Anzeige
FazitOnline

Spare in der Zeit …

| 23. Oktober 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 117, Fazitthema

Illustration: Peter Pichler

Spätestens seit der Finanz- und Schuldenkrise scheiden sich am Begriff »Sparen« die Geister. Nachdem die Geldinstitute jahrzehntelang versucht haben, ihre Kunden mit bunten Weltspartaggeschenken zum Sparen zu animieren, sehen inzwischen immer mehr Ökonomen im schwachen Konsum die größte Gefahr für die Wirtschaft. Denn klar ist, dass die Unternehmen leiden, wenn zu wenig Geld für Einkäufe verwendet wird. Text von Johannes Tandl.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegsjahre appellierten Politik und Finanzwirtschaft an die Österreicher, doch nicht ihr gesamtes verfügbares Einkommen zu verkonsumieren. Denn damals wie heute war die österreichische Wirtschaft in erster Linie kreditfinanziert. Und um zu wachsen, mussten investitionsfreudige Unternehmen Kredite aufnehmen, die es mit den Spareinlagen der »kleinen Leute« zu unterlegen galt. Nach dem Krieg war die Bevölkerung jedoch misstrauisch. Sparen galt zwar immer noch als Tugend und Sprichwörter wie »Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not« kannte so gut wie jeder, doch viele Ältere hatten ihr gesamtes Barvermögen in den Wirren von Weltwirtschaftskrise, Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg gleich mehrfach verloren – und auch ihnen war zuvor gesagt worden, dass ihr Geld sicher sei.

Doch der Schilling entwickelte sich als Folge seiner Bindung an die Deutsche Mark tatsächlich zu jener harten Währung, die von der Politik versprochen worden war. Und mit dem Aufschwung wuchs auch die Bereitschaft, Geld für größere Anschaffungen – oder für schlechtere Zeiten – zurückzulegen.

Sparefroh und Sumsi sollten das Sparen schmackhaft machen
Von wem, wenn nicht von den sparfreudigen Schwaben kann man das Auskommen mit dem Einkommen lernen? Und so übernahmen die österreichischen Sparkassen die lustige Figur des Sparefrohs, den die Stuttgarter Sparkasse eingeführt hatte, um ihren kleinen Kunden die Tugend des Sparens schmackhaft zu machen. Auch die Raiffeisenbanken bedienten sich mit ihrer fleißigen Biene Sumsi bei einem Grafiker aus Baden-Württemberg. Die Figur wurde in den 70er Jahren mit großem Erfolg bei den jüngsten Raiffeisenkunden in Österreich eingeführt und sollte die unter 10-Jährigen animieren, ihr Geld mit Bienenfleiß auf ein gut verzinstes Sparbuch zu geben. Tatsächlich konnten österreichische Sparbuchsparer jahrzehntelang – bis zum Ausbruch der Finanzkrise – eine bescheidene Realverzinsung auf ihre Ersparnisse erzielen. Die Österreicher sind besonders konservative Anleger. Sie gehen keine Risiken ein. Dem Grundsatz folgend »Sicherheit geht vor Ertrag« bilden Sparbücher und Bausparverträge daher nach wie vor die beliebtesten Sparformen.

Wer heute spart, sei entweder ein Idiot oder ein unverbesserlicher Idealist, meint hingegen der österreichische Ökonom Rahim Taghizadegan. Sparen sei nichts anderes als Konsumverzicht und der werde nicht vergolten. Die Gefahr sei groß, dass das angesparte Geld entwertet werde – laufend und unmerklich: durch Inflation. Die Zinsentwicklung der letzten Jahre bestätigt Taghizadegan. Wer sein Geld relativ risikolos auf einem Sparbuch angelegt hat, muss seit geraumer Zeit einen deutlichen Realverlust hinnehmen. Selbst sparbereite Zeitgenossen würden sich daher aus höherer Einsicht, aber wider Willen, für den Konsum entscheiden und Dinge kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, so Taghizadegan.

Seit 1995 hat sich die Sparquote der Österreicher halbiert
Die sinkenden Renditen haben tatsächlich deutliche Auswirkungen auf das Sparverhalten der Österreicher. Aus Sicht der Banken steht die Notwendigkeit des Sparens naturgemäß außer Streit. In Zeiten, in denen die Bürger davon ausgehen sollten, dass ihre Pensionen nicht ausreichen werden, um den gewohnten Lebensstil zu finanzieren, könne man gar nicht früh genug mit der Vorsorge beginnen, heißt es unisono aus Banken- und Versicherungskreisen. Bei Vorsorgeprodukten raten die Institute zu langfristigen Bindungen, weil sich dadurch ein Ertrag abbilden lässt, der immer noch deutlich über der Inflationsrate liege. Bei kurzfristigen Sparformen wollen die Banken zumindest einen Vermögenserhalt erreichen. Sie sehen sich dabei aber den Unwägbarkeiten von Finanzmarkt und exzessiver Geldpolitik unterworfen. Und die Österreicher haben tatsächlich massiv auf die geänderten Rahmenbedingungen reagiert – indem sie nämlich nur mehr halb so viel sparen wie noch vor zwanzig Jahren. 1995 lag die Nettosparquote noch bei 14,6 Prozent der verfügbaren Einkommen, 2014 nur mehr bei 7,8 Prozent. Die Sparquote hängt jedoch erst in zweiter Linie von der Höhe der Zinsen ab. Entscheidend ist die Höhe der Einkommen. Das hat der britische Ökonom John Maynard Keynes bereits in den Dreißigerjahren bewiesen und in seiner Konsumfunktion abgebildet.

Die USA erklären das Sparen zur Untugend
Keynes fragte sich, was passiert, wenn die Leute sparen anstatt einzukaufen. Er kam dabei zu dem Schluss, dass jemand, der heute nicht in ein Restaurant essen geht, weil er sich etwas Geld sparen will, sein Erspartes nicht zwangsläufig in einer Woche oder in einem Jahr in einem Restaurant ausgeben wird. Damit beeinträchtigt sein Verhalten – das Sparen – das Geschäft der Gastronomen mit der Konsequenz, dass, wenn weniger Leute essen gehen, auch weniger Restaurants, weniger Kellner und weniger Köche benötigt werden. Die Schlussfolgerung von Keynes lautete, dass die Wirtschaft zwangsläufig in eine Rezession stürzen müsse, wenn die Menschen zu viel sparen und zu wenig Geld ausgeben. Die nachfrageorientierten Ansichten von Keynes haben sich in nur wenigen Jahrzehnten global durchgesetzt und werden im Großen und Ganzen bis heute nicht in Frage gestellt. Und auch die Wirkung der Nachfragefunktion steht außer Streit: Je mehr Geld einkommensschwächeren Schichten etwa durch Sozialtransfers zur Verfügung steht, desto besser ist das für die Wirtschaft. Denn wer wenig hat, kann es sich nicht leisten zu sparen.
Vor allem in den USA wurden Keynes Lehren von der Wirtschaftspolitik aufgegriffen und aus Sicht vieler neoklassisch angehauchter Ökonomen durch exzessive Anwendung mitunter pervertiert. Bis in die Fünfzigerjahre galt Sparen auch in Amerika als Tugend. »Jeder Penny, den man spart, ist ein Penny, den man verdient«, meinte etwa Benjamin Franklin und die Erfolgreichsten seiner Landsleute hielten sich an dieses typisch protestantische Motto. Um die Wirtschaft nach dem Krieg anzukurbeln, wandte sich Amerika jedoch einer – von der Wirtschaft getriebenen – exzessiven Konsumkultur zu, in der das Sparen keinen Platz mehr hatte und selbst Ausgaben des täglichen Lebens immer öfter über Kredite finanziert wurden. Und so stieg die Verschuldung der amerikanischen Haushalte, ohne als ökonomisches Problem wahrgenommen zu werden, kontinuierlich an. Mit der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower war diese exzessive Form des Keynesianismus endgültig auch bei den Republikanern angekommen. Sparen galt auf einmal als wirtschaftsgefährdende Untugend. Als Eisenhower etwa 1958 gefragt wurde, wie sich die Leute vor einer drohenden Rezession schützen sollten, antwortete er »Kaufen«. Auf die Frage, was die Leute kaufen sollten, meinte Eisenhower nur: »Kaufen, ganz egal was!«

Die US-Industrie tat in der Folge alles, um die Amerikaner in Ratenkäufer zu verwandeln. Der Massenkonsum stellte sich daher um zwei Jahrzehnte früher ein als in Europa. Der Grund dafür, dass bereits zu Beginn der Sechzigerjahre so gut wie alle amerikanischen Haushalte motorisiert waren und über Waschmaschinen und Kühlschränke verfügten, lässt sich daher nicht mit signifikant höheren Einkommen oder niedrigeren Preisen belegen, sondern im weitgehend unbeschränktem Zugang der Mittelschicht zu Ratenkäufen und Konsumkrediten.

Wie groß die Unterschiede zwischen Europa und den USA aber immer noch sind, zeigt sich etwa beim Umgang mit Kreditkarten. Bei uns gelten Visa, Amex und Co als sichere Alternativen zum Bargeld. In Europa müssen die Kreditkartenumsätze spätestens am Monatsende abgedeckt werden, in den USA bleiben sie hingegen als ungedeckter Überziehungsrahmen stehen, bis sie irgendwann gedeckt werden. Nur wenn selbst die Zinsen nicht mehr bedient werden können oder der Rahmen erreicht ist, werden die Karten gesperrt.

Ähnlich verhält es sich mit Hypothekardarlehen. In Europa dienen sie in erster Linie dazu, um den Kauf oder die Sanierung einer Immobilie zu finanzieren. In den USA hingegen wurde jedem Haus und jeder Wohnung ein jährlicher Wertzuwachs unterstellt, der sich in einer höheren Schuldentragfähigkeit abbildet. So war es bis zur Subprimekrise etwa überhaupt kein Problem, unabhängig von der Person des Antragstellers einen immobilienbesicherten Kredit zu erhalten, der den Wert der Immobilie um das Eineinhalbfache übersteigt. Diese Kredite wurden in Regel jährlich um weitere vier bis sechs Prozent – abhängig von der durchschnittlichen Wertsteigerung der Immobilie – für zusätzliche Konsumausgaben erweitert. Von den völlig überschuldeten Haushalten mussten nur die anfallenden Zinsen bedient werden. Die Blase platzte, als sich viele Amerikaner, in Folge massiv gestiegener Benzinpreise, die stundenlangen Autofahrten zum Arbeitsplatz nicht mehr leisten konnten. Sie gaben ihre Häuser in abgelegenen Vororten auf, um sich in der Nähe ihrer Arbeitgeber niederzulassen. So kamen immer mehr unverkäufliche Immobilien in schlechten Lagen auf den Markt. Die Preise begannen zu sinken und das »Hypothekenkarussell« funktionierte auf einmal nicht mehr. Da zu diesem Zeitpunkt ein Gutteil der inzwischen notleidenden Kredite bereits an Banken in anderen Teilen der Welt verkauft worden war, nahm die Krise globale Ausmaße an.

Die Moral aus Sicht des Sohnes einer »schwäbischen Hausfrau«
Inzwischen sind sieben Jahre vergangen und die USA setzten – ohne große Erfolge – weiterhin auf eine nachfrageorientierte – schuldenfinanzierte – Wirtschaftspolitik. In Deutschland und damit in der Eurozone sind hingegen Konsolidierungspolitiker am Werk, die die Staatsschulden eindämmen und somit die Zinsen finanzierbar halten wollen. Doch auch sie schafften es bisher nicht, die Krise abzuschütteln.

Max Weber beschrieb die Tugend des Sparens als Element der protestantischen Ethik, auf die sich auch der Kapitalismus zurückführen lässt. Im 19. Jahrhundert, in dem von einem funktionierenden Kapitalmarkt noch keine Rede sein konnte, bildete Sparen tatsächlich die einzige Möglichkeit, um Kapital für Investitionen zu bilden. Im Industriezeitalter galten Arbeit und Kapital daher als die wichtigsten Quellen des Wachstums und nicht Konsum und Kredit. Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens stand der ehrbare Kaufmann. Und zu dessen Pflichten gehörte auch die Sparsamkeit. Er bildete eine der Säulen des Bürgertums, und wenn Thomas Mann in den »Buddenbrooks«, aufzeigt, wie Spekulation, Disziplinlosigkeit und Schulden ein Leben ruinieren können, galt das nicht nur für die deutsche Gesellschaft des vorletzten Jahrhunderts als Konsens. In weiten Kreisen der mittelständisch geprägten deutschen Wirtschaft gilt dieses Bild – in abgemilderter Form – auch heute noch. Wenn der deutsche Finanzminister Schäuble damit kokettiert, dass seine Mutter eine »schwäbische Hausfrau« gewesen sei, ist das ein Sinnbild für die innerste Überzeugung und für sein Wertesystem des konservativen Politikers. Verschuldungsmentalität, wie sie in den USA oder auch in Südeuropa gelebt wird, hat darin keinen Platz. Als deutscher Finanzminister ist Schäuble natürlich auch »Keynesianer« und Anhänger des Deficitspending. Für ihn als Sohn einer schwäbischen Hausfrau ist jedoch klar, dass nur Schulden gemacht werden dürfen, wenn sie auch bedient werden können. -jot-

Titelgeschichte Fazit 117 (November 2015) – Illustration: Peter Pichler

Kommentare

Antworten