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Speed Mum

| 29. Juli 2015 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 115, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Die ehemalige »Speed Queen« Renate Götschl über eine fast perfekte Karriere und ihr neues Leben.

Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Foto von Marija Kanizaj

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Dekorative Kugeln am Regal über dem Fernseher sind nicht ungewöhnlich. Doch jene in diesem Haus sind besonders. »Die Kugeln machen sich gut im Wohnzimmer«, sagen wir, als wir die große Kristallkugel für den Gesamtweltcup 1999/2000 und zwei kleine Kristallkugeln entdecken. »Ja, so ist das mit Kindern – man kommt nicht nach mit dem Aufräumen«, lächelt Hannes Kargl, Lebensgefährte von Renate Götschl und Vater ihrer beiden Töchter.

Dass er dachte, wir sprechen auf das Spielzeug der Kinder an, das vor dem Fernseher am Wohnzimmerboden zerstreut ist, zeigt, was in diesem Haus den höchsten Stellenwert hat: die beiden Töchter Lara-Sophie und Valentina. Sport und Wettkampf sind nicht Teil der zweiten Karriere der ehemaligen »Speed Queen«.

Während sie uns auf die Terrasse bittet, verabschiedet sich Kargl vorübergehend. Der Schwimmkurs der älteren Tochter Lara-Sophie geht bald zu Ende. »Zum Zahnarzt müsst ihr auch noch«, sagt Mama Götschl. Und dann ist sie wenige Tage vor ihrem 40. Geburtstag bereit. Für einen einstündigen Ausflug in ihr früheres Leben.

Frau Götschl, wann waren Sie zuletzt bei einem Weltcuprennen?
Vor zwei oder drei Jahren war ich in Schladming und Flachau.

Und wie hat sich das angefühlt?
Zuschauen ist sehr entspannend. (lacht) Ich bin aber nicht in Versuchung geraten und habe mir gedacht: »Ich möchte hier noch einmal runterfahren.«

Es heißt, dass sich Spitzensportler nach der Karriere sehr schwer tun, glücklich zu sein.
Es ist von Typ zu Typ anders. Ich kann das nicht unterschreiben. Ich war 17 Jahre im Weltcup unterwegs und habe danach erst gemerkt, wie sehr ich mir ein Ende gewünscht habe. Der ganze Druck war weg und es hat ein neues Leben begonnen. Ich hatte genug davon, Erfolgen nachzujagen, zu trainieren, zu wetteifern. Ich habe mich ehrlich gesagt nach dieser lange stressigen Zeit einfach gefreut, die Füße hochzulagern.

Sie haben mit drei Jahren begonnen, Ski zu fahren. Wann wussten Sie, dass Sie Rennläuferin werden wollen?
Das ist mir in die Wiege gelegt worden. Ich wollte es von klein auf. Als ich Skifahren im Fernsehen gesehen habe als Kind, wollte ich irgendwann selbst in diesem Kastl drin sein. Die Menschen sollten mich sehen.


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Hatten Sie Vorbilder?
Ja, Michela Figini aus der Schweiz. Sie war in den 1980ern eine der besten Abfahrtsläuferinnen und hat alles dominiert, zusammen mit Maria Walliser.

Sie waren am erfolgreichsten in den schnellen Disziplinen. Hatten Sie nie Angst?
Nein. Schon als Kind habe ich keine Angst gekannt. Je schneller, desto besser. Geschwindigkeit war für mich normal.

Hat es sich heute geändert?
Natürlich habe ich zurückgesteckt. Wenn man älter wird, bekommt man ein anderes Gefühl. Ich bin nicht mehr die Draufgängerin von früher.

Würden Sie als Vorläuferin noch einen Hang in Angriff nehmen – ganz ohne Zwischenschwünge?
Selbstverständlich. Da muss man ja nicht Kopf und Kragen riskieren. Und außerdem kenne ich die Strecken ja alle in- und auswendig. Die einzige Einschränkung: Trainieren müsste ich schon noch ein bisschen vorher, weil sonst würde ich es körperlich nicht schaffen.

Stehen Sie noch oft auf Skiern?
Jetzt wieder mehr, weil die Kinder auch schon fahren.

Wenn Ihre Kinder Anna Fenninger sehen, sagen Sie dann auch, dass Sie gerne in diesem Kastl drin wären?
Nein. Von mir aus sollen sie den Weg auch nicht einschlagen. Wenn sie es selbst wollen, werde ich ihnen aber keine Steine in den Weg legen.

Aktuell fehlt weniger bei den Frauen eine Renate Götschl als vielmehr bei den Herren ein Hermann Maier. Warum?
Es wurde verabsäumt, sich auf Spezialisten zu konzentrieren. Es war lange wichtiger, dass die Läufer viele Disziplinen beherrschen. Da sind vielleicht etwa Abfahrer auf der Strecke geblieben. Diese Politik rächt sich irgendwann und führt zur aktuellen Situation. Auch wenn es ein paar Ausnahmen gibt.

Aber ohne Marcel Hirscher würde es bei den Herren düster aussehen. Und auch die Frauen haben mit vielen Rücktritten zu kämpfen.
Ohne Marcel wäre es furchtbar, ja. Und natürlich sind nun mit Nicole Hosp, Kathrin Zettel sowie Marlies Schild im Vorjahr viele Läuferinnen nicht mehr aktiv. Die Frauen stehen in den technischen Disziplinen – vor allem in Slalom – vor einem Generationenwechsel. Aber dafür haben auch sie mit Anna Fenninger ein erfolgreiches Aushängeschild.

Ein Aushängeschild, das zuletzt für einigen Wirbel sorgte. Steht der ÖSV zurecht immer wieder in der Kritik?
Ich sehe den ÖSV nicht sonderlich kritisch. Dass Fehler passieren, ist das Normalste auf der Welt und kommt eben auch beim ÖSV vor. Allerdings kann man mit dem Verband alles ausreden. Diesen Apparat zu führen und zu lenken, ist keine leichte Aufgabe.

Der ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel ist eine sehr polarisierende Persönlichkeit. Wie stehen Sie zu ihm?
Positiv. Er ist derjenige, der die Linie vorgibt. Das ist in jedem Unternehmen so – der ÖSV ist auch hier keine Ausnahme.

Haben Sie Verständnis für die Reaktionen von Anna Fenninger auf die Einschränkungen des ÖSV?
Zu dem Thema möchte ich gar nicht viel sagen, weil ich keinen Einblick habe. Weder von ihrer Seite noch von Seite des Verbands.

Anders gefragt: Haben Sie persönlich irgendwelche Erfahrungen gemacht, wo der ÖSV sich in Ihre Angelegenheiten eingemischt hat?
Nein, eigentlich nicht. Jeder wusste, dass Konkurrenzfirmen als Werbepartner nicht in Frage kommen. Sportliche Fragen und Wünsche wurden schon geäußert oder ausgesprochen. Es kommt etwa immer mehr auf, dass Aktive ihre eigenen Trainer einbringen möchten, was es früher nicht gab.

Hat sich das zu Ihrer Zeit stark verändert?
Schon. Marcel Hirscher oder Anna Fenninger etwa haben persönliche Trainer. Und das ist auch nicht schlecht. Ich war damals eine der ersten, die sich ebenfalls einen eigenen Trainer genommen hat, was bei mir mit der großen Knieverletzung zu tun hatte, wegen der ich nicht mit dem Team mittrainieren konnte.

Sie sind im Weltcup 46 Mal ganz oben gestanden, haben den Gesamtweltcup sowie acht kleine Kristallkugeln geholt, wurden drei Mal Weltmeisterin und haben bei Großereignissen gesamt elf Medaillen gewonnen. Nur der Olympiasieg blieb Ihnen verwehrt. Wie sehr fehlt dieser Triumph?
Das ist der kleine Klacks in meiner Karriere. Für die Öffentlichkeit ist Olympia viel Wert, für den Sportler selbst ist der Gesamtweltcup wichtiger. Großereignisse sind Momentaufnahmen. Ein Tag, ein Rennen – es geht viel um Glück. Ich sehe das entspannt.

War zu Ihrer Zeit schon so viel Geld im Spiel, dass man sich um einen ehemaligen Superstar wie Sie keine Sorgen machen muss?
Eine Annemarie Moser-Pröll war noch arm dran. Sportler wie sie haben für das, was sie geleistet haben, finanziell wenig lukriert. Aber wir haben bereits gut verdient. Skifahren hat sich definitiv in einen Profisport verwandelt. Man darf nicht vergessen: Selbst als ich Anfang der 1990er in den Weltcup gekommen bin, gab es erst seit ein paar Jahren Preisgeld. Anfangs für die ersten fünf, dann für die ersten zehn.

Wollen Sie heute von dem leben, was Sie im Skisport verdient haben?
Ich kann es zumindest aktuell. Man muss natürlich auf den Tisch klopfen und Danke sagen, dass man dieses Glück haben durfte. Viele haben aufgehört und haben jetzt keinen Cent in der Tasche, weil sie zwar viel Zeit und Geld investiert haben, aber im Weltcup nie den Durchbruch geschafft haben.

Man spricht Frauen eigentlich nicht auf ihr Alter an, aber Sie verzeihen uns das: Sie werden in wenigen Tagen 40. Kommt man da zum Nachdenken, dass man alt wird?
Man muss es nicht verzeihen, es ist einfach so und stört mich nicht. Manchmal glaubt man, dass man noch 20 ist, aber das ist vorbei. Im Gesicht bekommt man mehr Falten, mein Leben war aber schön bisher und ich will kein Jahr jünger sein.

Wenn Sie so zurückdenken an dieses schöne Leben. Was waren die Highlights in sportlicher Hinsicht?
Es gibt sicher viele Momente, die hängengeblieben sind.
Tochter Lara-Sophie unterbricht kurz das Gespräch. Sie möchte der Mama einen verlorenen Milchzahn zeigen.
Der erste Weltcupsieg war schon beeindruckend. Ich war 17 Jahre alt und das war eine Welle, die auf einen hereinbricht, die man schwer realisieren kann. Startnummer 42, zweites Weltcuprennen – das war natürlich besonders. Aber auch der Gesamtweltcupsieg, die 46 Weltcupsiege oder die Weltmeistertitel waren Highlights. Ich möchte nichts ausschließen, weil alles für sich schön war. Und auch die Verletzung in Lenzerheide, wo mein Knie bis auf das hintere Kreuzband völlig zerstört war, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Da habe ich von Null begonnen und das war insofern auch interessant, weil ich daraus gelernt hab, dass jedes Schlechte auch sein Gutes hat. Ich war von 100 auf 0 und musste wieder zurückkommen.

Apropos zurückkommen: Eigentlich wäre Ihre Babypause vorbei. Die größere Tochter ist auch schon vier. Reizt es Sie nicht, wieder ins Berufsleben einzusteigen?
Zurzeit bin ich in der Rolle zu Hause als Mutter ausgelastet und zufrieden. Ich habe nicht den Drang, mich in irgendeine Richtung verwirklichen zu müssen, außer in der Rolle als Familienmensch zu Hause. Ich will die Zeit genießen, in denen die Kinder noch klein und im Kindergarten sind. In wenigen Jahren, wenn die beiden in der Schule und anders beschäftigt sind, kann die Antwort schon anders ausfallen. Den konkreten Plan habe ich aber wirklich noch nicht.

Es hat einmal geheißen, dass Sie ein Angebot aus der Politik hatten. Würde Sie das interessieren?
Nein, dafür bin ich ein zu ehrlich. Ich sage, was ich mir denke. Und als Einzelner kann man wenig verändern, weil man den Zuspruch von der ganzen Gruppe braucht. Da hätte ich ein großes Problem. Auf dieser Ebene ist man so schnell verloren, da würde ich mich nicht verheizen lassen wollen.

Haben Sie jemals über eine Karriere als TV-Expertin im ORF nachgedacht?
Nein, denn dann wäre ich gleich viel unterwegs wie vorher. Das wollte ich absolut nicht mehr. Ich wollte verwurzelt sein und das bin ich hier jetzt.

Sie führen jetzt tatsächlich ein eher zurückgezogenes Leben. Standen Sie eigentlich gerne in der Öffentlichkeit?
Ich bin kein Typ, der die Öffentlichkeit sucht. Ich muss und will nicht im Mittelpunkt stehen, lernte aber, damit umzugehen. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten mit der Presse und habe auch nichts erzählt. Ich saß einfach da und habe Ja oder Nein gesagt. Zum Reden habe ich erst später angefangen.

Frau Götschl, vielen Dank für das Gespräch!

Renate Götschl wurde am 6. August 1975 geboren und stand mit drei Jahren zum ersten Mal auf Skiern. Als 17-Jährige holte sie in ihrem zweiten Weltcuprennen den ersten Sieg und stieg bald zur besten Abfahrts- und Super-G-Läuferin ihrer Zeit auf, was ihr den Spitznamen »Speed-Queen« einbrachte. 2009 beendete die dreifache Weltmeisterin und Gewinnerin von einer großen und acht kleinen Kristallkugeln ihre Karriere. Sie hat zwei Töchter und wohnt mit ihrem Lebensgefährten in der Obersteiermark.

Fazitgespräch, Fazit 115 (August 2015), Foto: Marija Kanizaj

Kommentare

Eine Antwort zu “Speed Mum”

  1. herr karl öbler
    1. September 2015 @ 11:21

    renate war schon zu skirennfahrzeiten eine bescheidene persönlichkeit

    auch im interview kommt das rüber

    danke renate für alles!

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