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Rinners Geheimnis

| 28. September 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 116, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Seit 1920 verkauft das Familienunternehmen Rinner am Grazer Kaiser-Josef-Platz Fleisch. Als einziger Fleischer der steirischen Landeshauptstadt stellt Helmut Rinner seine Produkte fast zur Gänze selbst her. Auf dem ehemaligen »Holzplatz«, der seinen Namen erst zu Ehren des Kaisers erhielt, der den Protestanten Glaubensfreiheit gewährte, feiert Rinner heuer in vierter Generation 95-jähriges Firmenjubiläum.

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Philosophen schlafen gern länger. Sagt irgend so ein Vorurteil. In der Regel jedenfalls länger als Bauern. Deshalb kommen die Philosophen auch später. Auf den Kaiser-Josef-Platz. Für diesen lukullischsten aller Plätze in der steirischen Landeshauptstadt haben sie (die Philosophen) das Henne-Ei-Problem (Wer war zuerst da?) gelöst: Zunächst muss die Henne (Bauer) den Verkaufsstand für das selbst produzierte Ei (Ware) aufbauen, daher war die Henne zuerst da.

Zumindest am Kaiser-Josef-Platz. Am Platz, wie man in Graz kurz und bündig sagt. Kein Platz für Langschläfer übrigens, um 13 Uhr müssen die Marktstände gemäß der Marktordnung geschlossen sein. Das scheinen aber alle zu wissen, denn sie kommen alle. Die Hausfrau, der Gastwirt, der Arbeiter, der Angestellte, der Student, der Künstler, der Herr/die Frau Professor, kurz: Krethi und Plethi. Doch halt, da widerspricht der ebenfalls, wenn auch später hinzugestoßene Philosoph: »Niemand halte sich hier für etwas Besseres. Der Ausdruck ,Krethi und Plethi‘ geht auf das Alte Testament zurück. Kreter und Plether, vulgo Philister, stellten die Leibwache von König David. Sie waren vermutlich gefürchtet, jedenfalls aber unbeliebt.« Das ist das Besondere am Kaiser-Josef-Markt – diese Gleichzeitigkeit von geistigem Zu- und leiblichem Anspruch. Es ist ein Ort, wo Angebot und Nachfrage sich sowohl auf das Wasser, das im Munde zusammenläuft, als auch auf den Liquor, die Hirnflüssigkeit, beziehen (können). Leibliche Bedürfnisse wie Hunger und Durst werden ebenso befriedigt wie Wünsche nach Ansprache und Kommunikation erfüllt. Täglich, von 6 bis 13 Uhr, außer sonntags, da kommen die Bauern nicht.

Bauern und Philosophen
Die Philosophen lieben den Samstag am Platz. Wie viele andere auch. »Als Erste kommen die Nachtschwärmer«, weiß Helmut Rinner. Dem 45-Jährigen gehört in vierter Generation der mittlerweile rund 25 Meter lange und fest gebaute Fleischerstand an der Ostseite des Platzes, entlang der Mandellstraße. Der Name Rinner hat schon längst Klang und Charakter einer Institution, die bis in das Jahr 1920 zurückreicht. Seit genau 95 Jahren bietet die Grazer Fleischerdynastie ihre Ware auf dem Bauernmarkt an. Es gibt kaum einen Grazer (insbesondere Innen-)Stadtbewohner, egal welchen Alters, dessen Eltern beziehungsweise Großeltern nicht schon Kundschaft dieser Fleischerei waren oder sind.

Qualität statt Preiskampf
Der Arbeitstag von Helmut Rinner beginnt um drei Uhr früh. In der Florianigasse, Bezirk Gries, an der Grenze zu Wetzelsdorf, nahe der Pfarre Don Bosco. Mitten in der Stadt, versteckt zwischen Einfamilienhäusern, befindet sich hier der Fleischverarbeitungsbetrieb. Ausgestattet mit modernster Technik, Schalldämmung, Abluftfilter, Rauchgaswäsche, Abwärmenutzung mit Luftwärmepumpe und ähnlichen Finessen, wird für eine möglichst emissionsfreie Produktion gesorgt. Von den insgesamt 34 Mitarbeitern des Unternehmens arbeiten elf hier in der Produktion. »Wir sind ein gewachsener Betrieb, wo im Vergleich zu einem durchgeplanten Industriebetrieb die Wege manchmal kreuz und quer und daher länger sind«, erläutert Helmut Rinner. Worauf es aber wirklich ankommt, ist wohl das Ergebnis – und dabei gibt es in diesem Betrieb keine Kompromisse. »Für uns zählt nur die Qualität«, so der Fleischermeister. »Wir produzieren nur für uns selbst und nicht mehr für den Großhandel oder Gasthäuser, Schulen und Heime – dort geht alles nur mehr über den Preis und die Qualität bleibt auf der Strecke. Der Grazer Markt ist übersättigt und bei einer Teilnahme am Preiskampf müssten wir doppelt produzieren. Das wollen wir nicht.« Der umfangreichen Stammkundschaft schmeckt das offensichtlich im doppelten Sinn des Wortes und sie dankt es mit geradezu nibelungenhafter, zum Teil jahrzehntelangen Treue, was Rinners Ehefrau Renate, die jeden Tag am Kaiser-Josef-Platz »an der Front« steht, nur freudig bestätigen kann.

Grießschmarrn geht immer
Die Rinner’schen Rollläden am Kaiser-Josef-Platz gehen zwar »erst« um 6 Uhr in die Höhe, da Renate aber »die Erste ist, die reingeht und die Letzte, die rausgeht«, wie Gatte Helmut erklärt, muss er schon so früh anfangen, um die Ware herzurichten, die jeden Tag frisch und fein säuberlich geordnet in und hinter die Vitrinen geräumt werden muss. Das Angebot, das den Kunden gemacht wird, ist ungewöhnlich umfangreich. Die ausgedruckte Angebotsliste umfasst insgesamt mehrere hundert Artikel, wovon geschätzt etwa zwei Drittel Varianten von Schweine-, Rind-, Lamm- und Kalbfleisch sind. Dazu kommen neben Würsten, Innereien, Aspikwaren, Aufstrichen, Selchwaren bis hin zu Suppen und Suppeneinlagen aber noch an die 50 Halbfertiggerichte vom Wienerschnitzel bis zum Semmelknödel sowie natürlich auch unzählige Handelswaren, insbesondere aber noch etwas, was als besondere Spezialität des Familienbetriebs gilt: die heiße Theke. Heißt, jeden Tag ein bis vier verschiedene Speisen zum Mitnehmen. Das muss nicht unbedingt Fleisch sein. Ganz oben auf der Hitliste steht etwas ganz anderes, wie Renate Rinner erklärt: »Besonders beliebt ist unser Grießschmarrn. Der geht immer.«

Woher das Fleisch kommt
Als harmloser Kaiser-Josef-Platz-Flaneur und unschuldiger Beobachter der Szenerie stößt man an der Ostseite des Platzes immer wieder auf ein bestimmtes Bild. Vor den ehemals vier Doppelständen und dem nunmehr durchgehenden Stand der Familie Rinner bildet sich regelmäßig eine Menschentraube. Aber auch hinter der langen Verkaufstheke bewegen sich ungewöhnlich viele Personen. Das Rinner’sche Verkaufspersonal umfasst gezählte siebzehn Mitarbeiter. Anders ist der Andrang der Kundschaft wohl auch nicht bewältigbar. Unwillkürlich vermutet man ein Geheimnis hinter dieser Nachfrage. Insgesamt arbeiten neun Familienmitglieder im Betrieb mit. Da wären einmal die »alten Rinners«. Mutter Aloisia ist nach wie vor freitags und samstags für ihre Kunden da und Vater Helmut ist im Büro tätig. Er kann auch eine Teilerklärung für den Kundenandrang liefern: »Als ich hier gelernt habe, von 1954 bis 1957, hat es in Graz noch 250 Fleischereien gegeben und allein am Kaiser-Josef-Platz waren 24 Fleischerstandln. Heute sind wir nur mehr zwei.« Eine strukturell bedingte Angebot-Nachfrage-Schere somit. Aber auch Herbert Pirchheim, der mit Helmuts Schwester Silvia verheiratet ist, ist ein Teil des Geheimnisses. Er betreibt in der Region Weiz eine Stiermast und ist der Rindfleischlieferant der Fleischerei Rinner. Mit Schwager Helmut spricht er Zuchtbedingungen von der Haltung bis zur Fütterung auf das Genaueste ab. So wird 90 Prozent Eigenfutter, nämlich ausschließlich Getreide, Silofutter und Heu verwendet. Als Spezialist für die verschiedenen Rinderrassen, von denen er 40 Stück am Hof und weitere zehn »auf der Alm« hat, lenkt er über die Mastkonditionen die Qualität des Rindfleisches von der Fleischfarbe bis zur sogenannten Fettabdeckung nach den Vorgaben seines Schwagers. Der weiß als Fleischverarbeiter somit nicht nur genau, was gefüttert wurde und unter welchen Bedingungen im Weizer Schlachthof vorgegangen wird, sondern auch was die Kunden wünschen. »So ist es wichtig, dass das Rind nicht mehr als 330 bis 380 Kilogramm wiegt. Sonst werden die Stücke zu groß.« Ähnlich geht Rinner auch beim Schweinefleisch vor: »Wir verarbeiten ausschließlich Vulkanlandschweine vom Schlachthof Raabtal in Feldbach. Und das Lamm kommt immer von den Weizer Schafbauern.«

Absage an AMA und Bio
Wer über derart ausgezeichnete und verlässliche Verbindungen und Qualitätskontrollen schon von Anbeginn der Aufzucht verfügt und kein unbekanntes Fleisch aus dem Ausland zukaufen muss, kann die Qualität auch konstant auf hohem Niveau halten. Deshalb macht sich Helmut Rinner gar keinen Kopf wegen Biofleisch. Obwohl es ihm sauer aufstößt, dass er als Nicht-AMA-Mitglied Nachteile sieht: »Ich darf schriftlich nicht mit ‚steirischem‘ oder ‚österreichischem‘ Fleisch werben. Nur sagen darf ich es.« Verlassen kann sich Helmut Rinner außerdem auf Walter und Katrin. Bruder Walter ist nämlich für den Einkauf zuständig und trägt damit seinen Teil zum Geheimnis des Familienunternehmens bei. Alle ziehen an einem Strang und das wird auch nach außen vermittelt. Jene, die das beste Sensorium dafür haben, sind immer die Kunden, und offensichtlich lassen sie sich das gern anmerken. Denn sie geben zurück, was sie bekommen: Vertrauen und Verlässlichkeit. So tragen auch sie zum Erfolg und zu einem Jahresumsatz von über zwei Millionen Euro bei. Und bitte, sagen Sie nie Kaiser-Franz-Josef-Platz – sonst kommt der Philosoph. Und klärt Sie auf, dass das Toleranzedikt natürlich von Josef II. stammt.

Fleischwaren Rinner GmbH
8020 Graz, Florianigasse 18
Filialen: Kaiser-Josef-Platz und Seiersberg
Telefon 0316 714029
rinner.co.at

Fazitportrait, Fazit 116, (Oktober 2015) – Foto: Marija Kanizaj

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