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Raumschiff Steiermark

| 29. Juli 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 115, Fazitthema

Foto: Nasa

Österreich ist eine Weltraumnation. Der Urknall ging von Graz aus. Und davon profitiert die steirische Wirtschaft bis heute. Von Barbara Jernej und Peter K. Wagner.

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Es war fast ein bisschen irritierend. Wer bei der Grazer Frühjahrsmesse Ende April die Stadthalle betrat, der stand gleich links neben dem Haupteingang ganz plötzlich vor einem Mondfahrzeug. Das technische Modell des »Moon Rover« war aber neben den Ausstiegsanzügen von Neil Armstrong – der erste Mann am Mond – und Eugene Cernan – der letzte Mann am Mond – und dem steuerbaren Modell eines Mars-Rovers nur eines von vielen Ausstellungsstücken der so genannten Space Technology 2015. Das Thema Weltraum bewegt und interessiert die Menschen seit jeher. Doch das war nicht der einzige Grund, warum ausgerechnet in Graz der Weltraum auf 1.500 m2 begreifbarer gemacht wurde. Denn zwischen Montafon und Wienerwald mag zwar kein Cape Canaveral zu finden sein, und Franz Viehböck wird wahrscheinlich auch noch für einige Zeit der erste und einzige heimische Astronaut bleiben – aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Österreich eine Weltraumnation ist. Und ihr Ursprung in der Steiermark liegt.

Der »Weltraumpapst« und seine Erben
Otto Koudelka leitet das Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation an der Technischen Universität Graz. Er bestätigt: »Die Steiermark hat österreichweit die höchste Weltraum-Forschungsquote.« Und fügt hinzu: »Wir liegen außerdem auch im Europavergleich im Spitzenfeld.« Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten die zahlreichen Weltrauminstitute, die seit über fünfzig Jahren an internationalen Projekten beteiligt sind. Blickt man auf die Anfänge dieser Erfolgsgeschichte zurück, tritt eine Person in den Fokus, die gerne als österreichischer »Weltraumpapst« bezeichnet wird. Und das alles erst möglich machte. Die Rede ist von Willibald Riedler. Nach seinem Elektrotechnikstudium an der Technischen Hochschule in Wien arbeitete er für mehrere Jahre am Geophysikalischen Observatorium der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, bevor er als Professor für Nachrichtentechnik an die TU Graz berufen wurde. Und erste Weltraumprojekte initiierte – unter anderem als Leiter des Institutes für Angewandte Systemtechnik, das man heute unter dem Namen Joanneum Research kennt. Unter der Leitung Riedlers wurde im Herbst 1969 die F21 als erste Forschungsrakete mit einem österreichischen Messgerät an Bord gestartet. Eine Mission, die gleichzeitig den Beginn der steirischen Weltraumerfolge markiert. Neben dem Aufbau internationaler Netzwerke hatte Riedler in der Folge auch Einfluss auf die Gründung des Institutes für Weltraumforschung an der Akademie der Wissenschaften. Oder wie es Peter Habison in seinem Buch »Weltraum-Land Österreich« zusammenfasst: »Aufbauend auf Riedlers jahrelanger Tätigkeit haben sich nachhaltige Forschungsschwerpunkte entwickelt und als besonders ausbaufähig erwiesen.«

Dafür musste die Forschung aber erst einmal zur Industrie gebracht werden. Wie das funktionierte, weiß Hans Martin Steiner, Leiter des Bereichs Space Systems bei Siemens und Geschäftsführer von Austrospace. Unter dem Dach der Austrospace haben sich 19 Space-Akteure aus Österreich zusammengeschlossen. »Auslöser dafür war der Eintritt Österreichs in die europäische Weltraumorganisation ESA im Jahr 1987«, erinnert sich Steiner. Damals war unter dem heutigen Bundespräsidenten und damaligen Wissenschaftsminister Heinz Fischer der Grundstein für den Wirtschaftsfaktor Weltraum in Österreich gelegt worden. Denn die ESA funktioniert nach einem einfachen Return-on-Investement-Prinzip. »Jedes Land zahlt seinen Mitgliedsbeitrag. Es gibt ein Pflichtprogramm und ein Wahlprogramm, das man sich aussuchen darf.« Das Kernbudget der ESA liegt bei 3,2 Milliarden Euro, dazu kommen noch etwa 1,2 Milliarden durch Programme für andere Institutionen wie die EU. In Summe sind das im Jahr 2015 etwa 4,4 Milliarden Euro. »Wir leisten jährlich 1,6 Prozent des Kernbudgets – also etwa 50 Millionen Euro.« Geld, das im Idealfall in Form von Aufträgen an die heimische Industrie eins zu eins wieder zurück ins Land fließt.« Die Folge liegt auf der Hand: Heimische Firmen haben zunehmende begonnen, sich für den Weltraum zu interessieren. Doch wie hoch ist der Stellenwert im internationalen Vergleich wirklich?

Steiner will Österreich gewiss nicht in einem Atemzug mit den USA oder Russland nennen. Und auch in Europa sind große Staaten wie Frankreich, Italien, Großbritannien oder Deutschland Lichtjahre voraus. Aber: »Bei den kleinen und mittleren Weltraumnationen ist Österreich eine der führenden.« Die bemannte Raumfahrt ist für Österreich dabei kein Thema. Der Grund ist ein einfacher: »Es ist sehr teuer und der technische Return ist bescheiden. Kleine Länder sehen darin wenig Benefit, unser Fokus liegt auf Erdbeobachtung, Satellitenkommunikation und der Technologieentwicklung.« Steiner wagt dabei gleich einen Blick in die Zukunft. »Ich vermute, dass unser Investitionsvolumen leicht steigen wird. Aber wir werden sicher nicht von 50 auf 100 Millionen anheben. Im Jahr 2000 noch haben wir nur 87 statt 100 Prozent wieder zurückbekommen. Wir sind froh, dass wir aufgeholt haben und im Vorjahr mit 101 Prozent ausgestiegen sind.«

Keine Bilder vom Pluto, aber dennoch Pionierarbeit
Von der Industrie und dem Endkunden ist man am Institut Digital der Grazer Joanneum Research immer fünf bis zehn Jahre entfernt. Unter der Leitung von Heinz Mayer wird auch dort für die Weltraumindustrie geforscht – in den Bereichen Kommunikations- und Navigationstechnologie, Fernerkundung sowie Mars Robotic. Eben für übermorgen. »Wir widmen uns gerade an der neuen Satellitenkommunikation Q/V-Band. Das ist die nächste Generation der Satellitenkommunikation, die höhere Datenübertragungsraten und kleinere Antennen möglich machen wird.« Auch bei der ESA ist man etablierter Partner. »Wir haben für die ESA erst vor kurzem die Entwicklung und Umsetzung eines Navigations- und Satellitenkommunikations-Messbusses erfolgreich abgeschlossen«, erzählt Mayer. Auch Robotiklösungen sind bei Joanneum Research Digital nicht zufällig omnipräsent: »Es gibt aus Kostengründen einen Trend, vermehrt auf Robotermissionen zu setzen. Das ist für uns sehr positiv. Auf diesem Gebiet sind wir schon jahrzehntelang tätig und können unsere Expertise, einem mobilen Roboter das Sehen beizubringen, ausgezeichnet einbringen.«

Otto Koudelka von der TU Graz zeichnet ein ähnliches Bild im Bereich der Nano-Satelliten: »Wir sind zu einem relativ frühen Zeitpunkt auf das Thema Nano-Satelliten gekommen. Anfangs lag der Schwerpunkt dabei auf der Lehre und Ausbildung. Mittlerweile sind auch die Industrie und große Forschungsstationen auf diesen Zug aufgesprungen, weil man gesehen hat, dass diese Kleinsatelliten vergleichsweise kostengünstig sind und man relativ rasch und risikoarm neue Technologien entwickeln, testen und umsetzen kann.« Nicht ohne Stolz verrät Koudelka auch, dass die ersten ESA-Projekte, die an Österreich gingen, an die TU Graz adressiert waren. Außerdem hat die TU schon im Jahr 2005 mit der Entwicklung eines 20 mal 20 mal 20 Zentimeter großen und sieben Kilogramm schweren Satelliten namens TUGSAT-1 begonnen. Seit 2013 ist dieser erste österreichische Satellit im Einsatz. Er sendet zwar keine Bilder von Pluto, leistet aber auf anderer Ebene Pionierarbeit: Als wissenschaftliche Nutzlast wurde eine Sternenkamera gewählt, die die Helligkeitsschwankungen massiver, sehr heller Sterne mit Hilfe differenzieller Photometrie mit bisher nicht erreichter Genauigkeit messen kann.

Genauigkeit, ja sogar Perfektion ist es, wonach auch an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gestrebt wird. Wolfgang Baumjohann ist dort der Leiter des Weltraumforschungsinstituts und macht deutlich, wo ein Grund für die steirischen Forschungserfolge im Bereich Weltraumwissenschaften zu finden ist: »Man kann nur dann an der Weltspitze mitspielen, wenn man motivierte Leute findet, für die Exzellenz ein entscheidendes Kriterium ihrer Arbeit ist.« Das hat sich in seinem Institut gleich an mehreren Fronten bewährt: Die ÖAW gilt als weltweit führend bei der Entwicklung von Magnetometern (Magnetfeldmessgeräten) und beheimatet eine der weltbesten Laserstationen. Zudem erfreut man sich einer stetig wachsenden Nachfrage bei den selbst entwickelten Bordcomputern. Auf wissenschaftlicher Ebene gehört das Institut auf dem Gebiet der Weltraumplasmaphysik zu den erfolgreichsten Forschungseinrichtungen der Welt. Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen arbeiten die steirischen Forschungstreibenden eng zusammen. »Wir sind sehr gut vernetzt mit allen Einrichtungen und Firmen, die im Bereich Weltraum tätig sind. Das fängt bei gemeinsamen öffentlichen Projekten wie der Space Technology 2015 an und reicht von Projekten mit Unternehmen wie der RUAG in Wien bis hin zur Zusammenarbeit mit Joanneum Research Graz«, weiß Otto Koudelka.

Probleme auf der Erde und Gewinne im All
Bei allen Erfolgen bleibt die Frage, wie sich der wissenschaftliche Einsatz finanziert. Bei Joanneum Research Digital kommt die Basisfinanzierung zu 85 Prozent vom Land Steiermark und zu 15 Prozent vom Land Kärnten. »Der Großteil des Umsatzes von 40 Mio. Euro wird über Projektanträge im Bereich der nationalen Forschung der ESA oder der EU erreicht«, erklärt Institutsleiter Heinz Mayer. An der TU Graz speist sich das Auftragsvolumen und damit die Finanzierung des Institutes zu 65 bis 70 Prozent aus Direktaufträgen der ESA und zu 30 bis 35 Prozent aus Förderprojekten. Auch am Weltrauminstitut der ÖAW ist man auf Drittmittel angewiesen. Neben dem Grundbudget, für das die Akademie aufkommt, müssen Projektmittel eingeworben werden. »Durch die Projektmittel erhöht sich unser Budget um 70 bis 100 Prozent unserer Basisfinanzierung«, meint Wolfgang Baumjohann.

Nicht selten sehen sich die Forscher mit der Frage konfrontiert, warum so viel Geld in den Weltraum investiert wird, wo es auf der Erde doch genug andere Probleme gäbe. Dazu verweist Otto Koudelka einerseits auf die Bedeutung von Weltraumtechnologien wie Navigationssatelliten, Wettersatelliten oder Fernerkundungssatelliten, ohne die gewohnte Standards nicht haltbar wären. Andererseits gibt er auch ein Beispiel für den finanziellen Gewinn der Weltraumwissenschaft: »Ein moderner Fernsehsatellit kostet ungefähr 300 Millionen Euro vom Bau bis zur Erhaltung. Er lebt etwa 20 Jahre und erwirtschaftet pro Jahr etwa 100 Millionen. Das heißt nach dem dritten Jahr ist das Geld wieder hereingespielt und die restlichen 17 Jahre wirft er ganz schön Gewinn ab.« Von Gewinnen und wirtschaftlichen Kennzahlen für die Steiermark weiß nicht zuletzt Franz Lückler vom steirischen Autocluster zu berichten: »Wir haben in der Steiermark rund 30 Unternehmen mit mehr als 1.200 Mitarbeitern, die sich mit Weltraumforschung beschäftigen. Diese erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 300 Millionen Euro.« Zuletzt haben sich mit Pankl Aerospace und Magna Aerospace zwei einst traditionelle Automotive-Leitunternehmungen zusätzlich im Bereich Aerospace angesiedelt. »Magna Aerospace sorgte für breites Aufsehen, als bekannt wurde, dass die Grazer Firma Rohrleitungssysteme für die europäische Trägerrakete Ariane 5 entwickelte«, berichtet Lückler. »Daneben gibt es natürlich auch noch die Voestalpine-Tochter Böhler, die immer stärker im Bereich Luft- und Raumfahrt tätig wird.« Und selbst die NASA arbeitet schon seit einigen Jahren erfolgreich mit steirischen Unternehmen zusammen. Das in Grambach angesiedelte Unternehmen Dewetron stellt Test- und Messgeräte her, die beim Orion-Programm den unbemannten Weg zum Mond auf sich nahmen. »Was mit den Produkten dort alles gemessen wird, unterliegt strenger Geheimhaltung. Man kann aber davon ausgehen, dass bei jedem Raketenstart der NASA davor irgendwo eine Messung mit Grambacher Systemen eine Rolle gespielt hat. Die technische Fachzeitschrift für Ingenieure, NASA Tech Brief, kürte das Dewetron-Messgerät Trendcorder sogar zum Produkt des Jahres 2014.« Dass ausgerechnet die Steiermark in der Weltraumforschung so aktiv ist, liegt für Lückler auch am hohen Niveau der Bildung: »Mit dem Unterbau HTL, den renommierten Hochschulen wie der Technischen Universität Graz und der Montanuniversität Leoben verfügen wir über Spitzenausbildungsmöglichkeiten. Mit Kompetenzzentren wie dem Polymere Competence Center Leoben (PCCL) oder Joanneum Research haben wir außerdem weltweit führende Forschungsinstitute direkt vor der Haustür. Das schlägt sich auch faktisch nieder: Mit einer Forschung- und Entwicklungsquote von 4,4 Prozent liegt die Steiermark europaweit auf Platz zwei der Regionen – nur Baden-Württemberg liegt noch vor uns.«

Auch die Politik ist sich der Bedeutung der Weltraumforschung für die steirische Wirtschaft bewusst. Nicht zuletzt in Form von Christopher Drexler, dem zuständigen Landesrat für Wissenschaft und Forschung. »Wenn wir weiterhin Arbeit und Wohlstand in der Steiermark haben wollen, kann uns das nur dann gelingen, wenn wir weiter in den Bereich Forschung und Entwicklung respektive in unser Wissenschaftsmilieu investieren«, gibt er zu bedenken. »Die Weltraumforschung ist faszinierend, aber für viele wirkt sie auf den ersten Blick wohl auch alltagsfern. Tatsächlich begegnen uns die Themen der Weltraumforschung aber in vielen Bereichen tagtäglich. Man denke nur an Satelliten zur Navigation.« Auch Publikumsmessen wie die Space Technology 2015 im Rahmen der Grazer Frühjahrsmesse seien wichtig. »Solche Initiativen dienen dazu, Wissenschaft und Forschung in ihrer Bedeutung für jede und jeden von uns bewusster zu machen.« Auf dass Mondautos in der Grazer Stadthalle zukünftig nicht mehr irritieren, sondern ganz selbstverständlich sind.

Titelgeschichte Fazit 115 (August 2015) – Foto: Nasa

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