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Tandl macht Schluss (Fazit 118)

| 19. November 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 118, Schlusspunkt

Die vierte industrielle Revolution als Herausforderung für den Standort. Die unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« bekannte vierte industrielle Revolution wird unser Leben so nachhaltig verändern wie die Einführung der arbeitsteiligen Massenproduktion. Schon heute versuchen immer mehr Hersteller, ihre Erzeugnisse auf spezielle Kundenwünsche hin zu individualisieren. Bis jetzt erreichen sie das mit sogenannter Bausatzproduktion. Wir kennen das aus dem Möbelhaus, wo wir bei einer Couch etwa die Qualität der Polsterung, die Farbe oder die Sitzhöhe individuell bestimmen können.
Die digitale Fabrik kommt ohne Bausätze aus. Damit sie funktioniert, müssen entsprechende »Individualisierungs-Schnittstellen« entwickelt werden, über die sich die Kunden mit den Produzenten vernetzen, um ihre individuellen Anpassungswünsche zu kommunizieren. Die Fertigungstechnik spricht von cyberphysischen Systemen, sogenannten CPS, in der die virtuelle und die reale Welt zusammenlaufen. Damit ist die vollautomatisierte Vernetzung von Bestellung und Produktion über das Internet gemeint.

Vorbei wären etwa die Zeiten, in denen Schuhe, die man zuvor nicht probiert hat, trotz richtiger Konfektionsgröße entweder zu schmal oder zu groß sind. Ein Schuh aus der digitalen Fabrik passt perfekt, weil er extra für den zuvor laservermessenen Fuß des Kunden hergestellt wird. Er würde zudem kaum mehr kosten als irgendein klassischer Konfektionsschuh aus dem Fachgeschäft. Ähnliches gilt für Bekleidung, Haushaltselektronik, Mobilität. Dienstleistungen wie etwa die Buchung der Urlaubsreise funktionieren ja schon heute nach diesem Prinzip.

Aus Konsumentensicht klingt das natürlich sehr verlockend. Doch immer mehr internationale Studien kommen zum Ergebnis, dass als Folge von »Industrie 4.0« etwa jeder zweite Arbeitsplatz in den kommenden 20 Jahren nicht mehr benötigt werden wird. Der Großteil der wegfallenden Jobs soll zwar durch neue Arbeitsplätze, die ebenfalls mit »Industrie 4.0« zusammenhängen, ersetzt werden, das Delta wäre jedoch klar negativ.

Empirische Untersuchungen haben Folgendes gezeigt: Das Mooresche Gesetz – es postuliert die Verdoppelung der Leistung von Mikrochips und Computern alle 18 Monate – gilt auch für andere technologische Entwicklungen wie etwa 3D-Printing, künstliche Sensorik, künstliche Intelligenz, Robotik, Drohnen- und Nanotechnik. Diese exponentiell wachsenden Technologien werden nicht nur industrielle Prozesse beschleunigen, flexibilisieren und fundamental verändern.

Während neue Technologien bisher vor allem in der Industrie Jobs ausradiert haben, ist durch die exponentielle Leistungssteigerung der CPS erstmals auch ein Jobabbau im Dienstleistungssektor und in der Administration zu erwarten. Entscheidend ist der Anteil an sich wiederholenden, digital automatisierbaren Tätigkeiten. So wird es den Facharbeiter am Fließband nicht mehr geben. Aber auch Berufe wie Buchhalter, Schaltermitarbeiter oder Kassierer sind wegen ihrer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit bedroht. Wer heute vor der Wahl steht, sollte daher einen Beruf wählen, der kaum automatisiert werden kann. Das wären neben den klassischen Kreativjobs etwa Psychologen, Ärzte, Architekten, Bauingenieure, Lehrer, Physiotherapeuten, aber auch Friseure, Fitnesstrainer oder Alten- und Krankenpfleger.

Anders als technologische Revolutionen zuvor sind die meisten Ökonomen bei der vierten industriellen Revolution pessimistisch. Sie rechnen damit, dass deutlich mehr Arbeitsplätze verloren gehen als neu hinzukommen. Als mahnendes Beispiel wird etwa die Musikindustrie genannt, die auf ein Viertel ihrer einstigen Wirtschaftskraft geschrumpft ist, nur weil sie durch den Einsatz digitaler Netzwerke effizienter gemacht wurde.

Die Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft ist daher riesig. Den einzigen Ausweg, um das Beschäftigungsniveau annähernd zu halten, bildet die Innovationskraft als Wachstumsquelle. Diesbezüglich ist die Steiermark sehr gut aufgestellt. Doch benötigt es auch ein hervorragendes Bildungs- und Weiterqualifikationssystem und zudem Mitarbeiter, die willens und vor allem in der Lage sind, in der digitalen Welt zu bestehen.

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Tandl macht Schluss! Fazit 118 (Dezember 2015)

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