Was auch aus den dänischen Wahlen zu lernen ist
Redaktion | 2. Juli 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 114, Gastkommentar
Ein Gastkommentar von Caspar Einem zur Asyldebatte.
»Nach einem rechtspopulistischen Wahlkampf konnte vor allem die offen ausländer-feindliche Dänische Volkspartei als zweitstärkste Partei bei der Wahl punkten.« orf.at vom 19.6.2015
In den Tagen zuvor war davon berichtet worden, dass auch die Sozialdemokraten von Helle Thorning-Schmidt voll auf der populistischen Anti-Ausländerwelle Wahlkampf betrieben hätten – etwas subtiler zwar, aber immer noch gut verständlich: »Wer nach Dänemark kommt, muss arbeiten« war eine der Parolen. Was sie transportiert ist eindeutig: Migranten wollen bloß unser Sozialsystem ausnützen. Thorning-Schmidts Sozialdemokraten sind sogar stärkste Partei geblieben, die Regierung der linken Mitte hat allerdings ihre Mehrheit an die rechte Seite verloren.
Was aus dem dänischen Beispiel zu lernen ist: Ein Wahlkampf mit offener oder leicht verdeckter Ausländerfeindlichkeit hilft immer der Partei, die in dieser Hinsicht am »glaubwürdigsten« ist, die den Populismus auf die Spitze treibt. Wenn die anderen Parteien in dieses Lied einstimmen betreiben sie Wahlkampf für die offen ausländerfeindliche Partei. Um diese Lektion zu lernen hätte es in Österreich keines dänischen Beispiels bedurft. Und doch scheint diese Lektion besonders schwer zu lernen sein.
Wie Wahlkampf für die Rechtspopulisten funktioniert
Natürlich würden Landeshauptmann Niessl, Ex-Landeshauptmann Voves, die Innen-ministerin Mikl-Leitner oder der oberösterreichische Landeshauptmann Pühringer und zahlreiche Bürgermeister, die in ihrem Ort keine Flüchtlinge haben wollen, die Behauptung, sie würden rechtspopulistische und ausländerfeindliche Propaganda betreiben, strikt und vielleicht sogar entrüstet zurückweisen. Und es mag sein, dass sie dabei in ihrem eigenen Bewusstsein durchaus Recht haben.
Was ist dann also? Es ist eine Politik, es sind Aussagen, die offen oder halb verdeckt geeignet sind, Angst zu machen. Wer jetzt etwa dafür eintritt, die Grenzen Österreichs zu den östlichen Nachbarländern dicht zu machen, verschärfte Kontrollen einzuführen usw., der macht öffentlich Angst – vielleicht sogar im Glauben, sie auf diese Weise zu nehmen. Die Forderung bzw. Ankündigung transportiert eine deutliche Nachricht: da gibt es etwas, was gefährlich ist und gegen das wir uns schützen müssen. Das macht Angst. Und in diesem Punkt müssten es die handelnden Politiker, wie immer sie heißen, besser wissen. Die einzige Gefahr besteht derzeit darin, dass mehr Flüchtlinge aus der Not in ihrer jeweiligen Heimat versucht haben, sich in Sicherheit zu bringen und dabei auch nach Österreich kommen und dass Bund, Länder und Gemeinden sich nicht entsprechend darauf vorbereitet haben. Nur zur Erinnerung: in der sogenannten Ungarn-Krise 1956 hat ein viel ärmeres Österreich in kurzer Frist etwa 180 000 Ungarn-Flüchtlinge aufgenommen.
Es ist auch eine Politik der Bilder: Wenn die Länder und Gemeinden keine anderen Möglichkeiten zu finden bereit sind, als Flüchtlinge in Zelten unterzubringen, dann entsteht das Bild der massenhaften Überflutung Österreichs. Davon kann allerdings keine Rede sein. Die Zahl der Flüchtlinge hat allerdings im Lichte der gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft Europas zugenommen – nicht wirklich überraschend. Das Bild der Überflutung, das die Zelte transportieren, macht vielen Angst, obwohl es angemessener wäre, sich zu schämen, dass ein reiches Land wie Österreich, das selbst schon Zeiten erlebt hat, in denen tausende Österreicher fliehen mussten, um ihr Leben zu retten, jetzt nicht bereit ist, großzügig zu helfen. Aussagen, wie die, dass die Asylwerber dazu beitrügen, die hohe Arbeitslosigkeit in Österreich noch weiter in die Höhe zu treiben, machen Angst, auch wenn sie tatsächlich nicht stimmen. Asylwerber dürfen in Österreich (von wenigen Ausnahmen etwa als Erntehelfer abgesehen) nicht arbeiten und berühren auch die Arbeitslosenstatistik nicht, da sie keinerlei Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben.
Aussagen – von wem auch immer – über die weltweite Zahl der Flüchtlinge ohne jede weitere Differenzierung unterstützt die Ängste. »60 Millionen Flüchtlinge. Wenn die alle nach Europa wollen …« Es wäre aber wert, etwas näher hinzusehen, auch zu sagen, wo sich die meisten Flüchtlinge aufhalten und warum. Die meisten Flüchtlinge leben entweder noch in dem Land, in dem sie vom Bürgerkrieg oder von irgendwelchen Banden verfolgt werden (etwa im Irak. Dort leben ca. 3,5 Millionen Flüchtlinge im Bürgerkrieg im Irak, davon rund 1 Million im Kurdengebiet) oder in der unmittelbaren Nachbarschaft des Landes, aus dem sie geflohen sind – unter den armseligsten Bedingungen und ohne ausreichende internationale Unterstützung. Vor den meisten der 60 Millionen Flüchtlingen weltweit braucht sich in Europa niemand zu fürchten. Es kommt lediglich auf eine einigermaßen verantwortungsvolle Berichterstattung an. Und wenn die Ängste doch zunehmen, dann würde mehr Hilfe für die riesigen Lager rund um die oder in den Krisenstaaten helfen – übrigens auch helfen, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen.
Zur Aufgabe der Politik, von Politikern
Aufgabe der Politik, der Politiker, ist es jedenfalls nicht, Ängste zu schüren oder zu verstärken. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Menschen im Land sich nicht zu fürchten brauchen. Das geht nicht mit verbaler Kraftmeierei. Dafür braucht es konkretes Tun und Beispiele, die zeigen, was getan werden kann, um Probleme zu beheben und damit Ängste zu nehmen.
Am leichtesten geht das, wenn die Initiativen von unten kommen, wenn Familien bereit sind, sich z. B. um sogenannte unbegleitete Jugendliche zu kümmern, die in Österreich gestrandet sind und hoffen, dass es ihre Eltern vielleicht auch noch schaffen, nach zu kommen; wenn Gemeinschaften in Dörfern entstehen, die sich gegen die Abschiebung gut integrierter Asylwerber stellen; wenn Pfarrer bereit sind, ihre Kirche für Flüchtlingsfamilien zu öffnen, weil sie die Flucht aus Ägypten als Geschichte ernst nehmen usw..
Menschen für diese Art von Menschenfreundlichkeit zu gewinnen, das wäre eine Aufgabe von Politikern, die die Ängste vieler in Österreich (oder auch anderswo) ernst nehmen und die sich selbst nicht fürchten. Konkrete Begegnung überwindet die Fremdheit, die vielerorts Angst macht. Nicht nur Kinder fremdeln gelegentlich. Das ist ein weiter verbreitetes Phänomen. Und da hilft es, die an der Hand zu nehmen, die sich fürchten und ihnen bei der Überwindung der Fremdheit, der Überfremdungsängste zur Seite zu stehen.
Die Lektion muss allerdings rasch gelernt werden
In einer repräsentativen Wahltagsumfrage durch das Imasinstitut am 15. Juni 2015 mit 1000 Befragten hatten SPÖ, ÖVP und FPÖ jeweils 26 Prozent, die GRÜNEN 14 Prozent und die NEOS 4 Prozent. Fünf Tage später, am 20. Juni zeigte eine Umfrage von Unique für das Profil (500 Befragte) die FPÖ mit 28 Prozent an der Spitze, gefolgt von ÖVP 24 Prozent, SPÖ 23 Prozent, Grüne 15 Prozent und NEOS 7 Prozent. Während ein Wahlergebnis im Sinne der ersten der beiden Umfragen gerade noch eine rot-schwarze oder schwarz-rote Regierung zulassen würde, wäre eine Zweiparteien-Regierung im zweiten Falle nur noch mit der FPÖ möglich.
Schon diese Zahlen machen deutlich: Die FPÖ braucht keine Wahlunterstützung durch SPÖ oder ÖVP. Das Land braucht Alternativen, andere Politikansätze, die helfen Vertrauen zu gewinnen. Und dabei ist das Wort »Vertrauen« von entscheidender Bedeutung. Eine auf Vertrauen gebaute Gemeinschaft ist stark und mutig. Misstrauen führt zu einer ängstlichen Gesellschaft und Angst bildet jenen trüben See, in dem die – nicht nur, Aber vor allem die rechten – Populisten fischen.
Post Scriptum
In der Zeit vom 11. Juni 2015 schlägt Joachim Riedl vor, die SPÖ möge eine Abstimmung unter ihren Mitgliedern zur Klärung der Frage, ob die SPÖ nun mit der FPÖ koalieren soll oder nicht, veranlassen. Über Moral und Anstand oder über Grund- und Menschenrechte lässt sich allerdings nicht abstimmen. Für sie und ihre praktische Umsetzung muss gekämpft werden – von Politikern und Parteien, die noch Grundwerte haben, mögen sie christlich oder sozialdemokratisch orientiert sein. Dafür gilt es Menschen zu gewinnen.
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Caspar Einem ist Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach. Er war u. a. Innenminister der Republik Österreich von 1995 bis 1997.
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Zu Gast bei Fazit, Fazit 114 (Juli 2015), Foto: Michael Thurm
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