Hausgemachter Verschleiß
Peter K. Wagner | 19. Februar 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 110, Fazitthema
Es ist eigentlich kein Geheimnis mehr, dass Hersteller ihre Produkte bewusst kürzer leben lassen. Und auch wenn es noch immer keine wissenschaftliche Beweise für geplante Obsoleszenz gibt – immer mehr Menschen hinterfragen die Wegwerfgesellschaft.
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Albert Albers hat nicht nur einen eindringlichen Namen. Er ist auch noch Leiter am Institut für Produktentwicklung in Karlsruhe. Albers, seine Mitarbeiter und seine Ingenieure in spe erforschen Produktentwicklungen und Innovationen. Man kann den Deutschen getrost als Experten für das bezeichnen, was wir als geplante Obsoleszenz kennen – eine vom Hersteller geplante, absichtliche Verringerung der Lebensdauer von Produkten. Er hält sie dennoch für einen Mythos und beschrieb sie gegenüber n-tv wie folgt: »Hersteller planen, wie lange ein Produkt halten soll. Der Ingenieur muss die geplante Gebrauchsdauer möglichst genau treffen und dafür die kostengünstigste Lösung finden. Das Ziel ist, ein Gerät so gut wie nötig zu bauen, nicht so gut wie möglich.“
Ob sein Zitat Euphemismus oder die eigentliche Wahrheit darstellt – seit die Dokumentation »Kaufen für die Müllhalde« der deutschen Filmemacherin Cosima Dannoritzer vor vier Jahren über die Fernsehbildschirme flimmerte, liegt ein Schatten über unserer Gesellschaft. Die große Frage lautet: Produzieren Unternehmen absichtlich schlechtere Produkte, um uns zum Konsum zu treiben? Oder geht es wirklich nur um den Spielraum eines Herstellers zwischen Lebensdauer und Preis auf der einen sowie Zahlungsbereitschaft des Kunden auf der anderen Seite, wie die »Neue Zürcher Zeitung« vor zwei Jahren konstatierte? Fest steht, dass im Jahr 1924 das Phoebuskartell bestehend aus den führenden internationalen Glühbirnenherstellern die Lebensdauer von Glühbirnen von 2.500 auf 1.000 Stunden absenkte. Und auch die seit 1901 und damit am längsten durchgehend brennende Glühbirne der Welt in der Feuerwache der Stadt Livermore nahe San Francisco in den USA gibt es wirklich. Ebenso wie Druckertoner Realität sind, die Chips oder alternativ Zähler eingebaut haben, die dank Anleitungen in den Untiefen des Internets zurückgestellt werden können, um ein paar hundert Seiten mehr aus der Patrone zu bekommen. Dass in Fernsehern zu schwach dimensionierte Elektrolytkondensatoren verwendet werden, wo sich die Lebensdauer doch mit nur wenigen Cent mehr um fünf bis zehn Jahre verlängern würde, steht eigentlich auch außer Frage. Und Telefone oder Tablets, die nach einem Update unbrauchbar sind, weil die Hardware nicht mehr leistungsfähig genug für die neue Software ist, kennt jeder Teilnehmer an der Welt der Unterhaltungselektronik. Fest steht aber auch, dass die Diskussion um geplanten Verschleiß von Konsumgütern immer wieder aufkommt und von Kritikern als erwiesen angesehen wird – es aber gleichzeitig keine Studien gibt, die ihre Existenz wissenschaftlich bestätigen. Und so bewegt sich die Diskussion zwischen Verschwörung und Kritik an der Konsumgesellschaft.
Die Waschmaschinen-Faustregel
Das weiß auch Sepp Eisenriegler. Der Unternehmer wollte eigentlich einmal die Laufbahn als Geographielehrer an einem Gymnasium einschlagen, doch schon während des Studiums ging es ihm irgendwann mehr um die Ökologie – »als Fundament für den Fortbestand der Menschheit«, wie er sagt. Also rief er die NGO »Umweltberatung Wien« ins Leben und widmete sich der Erwachsenenbildung. Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis er 1998 die Firma »R.U.S.Z. – Reparatur- und Service-Zentrum« gründete. Ein sozialökonomischer Betrieb, für den er in den ersten zehn Jahren seines Bestehens Förderungen vom AMS erhielt, weil er rund 300 Langzeitarbeitslose wieder in das Berufsleben eingliedern bzw. weitervermitteln konnte. Ganz nebenbei reifte er zum Sprecher der geplanten Obsoleszenz in Österreich. Für ihn steht außer Frage, dass es diese gibt. Er stützt sich dabei auf Erfahrung, nicht auf Verschwörung. Sein Lieblingsthema sind Waschmaschinen, die von seinen aktuell 21 Mitarbeitern nicht nur einmal im Jahr repariert werden. Eisenriegler hat zu diesen Geräten auch eine ganz besondere Theorie: »Bei billigen Geräten bis zu 500 Euro Anschaffungskosten gilt die Faustregel: Pro 100 Euro hält sie ein Jahr. Ausnahmen bestätigen die Regel natürlich.« Diese Billigwaschmaschinen seien nicht nur deshalb so preiswert, weil man Rohstoffe in den Ländern des Südens oder Schwellenländern ausbeutet, sondern auch, weil das Material schlecht sei. »Das hat zwei Gründe: Es ist billiger, ja. Aber es ist auch wirtschaftliches Kalkül. Wir leben in einem wachstumsgetriebenen Markt. Die Länder des Nordens sind gesättigt und der Ausweg ist die Verkürzung der Lebensdauer der Geräte.« Aber das ist nur eine Facette, die andere ist jene, den Konsumenten zum neuen Produkt zu drängen. Eisenriegler bleibt bei der Waschmaschine und spricht von der Energieeffizienzlüge: »Es geht um den Kauf-anreiz ›Schützen Sie die Natur!‹. Uns wird vorgegaukelt, dass wir Energieeffizienz A+++ anstatt A+ brauchen. Eine Steigerung der Energieeffizienz ist bei Waschmaschinen aber seit 2006 nicht mehr möglich.« Außerdem dürfe man nicht auf die graue Energie vergessen, die ein Gerät beim Produktions- und Distributionsprozess verbraucht. Die am kürzesten entfernte Produktionsstätte von in Österreich verkauften Waschmaschinen liege in der Türkei. »Auch das ist schon weit weg.«
Weit weg ist der Österreicher auch von der Vorstellung, keine eigene Waschmaschine zu besitzen. »Die Zeiten, in denen man stolz seine neue Miele hergezeigt hat, sind vorbei«, sagt Eisenriegler. Und will die Österreicher dennoch umerziehen. Ab Herbst wird sein Unternehmen ein Produktdienstleistungssystem anbieten, im Rahmen dessen man für eine Kaution von 150 Euro und eine monatliche Miete von 9,90 oder 14,90 Euro – je nach Qualität – eine Waschmaschine mieten kann. Wenn sie ein Problem hat, ist vertraglich festgelegt, dass sie innerhalb von drei Tagen wieder einsatzfähig ist. Weil repariert oder notfalls ausgetauscht. Die Idee dahinter: Nicht jeder kann sich die hochwertige Maschine um 1.200 Euro leisten, die 20 Jahre hält. Laut der Eisenriegler’schen Faustregel der Waschmaschinennutzdauer braucht der Konsument stattdessen sieben Geräte à 300 Euro, um ebenfalls an die 20 Jahre Wäsche waschen zu können. Und sieben Mal 300 sind eben 2.100 und nicht 1.200 Euro. Weniger Qualität für einen höheren Preis wäre der Umkehrschluss. Eisenriegler ist überzeugt: »Mit diesem System ist der Verbraucher dauerhaft jede Sorge los und kann immer hochwertig waschen.«
Vom Leisten und Leistenwollen
Das gemeinsame Nutzen von Gegenständen führt auch Albert Albers zu einem Beispiel. Nämlich jenem der Bohrmaschine. Für den Heimwerker könne man von einer Gebrauchsdauer von etwa 100 Stunden ausgehen. Der professionelle Handwerker sollte aber ein Gerät besitzen, das 1.000 Stunden in Betrieb sein kann. »Doch welcher Heimwerker würde 800 oder 1000 Euro für eine Bohrmaschine ausgeben?«, fragt Albers rhetorisch. »In der Regel braucht er noch einen Hobel, eine Stichsäge, eine Kreissäge, eine Flex, einen Akku-Bohrer und so weiter. Das will sich kein Bastler leisten und greift folgerichtig zu günstigeren Werkzeugen und Geräten. Der Handwerksbetrieb hingegen kann es sich nicht leisten, dass ihn sein Handwerkzeug im Stich lässt.« Doch ist die Lösung wirklich, dass jeder Haushalt eine eigene Bohrmaschine besitzt? Und einen Hobel, ein Stichsäge usw.? Geplante Obsoleszenz kann vielfach eine gefühlte sein, für die der Konsument selbst Verantwortung übernehmen muss. Und noch öfter geht es um den Konsum. Das sieht nicht nur Sepp Eisenriegler so, sondern auch Ulrike-Maria Gelbmann vom Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung in Graz. Ihr Forschungsgebiet ist die Abfallwirtschaft, wodurch sie unweigerlich immer wieder mit dem Thema des geplanten Verschleißes in Berührung kommt. »Ich bin überzeugt, dass es so etwas wie die geplante Obsoleszenz gibt, auch wenn sie schwer nachweisbar ist. Allerdings gibt es wesentlich mehr von den Konsumenten durch ihr Konsumverhalten freiwillig herbeigeführte als ungewollte geplante Obsoleszenz.« Alles am Rücken der Firmen auszutragen, hält sie für falsch. Aber es geht nicht um Besitz, auch und vor allem um den Austausch. »Wir müssten uns oft selbst an der Nase nehmen und hinterfragen, ob unser iPhone 4 nicht eigentlich noch unseren Ansprüchen genügt und das neue 6er-Modell wirklich notwendig ist.« Die Lösungen seien trivial und entgegen dem Prinzip des Wachstums. »Ursprünglich wollte man dieses Konsumverhalten einmal fördern. Das war in Zeit der Wirtschaftskrise im Amerika der 1930er Jahre, wo der Begriff erstmals aufkam, weil die Wirtschaft Konsum benötigte. Aber mit der Globalisierung hat das Prinzip eine unaufhaltsame Dynamik bekommen.«
Die neuen Adeligen
Gelbmann hinterfragt in diesem Zusammenhang vor allem, was mit Produkten passiert, wenn sie kaputt werden. Reparieren war lange Zeit nicht im Trend – eine logische Entwicklung, wie sie zu verstehen gibt: »Früher war es so, dass Produkte sehr teuer waren und Arbeit sehr billig. Daher hat man so lange repariert wie möglich. Heute ist es umgekehrt. Einen Fön für 20 Euro lässt niemand für eine Arbeitsstunde von 70 Euro reparieren – zumal er meist zusätzlich auch noch genietet und nicht mehr geschraubt ist. Er wird also beim Öffnen endgültig kaputt.« Die Wertschöpfungskette sei auseinandergezogen worden. Früher habe man den Schuster ums Eck gefunden, heute sei er in China zu Hause. »Interessant wird es, wenn die Chinesen draufkommen, dass sie mehr verdienen wollen – dann wird sich alles nivellieren. Es ist ein fast feudalistisches System derzeit und wir sind die neuen Adeligen.«
Und doch wird mittlerweile auch bei uns wieder repariert. Zum Beispiel hier. Es ist Samstagvormittag und im »Traumwerk« am Grazer Lendkai findet heute das 10. Repair Café Graz statt. Eine in Holland entstandene Bewegung, die den Konsumenten ihre Produkte wieder näher bringen soll und der Wegwerfgesellschaft entgegenwirken will. Elektriker, Techniker oder Ingenieure warten hier als Experten auf Menschen, die etwas zu reparieren haben. Von Anfang 20 bis Ende 70 sind hier alle Generationen vertreten. Und auch verschiedenste Geräte haben den Weg in den umgebauten Keller gefunden, in dem eigentlich eine öffentliche Werkstatt beheimatet ist. Eine junge Frau hat ihr iPhone 5 mitgebracht. Der Einschaltknopf funktioniert nicht mehr. Auf einer Vereinbarung unterschreibt sie, dass sie ihren Helfer nicht belangen kann, sollte er das Gerät beschädigen oder nicht mehr zusammenbauen können. Währenddessen haben sich nebenan zwei ältere Frauen eingefunden, die ihre Küchenmaschine wieder funktionstüchtig sehen möchten. CD-Spieler, DVD-Recorder, Radios – alles wartet hier auf eine Lebensverlängerung, die Schlange ist lang. »Ich bin eigentlich Softwareentwickler, aber leidenschaftlicher Bastler«, erzählt Organisator und Reparierexperte Andreas Höfler. Er brachte die Idee nach Graz. »Jeder von uns hat Spezialgebiete. Wir helfen dann, wenn wir uns das auch zutrauen und es können. Repariert wird immer gemeinsam mit den Besitzern der Geräte.« Die Hilfe erfolgt kostenlos, eine freiwillige Spende darf gerne gegeben werden. Derzeit finden die Repair-Cafés alle zwei Monate in Graz statt. »Es sind immer mehr Menschen, die zu uns kommen.« Ein Zulauf, der zeigt, dass sich etwas tut in der Gesellschaft. Egal, ob es um den Glauben an die geplante Obsoleszenz oder den Willen zum nachhaltigeren Nutzen von Produkten geht.
Ulrike-Maria Gelbmann sieht Repair-Cafés und ähnliche Projekte ebenfalls positiv, erkennt aber gleichzeitig eine Gefahr. »Es ist möglich, dass die Wirtschaftskammer sagt, dass es sich dabei um Schwarzarbeit handelt. Das ist in Tauschkreisen schon passiert, wo Dienstleistungen getauscht wurden.« Kinderbetreuung gegen Steuererklärung oder Rasen mähen lautete dort etwa der Deal. »Unser System beruht eben darauf, dass Menschen für alles, was sie konsumieren, Steuern und Abgaben zahlen. Und wenn sie das nicht tun, bricht das System zusammen. Insofern kann man eigentlich wieder niemanden den schwarzen Peter zuschieben – jeder hat seine Gründe für sein Handeln.« Verbote hält Gelbmann nicht für die richtige Gegensteuerungsmaßnahme auf die Wegwerf- und Konsumgesellschaft. »Das ist eine ideologische Frage. Verbote führen dazu, dass Leute zuwiderhandeln wollen. Mit Preisen könnte man natürlich viele Leute motivieren. Es müssten etwa nur als Wegwerfprodukte erkennbare Dinge höher besteuert werden. Mehr Bildung halte ich allerdings noch immer für den besseren Weg.« In einem anderen europäischen Land befindet sich aktuell ein Gesetz auf dem Weg. In Frankreich wurde im vergangenen Herbst ein Gesetzesentwurf Richtung Senat geschickt, dass geplanten Verschleiß in Zukunft zum Betrug machen würde. Eine Geldstrafe von bis zu 300.000 Euro würde drohen. Selbst wenn das Gesetz verabschiedet werden würde, nachweisen müsste man die Verfehlung dennoch erst. Und genau daran scheiterte bisher jeder Versuch. Und jede Studie. Warum eigentlich? »Das liegt an unserer Rechtssituation«, sagt Sepp Eisenriegler. »Sie ermöglicht uns nicht, einen großen industriellen Hersteller zu klagen. Das können wir uns nicht leisten, weil es unsere Existenz als Einzelpersonen oder Unternehmer bedrohen würde.« Er will seinen Kampf daher auf einer anderen Ebene weiter ausfechten. »Ich vertraue auf den europäischen Konsumentenschutz. Sammelklagen sind absolut möglich.«
Titelgeschichte Fazit 110 (März 2015) – Illustration: Pedro el libre
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