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Peter K. Wagner | 2. Juli 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 114, Fazitgespräch
Brillenmacher Michael Pachleitner über Markentreue, japanische Handwerkskunst und die Sehnsucht nach dem Rückzug.
Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Foto von Arlene Joobes.
::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK
Seit 2009 ist das östliche Tor zu Graz um einen Prachtbau reicher. Der Firmensitz der Michael Pachleitner Group, liebevoll »Schwarzer Panther« genannt, thront wie ein Wahrzeichen neben der Liebenauer Tangente. An die 30 Millionen Euro ließ sich das Unternehmen das Gebäude mit knapp 11.000 Quadratmeter Nutzfläche kosten. So großzügig wie der ganze Bau ist auch das Büro von Firmenchef Michael Pachleitner. Schwarzes Ledermobiliar, stylisches Design und kein Staubkorn – hier ließe es sich arbeiten. Vor allem auf dem mehrere Meter langen Schreibtisch, an dessen Ende ein weißer Fußball steht. »Berlin 2015« sagt der Aufdruck. Es ist der Ball des heurigen Champions-League-Finales. »Aber nicht der Originalspielball«, lächelt der Unternehmer, der das Spiel live vor Ort erlebte.
Ist das eigentlich schon die Sponsoringkragenweite der Michael-Pachleitner-Group? »Nicht ganz«, sagt er. »Das beginnt bei 50 Millionen plus«. So weit ist der erfolgreiche Brillen- und Schmuckhersteller noch nicht. Aber sorgen muss man sich um den 55-Jährigen nicht. Den kleinen Familienbetrieb seines Vaters hat er in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Unternehmen mit über 350 Mitarbeitern an fünf Standorten aufgebaut. Wie, erzählt er uns im Fazitgespräch.
Herr Pachleitner, jeder zweite Österreicher braucht eine Brille, in der Gruppe der über 50-Jährigen liegt die Quote sogar bei 80 Prozent. Haben Sie sich bei der Übernahme des Schmuckgroßhandelgeschäfts Ihres Vaters ganz bewusst auf Brillen fokussiert?
Nein. Ich habe mit meiner Schwester gemeinsam Schmuck gemacht, die Optik blieb mir alleine übrig. Das Portfolio war auch noch ganz anders – wir haben lediglich Zielfernrohre, Lupen und Schulmikroskope aus Japan importiert. Die Bereiche der Brillenglasproduktion sowie der Brillenfassungen und Sonnenbrillen haben wir erst in den nächsten Jahren aufgebaut. Wobei das alles sehr mit Einschränkung zu sehen ist – wir hatten damals zwei Mitarbeiter. Da gibt es kein Organigramm oder dergleichen. Jeder hat gemacht, was zu tun war. (lacht)
Sie haben eigentlich Rechtswissenschaften studiert. Haben Sie nie an eine typische Juristenkarriere gedacht?
Doch. Ich wollte eigentlich Notar werden und habe sogar das Gerichtsjahr gemacht – immer nachmittags bin ich ein Jahr lang von Gericht ins eigene Unternehmen gependelt.
War der Betrieb Ihres Vaters eigentlich schon damals sehr ertragsreich?
In den 1970ern dürfte er das gewesen sein, ja. Aber mein Vater hat uns nicht wirklich Einblick gewährt. In der Folge hat er aber abgebaut und uns war klar: Wenn wir übernehmen, dann wollen wir wieder wachsen. Wir haben dann die ersten vier Jahre keine Gewinne geschrieben. Dann habe ich mir gesagt: »Ein Jahr probierst du noch.« Und tatsächlich lief es dann gut.
Warum auf einmal?
Ich glaube, ein Unternehmen funktioniert generell so, dass alles zeitversetzt geschieht – positiv wie negativ. Mir hat einmal ein Kunde und Geschäftspartner gesagt, dass sein Unternehmen wie ein Hochseeschiffdampfer funktioniert. Man fährt 60 Meilen ohne Motor und Kurs normal weiter, obwohl in Wirklichkeit der Motor schon längst defekt ist. Der Grund für die Fortbewegung ist die Masse und die Trägheit. Je größer das Unternehmen wird, desto länger dauert es, gegenzusteuern. Ob es Richtung Unternehmenswachstum oder Insolvenz geht, ist dabei egal. Aber ich glaube, dass die Geschwindigkeit sich hinsichtlich negativer Entwicklungen erhöht hat. Vor 20 Jahren ging es in beide Richtungen gleich schnell, weil die Welt langsamer war.
Wie äußert sich diese immer beschleunigtere Welt für Sie im beruflichen Alltag?
Als wir begonnen haben, haben wir Briefe nach Japan geschrieben. Eine Frage, eine Antwort – das dauerte eine Woche und das auch nur, wenn der Lieferant schnell war. Eine Zeit lang musste ich mit dem Lehrling an den Hauptbahnhof fahren, um wie in einer Telefonzelle zu zweit auf engstem Raum ein öffentliches Telex zu verwenden. Ich habe auf Englisch diktiert und meine Mitarbeiterin hat meine Worte über den Lochstreifen durchgeschickt. Ich schwelge in der Vergangenheit, aber was ich eigentlich sagen will: Wenn man heute seine Aufgaben nicht erledigt, geht es in einem Unternehmen schnell bergab.
Bei Ihnen geht es die letzten Jahre stetig bergauf. Sie vertreiben in 70 Länder, hatten 2014 einen Jahresumsatz von 75 Millionen Euro. Bei optischen Brillengläsern haben Sie einen Marktanteil von etwa 30 Prozent in Österreich. Ist das zum Beispiel auch in Deutschland möglich?
Deutschland ist ein wichtiger Markt, aber so ein Prozentsatz ist auszuschließen. Die Anteile in Österreich sind im Ländervergleich herausragend und besonders. Es liegt natürlich auch an der Bevölkerungszahl und am Wettbewerb. Unser Ziel in Deutschland wären fünf Prozent, aber selbst das ist ein sehr verwegenes, wenn auch nicht auszuschließendes Ziel.
Der Handel wird immer konzentrierter in der Optikerbranche. Hartlauer, Pearle oder Fielmann drängen in den Markt. Kann man die Marktmacht halten? Oder muss man zum Must-have werden?
Wir versuchen natürlich, mit unseren Marken zum Must-have zu werden – vor allem mit Robert La Roche. Dafür muss aber nicht nur viel Kapital eingesetzt werden, sondern es muss auch modisch sein. Ray-Ban ist das sehr gut gelungen. Sie sind Kult. Es gibt Länder, in denen man 20 Prozent Marktanteil hat. Und das, obwohl der durchschnittliche Optiker 1.500 bis 2.000 verschiedene Fassungen anbietet. Auf der letzten Mido (Anm.: Fachmesse, die immer zu Jahresbeginn in Mailand stattfindet) gab es gar 6.000 verschiedene Aussteller. Eine Markenpräsenz in einem Geschäft erreiche ich mit vielleicht 20 Stück. Die Zahlen verdeutlichen, wie viele Bewerber um wenige Plätze kämpfen.
Der Brillenmarkt ist um einen Aspekt reicher, seit es Onlinehändler gibt, die fertige Fassungen mit individuellen Gläsern anbieten. Ist das ein Zukunftsmarkt?
Den Markt kann man nicht wegleugnen. Wir glauben, er wird beim aktuellen Stand der Technik bei zehn Prozent enden. Der Marktanteil liegt aktuell je nach Land zwischen drei und vier Prozent. Der Ausreißer ist die Schweiz, wo angeblich schon neun Prozent der Brillen online gekauft werden. Besser funktioniert es natürlich bei der Kontaktlinse und der Sonnenbrille.
Haben Sie eigentlich schon einmal überlegt, ein eigenes Label mit Onlinevertrieb zu gründen?
»Beiß niemals in die Hand, die dich füttert«, fällt mir dazu nur ein. Wir beliefern aber auch Firmen, die online tätig sind.
Wie verteilen sich die Umsätze Ihres Unternehmens?
40 bis 45 Prozent des Gesamtumsatzes machen wir weiterhin in Österreich. Wir exportieren aber in bis zu 70 Länder. Wir haben vom Billigprodukt bis zum Premiumprodukt von Robert La Roche alles im Angebot. Es ist unsere Entscheidung, in welchem Land und in welcher Fabrik wir produzieren lassen, um den Anforderungen unserer Kunden zu entsprechen. Robert La Roche wird etwa in Japan produziert. Das ist teurer als anderswo, aber die Qualität und die technischen Möglichkeiten sind unglaublich. Japan ist für die Brillenhandwerkskunst das, was die Schweiz für Uhrmacher ist, hat Anthony Reid, der Geschäftsführer von Robert La Roche, erst unlängst in einem Interview gesagt. Das kann ich nur unterstreichen.
Sie haben »Robert La Roche« als Marke im Jahr 1999 gekauft. War das Ihr Durchbruch?
Kann man so sagen. Seit damals haben wir weitere Lizenzen übernommen. Die letzte war »Infiniti Red Bull Racing Eyewear«.
Apropos Red Bull. Über Dietrich Mateschitz sagt man, er arbeite exakt, sei gut organisiert und kreativ. Dasselbe wird von Ihnen behauptet. Über Mateschitz heißt es aber auch, er sei ein großer Kontrollfreak. Ähneln Sie ihm auch da?
Definitiv ja. Aber ich lerne dazu und versuche, das zu ändern. Die Lösung ist es, richtige Menschen, um sich zu scharen, denen man Vertrauen schenken muss. Wobei die Auswahl natürlich mir obliegt. Ich arbeite intensiv daran und behaupte, dass wir in diesem Bereich in den letzten Jahren einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht haben. Aber es braucht eben auch einen Mann an der Spitze, der die Richtung vorgibt.
Haben Sie ein Problem damit, Menschen vertrauen zu schenken, weil Sie nicht so perfekt sind wie Sie?
Ich empfinde mich nicht als perfekt. Es geht mehr darum, dass Menschen mich zum Teil nicht verstanden haben oder mir nicht folgen wollten. Da habe ich sicher dazugelernt und muss aber auch noch weiterhin viel dazu lernen. Die Selektion des richtigen Teams ist der Beginn. Human Resources spielen eine ganz entscheidende Rolle in der Weiterentwicklung eines Unternehmens. Es gibt Menschen, die können viele Dinge und sind Allrounder. Da zähle ich mich definitiv dazu, aber es gibt ein Limit. Und das funktioniert dann nur noch mit Strukturen, die man aufbauen muss. Das ist die Kunst und deshalb muss ich mich auch zurückziehen, um irgendwann nach einem Pyramidensystem zu organisieren.
Sie haben schon einmal in einem Interview gesagt, dass Sie sich zurückziehen wollten, aber danach keine Richtung im Unternehmen mehr vorhanden war. Ist das nun der nächste Anlauf?
Ja, definitiv. Ich bin beim ersten Mal mit meiner Vision gescheitert. Jetzt gehe ich es langsamer an und das ist das nächste Ziel. Wir sind auf einem guten Weg, aber es benötigt viel Zeit.
Wie viel externen Input holen Sie sich, um sich weiterzuentwickeln?
Ich bin wie ein Schwamm. Ich sauge viele Informationen auf und es braucht nicht viel, um zu erkennen, was für uns gut ist. Wenn mir jemand eine Geschichte erzählt, weiß ich oft schnell, wie sie ausgeht. Ich kann von Vorträgen, aus Artikeln oder dergleichen schnell filtern, was für mich von Bedeutung ist. Wenn ich von Stärken sprechen müsste, würde ich das anführen. Schwächen habe ich aber übrigens natürlich auch, wie gerade angesprochen. Ich kann mir außerdem zum Beispiel einfach keine Namen merken.
Sie sind in einem Bereich tätig, in dem es auch um Luxusartikel geht. Was ist für Sie eigentlich Luxus?
Am Abend nach Hause zu kommen und zu sagen: »Das war ein unglaublich guter Tag«. Und meine Familie zu sehen. Klingt wie in einem Film, ist aber genau so. Es war aber auch nicht immer so. Ich habe drei Kinder, zwei sind noch recht klein mit zweieinhalb und viereinhalb Jahren. Ich war früher viel unterwegs und habe andere Dinge kennengelernt, aber das ist kein Thema mehr für mich.
Ist Ihnen wichtig, Ihr Privatleben zu schützen? Man weiß wenig über Sie.
Ja, ich versuche, es möglichst ruhig zu spielen. Es ist nicht relevant und man könnte Menschen vor den Kopf stoßen. Das liegt mir fern. Mir ist es wichtig, dass es für uns – also für meine Familie und meine Freunde – passt. Ich versuche nicht, mit einem Auto oder einem Haus zu prahlen.
Welches Auto fahren Sie denn?
Das ist eine schwierige Frage, weil ich sammle Autos. (lacht) Heute bin ich mit einem Aston Martin V8 da, Baujahr 1978. Insgesamt habe ich 15 Autos, aber viele Oldtimer.
Fahren Sie Oldtimerrennen?
Ja, einmal im Jahr die Südsteiermark Classic. Als echter Steirer passt das gut.
Ein gutes Stichwort für den Ort, an dem wir gerade setzen. Wie viel Verbundenheit zur Steiermark oder noch mehr zu Graz steckte in der Entscheidung, den Firmensitz hier an der Liebenauer Tangente zu erbauen?
Wir haben auch Angebote aus anderen Bundesländern bekommen und uns wurden sogar Grundstücksschenkungen in Aussicht gestellt. Ich habe dann aber doch zeitnah die Entscheidung getroffen, hier zu bleiben. Ich bin Grazer und Familienmensch – das hat sicher mitgespielt. Außerdem hat sich die SFG in Form von Herrn Kaltenbeck stark engagiert, damit wir nicht fremdgehen. Er hat mich einmal sogar mit seinem Privatauto abgeholt und ist mit mir einen Nachmittag lang in Graz und Umgebung herumgefahren, um mir mögliche Standorte zu zeigen. Auch diesen.
Sie besitzen das Grundstück gemeinsam mit der »WeGraz« von Reinhard Hohenberg. Was ist noch geplant?
Es gibt Pläne und die Baubewilligung – Hohenberg möchte ein Hotel- und Bürogebäude errichten. Deshalb gibt es auch die Tiefgarage, die erst vor zwei Monaten fertig geworden ist. Beim Architekturwettbewerb, den wir damals ausgeschrieben haben, war das Gesamtprojekt schon als ein Wurf geplant. Die Idee war, fast 450 Meter Einfahrtsstraße nach Graz zu gestalten. Wenn es umgesetzt wird, wird es die auch geben. Das Gebäude von Hohenberg ist weiß und flach, besitzt aber ein versetztes Hochhaus, das schräg nach oben geht. Und übrigens das höchste Gebäude von Graz wäre.
Wir waren bei einer der ersten Veranstaltung hier im so genannten MP09. Dort haben Sie folgenden Satz gesagt: »Wenn ich gewusst hätte, dass die Wirtschaftskrise kommt, hätte ich dieses Haus nicht errichtet.« Stehen Sie heute zu dem Gebäude?
Absolut, es hat sich ausgezahlt. Die Umwegrentabilität, die wir heute haben, hätte ich mir so allerdings nicht erwartet.
Wie sieht die denn aus? Finden Sie bessere Mitarbeiter, erschließen sich neue Geschäftskontakte oder ist das Gebäude gar international bekannt?
Das ist alles zu hundert Prozent eingetreten. Und ein vierter Punkt kommt noch dazu: Wir genießen noch höheres Ansehen bei unseren Partnern und Kunden, weil sie aufgrund der Architektur auf unsere Unternehmenskultur schließen. Ich war auch nicht nur einmal während der Bauphase hier. Es steckt Herzblut in diesem Firmensitz.
In Ihrem Unternehmen steckt ohnehin allgemein viel Ihres Herzbluts. Ihre Schwester, deren Steckenpferd weiterhin Schmuck ist, ist aber so wie bei der Übernahme des elterlichen Betriebs 1984 ebenfalls wichtiger Teil des Unternehmens. Ist es Ihrem großen Ego geschuldet, dass es die Michael-Pachleitner-Group ist und nicht nur die Pachleitner-Group?
Nein, nicht unbedingt. Es ist einfach so, wie es ist. Weil ich momentan für dieses Unternehmen als Person stehe, auch wenn das natürlich ein Ablaufdatum hat und auch haben soll.
Herr Pachleitner, vielen Dank für das Gespräch!
Michael Pachleitner wurde am 17. März 1960 in Graz geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und wollte ursprünglich Notar werden. Nach seiner Promotion 1984 machte er das Gerichtsjahr und startete parallel seine unternehmerische Laufbahn im elterlichen Schmuck- und Optikgroßhandel, für den er sich letztlich entschied. 1998 kaufte er die Brillenmarke Robert La Roche. Pachleitner ist verheiratet und hat drei Kinder.
Fazitgespräch, Fazit 114 (Juli 2015), Foto: Arlene Joobes
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