrauen der Politik sehr oder eher, aber 70 Prozent der Befragten gaben an, der Politik gar nicht oder weniger zu vertrauen. Nur 22 Prozent glauben im Übrigen, dass durch die Regierungsumbildung der Stillstand überwunden wurde, 55 Prozent glauben das nicht, 23 Prozent sind unentschieden. Mit großer Sorgfalt muss auch das Ergebnis einer im Mai 2014 vorgestellten Studie des SORA-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien betrachtet werden. Insgesamt stimmten 85 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Demokratie die beste Regierungsform ist, auch wenn sie Probleme bringen mag – das ist ein hoher Wert, die Zustimmung hat allerdings gegenüber 2007 abgenommen. Zugenommen auf 29 Prozent hat dagegen die Zustimmung zur Aussage, man solle einen starken Führer haben, der sich nicht um Wahlen und Parlament kümmern muss. Die Demokratieskepsis ist bei Personen mit geringerer formaler Bildung und eher hoher ökonomischer Verunsicherung signifikant größer als bei Befragten mit höherer Bildung und geringer Verunsicherung.

Ende September 2014 wurde wie in den vergangenen Jahren von der vom früheren Zweiten ÖVP-Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser geleiteten Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform ein »Demokratiebefund« vorgelegt, in dem jeweils 50 Personen aus den vier Bereichen Wissenschaft, Medien, Wirtschaft/Interessenvertretung sowie Zivilgesellschaft aus Österreich mittels eines einheitlichen Fragebogens zur Entwicklung der Demokratie befragt wurden. Alles in allem bewerteten die Befragten die österreichische Demokratie insgesamt in einem Schulnotensystem mit einem »Befriedigend«, als Mittelwert ergab sich eine Note von 2,89.

Aufgegliedert auf die verschiedenen Ebenen schnitt die Gemeindeebene mit 2,51 dabei am besten ab, während die Länder- (2,99) und vor allem die Bundesebene (3,22) schwächer abschnitten, wobei letztere erstmals in diesen Befragungen seit 2011 auch schlechter als die Demokratie auf europäischer Ebene (3,16) bewertet wurde. Im Vergleich der Demokratie in Österreich zur Demokratie in anderen Staaten wurde die Demokratie in der Schweiz (1,55), in Deutschland (2,03) und in Großbritannien (2,49) wesentlich besser beurteilt. Die Demokratie in den USA (2,87), im EU-Durchschnitt (2,93) und in Frankreich (3,10) wurde in etwa gleich eingeschätzt; während die Demokratie in Tschechien (3,48), in Italien (3,68), in Slowenien (3,76), in Griechenland (4,04), in der Türkei (4,63), in der Ukraine (4,56) und in Ungarn (4,58) schlechter beurteilt wurde. Der Demokratie in Russland (4,84) und China (4,93) wurde nicht überraschenderweise ein »Nicht genügend« attestiert. Die Österreicher können daher durchaus differenzieren: Sie sind mit der Demokratie in Österreich unzufrieden, auch wenn sie wissen, dass es in vielen anderen Ländern noch schlechter zugeht. Nur wenige Befragte waren im Übrigen der Meinung, dass die Demokratie in Österreich im letzten Jahr bzw. in den letzten fünf Jahren besser geworden ist, während eine deutlich größere Zahl Verschlechterungen sah. Die überwiegende Mehrheit ist der Meinung, dass sich auf kurze Zeit auch nur wenig ändern, jedenfalls nicht verbessern wird.  Nicht besonders überrascht, dass hinsichtlich der drei »Staatsgewalten« der Bundesregierung in Österreich die schlechteste Note ausgestellt wird: Sie erhielt nur die Note 3,88, während dem Parlament immerhin die Note 3,14 und der Justiz sogar die Note 2,92 ins Zeugnis geschrieben wurde.

Als die wichtigsten Maßnahmen zur Demokratiereform in Österreich wurden in dieser Befragung der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform (wieder im Schulnotensystem) der Ausbau der politischen Bildung (1,71), die Entpolitisierung des ORF (1,83), eine höhere Transparenz der Parteienfinanzierung (1,87), die Stärkung der unabhängigen Justiz (1,92), und die stärkere Personalisierung des Wahlrechts (1,95) angesehen. Es folgen die – mittlerweile bereits umgesetzte – Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitenrecht (2,09), der Ausbau der direkten Demokratie (2,35), die Direktwahl der Bürgermeister in ganz Österreich (2,44), die terminliche Konzentration der verschiedenen Wahlen in Österreich auf einen »Superwahlsonntag« (2,75), die Einführung eines Mehrheitswahlrechts (2,79) sowie die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Personen, die bereits mehrere Jahre in Österreich leben (2,95).
Wie wirkt direkte Demokratie?

Auch wenn der Ausbau der direkten Demokratie in dieser Befragung nicht als erste Priorität genannt wurde, lagen die Befürworter damit klar in Front. Diese Zustimmung zeigt sich freilich nicht nur bei Experten, sondern regelmäßig auch in repräsentativen Umfragen. Die Österreicher sind mit ihrer Demokratie unzufrieden und wollen mehr Mitsprache und Beteiligung. Dass das Demokratie-Volksbegehren 2013 so schlecht abschnitt, kann daher wohl kaum wegen seiner Inhalte gewesen sein. Vermutlich lag es mehr am Instrument selbst. Wenn man die Geschichte der Volksbegehren in Österreich – beginnend beim ORF-Volksbegehren 1964 – näher betrachtet, zeigt sich, dass gerade zuletzt besonders schlechte Ergebnisse erzielt wurden. Eine gewisse Ernüchterung und Ermüdung scheint sich somit breit gemacht zu haben. Viele meinen, dass dies insbesondere daran liegt, dass der politische Erfolg von Volksbegehren äußerst bescheiden ist. Von den jeweils Regierenden werden sie in aller Regel bloß als lästige oppositionelle Sticheleien empfunden, die man am besten mit Nichtbeachtung straft. Paradebeispiel in jüngster Zeit war dafür das von Ex-SPÖ-Vizekanzler Hannes Androsch mit enormer medialen Unterstützung betriebene Bildungsvolksbegehren, das – auch wenn mehr erwartet worden war – immerhin 6 Prozent der Wahlberechtigten unterstützten und dann im Parlament – so die übereinstimmende öffentliche Einschätzung – ein sogenanntes »Begräbnis erster Klasse« erhielt. Auch das Konferenzzentrum in Wien wurde trotz des großen Erfolges des Volksbegehrens 1982 im Übrigen ja auch gebaut. Der in der kommenden Enquetekommission im Parlament zu diskutierende, oben erwähnte Vorschlag von SPÖ, ÖVP und Grünen vom Vorjahr, erfolgreiche Volksbegehren durch die Verknüpfung mit einer Volksbefragung aufzuwerten, ginge in diesem Sinne daher durchaus in die richtige Richtung. Wenn die Bürger wissen, dass ein – wenn auch rechtlich nicht bindendes – Referendum folgt, sofern ein Volksbegehren nicht umgesetzt wird, würde dies wohl tatsächlich einen höheren Anreiz bieten, ein Volksbegehren zu unterstützen, als wenn ein Volksbegehren wie bisher von der Wirkung her nicht viel mehr als eine Petition an das Parlament darstellt.

Damit würde an einem kleinen Rädchen gedreht, möglicherweise aber doch mit weitreichenden Folgen. Ob Instrumente der direkten Demokratie vorhanden sind und mit welchen Konsequenzen sie verbunden sind, ist nämlich nicht bloß eine Frage der »Optik«, sondern eine zentrale Entscheidung der Machtverteilung im Staat. Dies zeigte sich etwa ganz besonders im Musterland der direkten Demokratie, der Schweiz. Dort setzte sich die Regierung, in der Schweiz Bundesrat genannt, im 19. Jahrhundert jahrzehntlang ausschließlich aus sieben Vertretern der Freisinnigen, der liberalen Partei, zusammen. Erst als 1874 das fakultative Referendumsrecht eingeführt wurde, änderten sich die politischen Verhältnisse. Damit wurde nämlich der Opposition die Möglichkeit eingeräumt, gegen jedes Gesetz ein Referendum anzustreben. Umso stärker die Opposition in der Bevölkerung verankert war, umso größer wurde die Gefahr, dass ein solches Referendum auch Erfolg hatte. Der Ausweg für die Freisinnigen war bald gefunden: Man gab 1891 der katholischen Oppositionspartei einen Regierungssitz ab und holte sie damit ins Boot. Referenden wurden damit unwahrscheinlicher. Dasselbe passierte in den folgenden Jahrzehnten mit der Schweizerischen Volkspartei bzw. ihrer Vorgängerpartei und den Sozialdemokraten, als diese jeweils größeren Zulauf erhielten. Auch sie wurden in die Regierung aufgenommen. Für die Konkordanzdemokratie war somit die Wirkungsmacht der direkten Demokratie eine wesentliche Wurzel. Direkte Demokratie kann daher die Strukturen und Mechanismen der Politik gehörig beeinflussen und verändern.

Grundentscheidung für die repräsentativparlamentarische Demokratie

Auch in Österreich wurde in den Verfassungsverhandlungen am Beginn der Ersten Republik intensiv über direkte Demokratie diskutiert. Entgegen ersten Vorschlägen, auch solchen des »Verfassungsvaters« Hans Kelsen, die Instrumente der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild vorgesehen hatten, wurde aber mit dem Bundesverfassungsgesetz von 1920 eine Richtungsentscheidung für eine repräsentativparlamentarische Ausrichtung der österreichischen Bundesverfassung getroffen. In Form eines typisch österreichischen Kompromisses: Es wurden zwar Instrumente der direkten Demokratie verankert, diese wurden aber zahnlos ausgestaltet, sodass manche von bloßem »Verfassungsdekor« sprachen. Volksbegehren blieben ohne die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit durch das Volk und wurden damit gleich wie das Recht, eine Volksabstimmung einzuleiten, in die Hand der Parlamentsmehrheit und damit der regierenden Parteien gelegt. Diese Ausrichtung der Bundesverfassung wurde im Übrigen erst in jüngerer Zeit vom Verfassungsgerichtshof geradezu »versteinert«: Er hält diese Dominanz des repräsentativparlamentarischen Systems für ein Grundprinzip der Verfassung, von dem nur in Form einer sogenannten Gesamtänderung der Bundesverfassung abgewichen werden kann, die neben einer Zweidrittelmehrheit im Parlament auch – Ironie der Geschichte – einer Zustimmung des Volkes in einer Volksabstimmung bedarf. Das Parlament allein darf dem Volk daher nicht mehr Rechte einräumen, das kann nur das Volk selbst.

Wesentlich bleibt freilich, dass man bei dieser Gegenüberstellung von repräsentativer Demokratie und direkter Demokratie die eine Form nicht mit der anderen ausspielt. Repräsentative Demokratie bedeutet, dass sich das Volk bei der Ausübung der Staatsgewalten demokratisch legitimierter, also insbesondere gewählter Vertreter bedient. Im Gegensatz zur Athener Urdemokratie, wo sich alle Stimmberechtigten noch auf der Agora (Marktplatz) versammeln konnten oder einigen wenigen Zwergkantonen in der Schweiz, wie Appenzell oder Glarus, in denen es noch Ähnliches in Form der Landsgemeinden gibt, ist eine derartige Basisdemokratie in einem Massenstaat nicht möglich. Es braucht Repräsentation, ökonomisch betrachtet quasi in einer Art Arbeitsteilung, in der den Repräsentanten spezielle Aufgaben übertragen werden. Direkte Demokratie kann daher in einer Massendemokratie immer nur eine Ergänzung sein. Selbst in der Schweiz dominiert die repräsentative Demokratie: Nur etwas mehr als 10 Prozent aller Schweizer Gesetze kommen mit direkter Mitwirkung des Volkes zustande, fast 90 Prozent werden allein vom Parlament beschlossen. Freilich kann direkte Demokratie auch Vorwirkungen haben: Wenn die Repräsentanten wissen, dass es zu einer Abstimmung kommen kann, werden sie bei Gesetzen durchaus auch im Vorfeld ausloten und überlegen, was Bestand haben kann und was wohl nicht. Direkte Demokratie kann damit ein Korrektiv sein, das die repräsentative Demokratie in Richtung der Bürger offen hält.

Wobei freilich auch beachtet werden muss, dass direkte Demokratie sehr vielfältig ist und nicht alle Instrumente immer die gleichen Ziele und Wirkungen inkludieren. Dass in einer Verfassung etwa das Instrument der Volksabstimmung verankert ist, sagt allein noch nicht sehr viel aus. Von ganz entscheidender Bedeutung ist nämlich, wer das Recht hat, diese Volksabstimmung einzuleiten und worüber abgestimmt werden darf. Wenn – wie bisher auf Bundesebene in Österreich – nur die Mehrheit im Parlament, und damit die Regierung, eine Volksabstimmung gegen ein Gesetz initiieren kann, hat dies nicht primär mehr Rechte des Volkes im Fokus. Vielmehr haben in dieser Form der direkten Demokratie die Regierenden ein weiteres Instrument, das sie in der politischen Auseinandersetzung einsetzen können. Direkte Demokratie quasi von oben nach unten: Wenn die Regierenden es für opportun halten, setzen sie ein Referendum an, wenn nicht, dann nicht. Und oft lässt man in solchen Fällen das Volk über etwas abstimmen, obwohl man das Ergebnis schon kennt. Wie etwa die Befragung 2010 im Burgenland über das von der damaligen Innenministerin Maria Fekter geplante Erstaufnahmezentrum für Asylwerber. Es war von Anfang an klar, dass es eine große Mehrheit in der Bevölkerung gegen diesen Plan gibt, und so stimmten auch über 90 Prozent für ein Nein. Ziel der Befragung war daher nicht, die Meinung des Volkes zu erfahren, sondern eine politische Mobilisierung für die Landesregierung und insbesondere den SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl zu erreichen. Gegen das Projekt, aber auch aus wahltaktischen Gründen: wenige Wochen später waren nämlich Landtagswahlen im Burgenland. Direkte Demokratie ist daher nicht gleich direkte Demokratie. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung und die Ziele an. Umso mehr Möglichkeiten das Volk selbst hat, Verfahren zu initiieren und Vorschläge auch durchzusetzen, umso mehr handelt es sich um direkte Demokratie von unten und kann die Korrektivfunktion gegenüber der regierenden Elite erfüllt werden. Direkte Demokratie von oben stärkt hingegen im Regelfall die politische Elite.

Grenzen der direkten Demokratie?

Zu Recht wird freilich aber auch immer die Frage aufgeworfen, ob sich direkte Demokratie für alle Themen eignet. Gerade in der Schweiz hat in diesem Punkt die Diskussion in den letzten Jahren enorm zugenommen. Einige Volksinitiativen, fast ausschließlich von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei lanciert, kamen nämlich mit Grundrechten und dem Völkerecht in Widerspruch. So etwa die sogenannte »Ausschaffungsinitiative« im Jahr 2010, nach der rechtmäßig in der Schweiz lebende Ausländer, die rechtskräftig für eines aus einer Liste von Delikten verurteilten wurden (darunter nicht nur Verbrechen gegen Leib und Leben, sondern etwa auch missbrauchlicher Bezug von Sozialhilfe oder Sozialversicherungsleistungen), ausgewiesen werden sollen. Experten hielten diese Initiative für unvereinbar mit Völkerrecht, mit den bilateralen Verträgen der Schweiz mit der EU und der Menschenrechtskonvention. Dennoch wurde die Initiative in der Volksabstimmung angenommen. Besondere Schwierigkeiten bereitet seither, wie man mit den angesprochenen Rechtskonflikten nun umgehen soll. Aus diesem Grund ist die Initiative bis heute auch noch immer nicht umgesetzt worden. Ähnliches Kopfzerbrechen bereiteten die Minarettinitiative 2009 und die im Februar 2014 angenommene Initiative »Gegen Masseneinwanderung«, die im offenkundigen Konflikt mit dem Grundsatz der Personenfreizügigkeit der EU steht, die aufgrund der bilateralen Verträge auch für die Schweiz gilt.

Auch in der Enquetekommission wird in diesem Sinne darüber diskutiert werden, ob man der »Allmacht« des Volkes bei Instrumenten der direkten Demokratie einen Riegel vorschieben muss, einerseits um Minderheiten und Menschenrechte zu schützen, andererseits zur Vermeidung von Konflikten mit Völker- und Europarecht. Freilich wäre die Problematik in Österreich beim vorgelegten Vorschlag, einem erfolgreichen Volksbegehren eine Volksbefragung und keine Volksabstimmung folgen zu lassen, ohnedies weitegehend entschärft, weil diese Befragung ja nicht bindend wäre und daher bei einem Rechtskonflikt das Parlament frei wäre, eine andere Regelung zu treffen. Aus politischen Gründen ergibt es freilich Sinn, schwere Verstöße insbesondere gegen Menschenrechte bzw. Minderheitenrechte gar nicht erst zu einer Befragung zuzulassen.

Viele Themen bleiben ausgeklammert

Auch wenn es im Zusammenhang mit einem Ausbau der direkten Demokratie daher durchaus viele Fragen zu klären und besprechen gibt, gibt es auch da und dort Enttäuschung, dass die Enquetekommission im Wesentlichen allein diesem Thema gewidmet sein wird. Zusätzlich soll zwar auch über die Möglichkeiten zur Aufwertung der parlamentarischen Arbeit und zur Optimierung der parlamentarischen Abläufe und Rahmenbedingungen gesprochen werden, ein zentrales Kernthema der Demokratie, nämlich das Wahlrecht, bleibt aber etwa völlig ausgeklammert. Dabei gibt es in diesem Bereich seit Jahren und Jahrzehnten viele Forderungen nach Änderungen, sowohl aus der Wissenschaft, aus der Zivilgesellschaft, aber immer wieder auch von einzelnen Politikern. Zwei Stoßrichtungen werden dabei primär angesprochen. Einerseits wird ganz besonders eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts eingefordert. Die Nationalratswahlordnung wurde zwar schrittweise adaptiert und zuletzt wurde auch die zusätzliche Möglichkeit der Vorzugsstimme auf Bundesebene eingeführt. Dennoch waren diese Maßnahmen offenkundig zu zaghaft, um eine wirkliche Personalisierung des Wahlrechts zu erreichen. Die Vorzugstimmenvergabe auf drei Ebenen – Bundesliste, Landesliste und Regionalwahlkreis – hat zu vielfacher Verwirrung geführt, wobei auch der übergroße Stimmzettel immer weniger nachvollziehbar wurde, zum anderen kam es trotz eines Absenkens der Hürde nach wie vor nur in marginalen Einzelfällen zu einer Umreihung der Listenplätze durch Vorzugsstimmen. Eine Vereinfachung – etwa die Möglichkeit, auf allen Ebenen ankreuzen zu können und nicht einen Namen eintragen zu müssen – sowie das radikale Absenken der Hürden für die Wirksamkeit der Vorzugsstimmen wären daher notwendig. Die andere Stoßrichtung der Wahlrechtsdiskussion bleibt nach wie vor die Frage nach einem Mehrheitswahlrecht bzw. zumindest mehrheitsverstärkenden Elementen im Wahlsystem. Die zunehmenden Probleme, effektive Regierungen bilden zu können, werden zwar weitgehend wahrgenommen, der politische Konsens zu einer Änderung in diesem Bereich scheint aber weiter entfernt als je zuvor.

Bürgerbeteiligung als Experiment

Neuerungen in diesem Bereich wird die Enquetekommission im Parlament daher nicht bringen. Allerdings startet die Enquetekommission in einem anderen Bereich mit einem originellen Experiment. Immer wieder wurde bei Reformdiskussionen der letzten Jahre aus der Zivilgesellschaft, insbesondere von Initiativgruppen, die Klage laut, dass zwar Anliegen der Bürger diskutiert werden, die Bürger selbst dabei aber stets ausgeschlossen bleiben und keine Möglichkeit haben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Im Österreich-Konvent (2003 bis 2005) wurde gewissen Organisationen die Möglichkeit geboten, jeweils fünf Minuten bei drei Hearingtagen Stellung zu nehmen. Transparenz versuchte man auch immer wieder durch Internetübertragungen und Diskussionsforen zu bieten. Diesmal wurde nun ein ganz neuer Weg beschritten. Die Parlamentsparteien haben nämlich beschlossen, acht Bürgerinnen und Bürger an der Enquetekommission als Mitglieder mit Rederecht teilnehmen zu lassen. Interessierte konnten sich bis Ende Oktober bewerben, per Ziehung unter notarieller Aufsicht wurden dann mittels Los, zur besseren Ausgewogenheit, je zwei Vertreter aus vier Gruppen gewählt, nämlich »weiblich unter 35 Jahre«, »weiblich über 35 Jahre«, »männlich unter 35 Jahre« und »männlich über 35 Jahre«. Spannend wird zu sehen, wie die Interaktion zwischen diesen Bürgervertretern und der politische Elite funktionieren wird. Ob es zu einem echten Gedankenaustausch und zu einem Diskurs über die anstehenden Fragen kommt oder ob diese Form der Bürgerbeteiligung nur eine Show bleiben wird. Allein dieses Experiment scheint es wert, mit Spannung auf die Enquetekommission zu warten. Ob die Kommission inhaltlich zu wirklichen Ergebnissen zur Stärkung unserer Demokratie kommen kann und wie diese aussehen werden, steht freilich noch in den Sternen. Zu unterschiedlich sind die Positionen, zu komplex auch die möglichen Wirkungen von Veränderungen. Revolutionen sind jedenfalls keine zu erwarten, solche sind einer Demokratie auch selten zuträglich. Auf eine schrittweise Weiterentwicklung unserer Demokratie, die insbesondere das Ziel hat, die spürbare Kluft zwischen politischer Elite und Bürgern wieder etwas zu schließen, sollte man zumindest hoffen dürfen.

Essay, Fazit 108, (Dezember 2014) – Foto: Teresa Rothwangl

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