Notizen zu Günter Grass
Redaktion | 30. April 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 112, Kunst und Kultur
Der deutsche Schriftsteller Günter Grass ist gestorben. Wenn Sie einen Nachruf lesen möchten, geben Sie »Günter Grass« in die Suchmaschine Ihrer Wahl – also Google – ein und bedienen sich am Buffet. Wobei, auch dieser Text ist eine Art Nachruf. Von Michael Bärnthaler.
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Als ich auf Twitter, wo sonst, vom Ableben des Nobelpreisträgers erfuhr, war meine erste Reaktion: »Krass.« Das ist natürlich ein billiges Wortspiel. Es sterben aber auch so viele Menschen. Berühmte, wichtige Menschen, mit denen wir aufgewachsen sind. Eine Epoche geht zu Ende. Nachkriegsdeutschland ist, eigentlich ja schon länger, nicht mehr Nachkriegsdeutschland. Und so weiter.
Günter Grass war für mich persönlich nie ein besonders wichtiger Autor. Vor Kurzem haben wir über seine politische Lyrik gelacht. Er war aber, daran gibt es gar keinen Zweifel, ein sehr bedeutender und prägender Autor in jenem Nachkriegsdeutschland, das sich mit seiner Nazivergangenheit herumzuschlagen hatte, das lange Zeit geteilt war in die seltsamen Entitäten BRD und DDR und dessen Transformation in ein stolzeres wie freieres Land man sich nur wünschen kann.
Günter Grass, der Typ mit Walrossbart und Pfeife, der Intellektuelle, der Großschriftsteller, das Gewissen der Nation – eine Institution. Später auch eine gebrochene Institution, als bekannt wurde, was nicht erwähnt werden muss, da es bekannt ist … Geredet wird vom Tod des Intellektuellen und so weiter. Keine Vaterfiguren mehr, keine alten weißen Männer, die noch in ihrem Engagement für die SPD irgendwie Nazi bleiben, blutsmäßig gebunden an unendliche Schuld, nämlich die Schuld, summa summarum – trotz jener Niederlage eines anderen Deutschland – zu den Gewinnern zu gehören. Die Schuld auch, frei zu sprechen, an die argumentierende Rede zu glauben und sich nicht bei jeder Gelegenheit bei Frauen und anderen Minderheiten zu entschuldigen … Aber ich schweife ab.
Günter Grass war also zweifellos nicht nur ein Schriftsteller und Gewinner irgendwelcher Literaturpreise, sondern auch ein nationales Symbol. Es wird in Zukunft vielleicht keine nationalen Symbole mehr geben. Das wäre auch heteronormativ. Und so weiter. Ich vermisse jedenfalls etwas, wenn ich an Günter Grass denke, auch wenn seine Romane – unterhaltsam und gut geschrieben, sich der Themen der Zeit annehmend – nie zu meiner bevorzugten Lektüre zählten. Vielleicht ist jetzt auch der Zeitpunkt, wieder Grass zu lesen … Früh kanonisiert, Schullektüre, Deutschlehrerlektüre, deshalb irgendwie unsexy; aber ich halte meine Meinung diesbezüglich gar nicht für besonders relevant oder mitteilenswert.
Wir werden Günter Grass und Typen wie ihn, wie man so schön sagt, jedenfalls vermissen. Denn was hätten ein Poetryslammer oder ein Absolvent irgendeines Sprachkunstlehrgangs oder dergleichen zu den Fragen der Zeit zu sagen? Könnten sie beispielsweise auf das Reizwort der Islamisierung überhaupt anders als reflexhaft abwehrend reagieren? Sind sie überhaupt an etwas anderem interessiert als an den eigenen Befindlichkeiten und banalen Prosaquälereien ihrer unmittelbaren Konkurrenten um Fördergelder? Ich bin ein bisschen gemein. Ich bin unfair. Es gibt ja immer noch diesen Bärnthaler und ein paar andere Leute … Und ein Totalverriss der Gegenwart wäre so peinlich wie jeder Totalverriss. Aber hey, Günter!, wir vermissen Dich.
Alles Kultur, Fazit 112 (Mai 2015) – Foto: Christoph Müller-Girod/cmg.me
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