Revolutionäre Gegensätze
Redaktion | 17. Februar 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 120, Fazitreise
»Schnell noch mal nach Kuba, bevor dort alles anders wird« oder »zu Lebzeiten von Fidel möchte ich nochmal hin« hört man gelegentlich. Nun, Kuba ist eine wunderbare Winterdestination, um beispielsweise zur Weihnachtszeit ein paar Sonnenstrahlen und etwas Meeresluft zu tanken. Und noch einen Mojito auf die Revolution zu trinken. Von Thomas Goiser.
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Auch wenn das Wirtschaftssystem der Revolutionäre von einer sozialistischen Planwirtschaft gerade transformiert wird, Angebot und Nachfrage sind bereits angekommen. Wenn man beispielsweise Anfang oder Mitte Dezember ins Land kommt, kann man im Vergleich zu den Weihnachtsferienurlaubern Geld sparen. Manche Hotels verdoppeln ihre Zimmerpreise kurz vor den Feiertagen. Kanadier, Skandinavier, Briten und Mitteleuropäer tummeln sich auf den Stränden und im seichten azurblauen Meerwasser; demnächst sollen vermehrt US-Amerikaner dazu kommen.
Man kann vor Weihnachten auch ein besonderes Unikum erleben. Am 17. Dezember wird in El Rincón nahe Havanna das Fest des Heiligen Lazarus begangen. Hier vermischen sich katholischer Glaube und karibisches naturreligiöses Erbe. In Form einer Wallfahrt begeben sich zehntausende Pilger zur Kirche und bitten um Hilfe für die Verwirklichung ihrer Wünsche und Vorsätze. Manche zeigen ihre Ernsthaftigkeit, indem sie sich – zumindest auf Teilen des Weges – auf Knien oder am Boden kriechend fortbewegen. Manche tun dies in Ketten, indem sie Steine vor sich herschieben oder nachziehen oder sich auf andere ausgefallene Art ihren Weg schwer machen. Eine Metapher auf die Mühen des Alltags?
Parallelwelten und -währungen
Von diesen haben die meisten Menschen in Kuba ausreichend. Eine Wirtschaft im Umbruch hinterlässt auch Brüche in der Gesellschaft. Etwa durch die enormen Einkommensunterschiede und ein System von zwei parallelen Währungen; eine ist den Touristen vorbehalten, in der anderen »funktioniert« die lokale Wirtschaft. Die Brüche zeigen sich auch in der gesamten öffentlichen Infrastruktur und den Gebäuden, die, grob gesprochen, aus vier Epochen stammen: spanischer Kolonialbarock und Historismus, US-amerikanische Investitionen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sowjetischer Realismus und moderne, mit chinesischer Hilfe errichtete Verkehrs- und Logistikanlagen. Daneben gibt es am Land weiterhin Dörfer aus einfachsten Landarbeiterhütten, die an die Zuckerplantagenwirtschaft des 19. Jahrhunderts erinnern. Weitere Parallelwelten zeigen sich im Fuhrpark der Insel. Handkarren und Pferdefuhrwerke treffen im Straßenverkehr auf die berühmten ausladenden US-Limousinen der Neunzehnfünfzigerjahre, auf klapprige Moskwitschs und Ladas sowie auf die modernere Busflotte von chinesischen Herstellern. Kreative Reparaturen und Adaptionen haben als Folge der jahrzehntelangen Mangelwirtschaft seltsame Gebilde entstehen lassen, die alle noch irgendwie funktionstüchtig und vor allem fahrbereit sind.
Abenteuerlicher Nah- und Fernverkehr
Touristen merken davon meist wenig, außer dass Taxifahrer oft stattliche Preise verlangen, egal aus welcher Ära ihr Gefährt stammt und in welchem Zustand es ist. Da kann man über weitere Strecken auch kostengünstiger unterwegs sein. Zahlreiche Fernbus-Linien (»Viazul«) bringen einem im Landesinneren in stundenlangen Überlandfahrten über etwas holprige Straßen weiter. (Wichtiger Tipp dazu: Zeit nehmen, Tickets vorher kaufen, Check-in vor der Abreise, Gepäck aufgeben, unbedingt Kappe, Halstuch und Pulli mitnehmen – die Klimaanlage führt zu unschönen Erkältungen). So lassen sich auch Gegenden wie das Vinalestal (ein beeindruckender Naturpark) im Westen des Landes oder die 1514 gegründeten Stadt Trinidad de Cuba im Süden erreichen.
Revolution im Museum
Wo es schon möglich ist, wird renoviert, etwa in der Altstadt von Havanna oder in Tourismuszentren wie dem nahe gelegenen Varadero, wo sich auf einer Landzunge Hotel an Hotel reiht. Hier lässt sich ein Badeurlaub mit etwas Revolutionsfolklore kombinieren. Auch wenn gewissermaßen das ganze Land momentan ein Museum ist, sollte man in Havanna das »Museum der Revolution« im früheren Präsidentenpalast nicht auslassen. Hier sind zahlreiche Ikonen und Originalgegenstände aus der Revolutionsära ausgestellt – von der Yacht »Granma« über Kampfflugzeuge und Wrackteilen von während der Kubakrise 1962 abgeschossenen US-Flugzeugen. Intensiv wird dann noch die erste Phase der Umgestaltung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems in den Neunzehnsechzigerjahren behandelt. Nach ähnlichen Museen sucht man seit 1989 in Europa vergeblich. Gedanklich ist es von dort (»Socialismo o Muerte«) nicht weit zum großen und besonders beeindruckenden Friedhof, dem »Cementerio Cristóbal Colón«, auf dem etwa eine Million Menschen bestattet sind. Und nach einem Bummel in der Altstadt Havannas ist es besonders empfehlenswert, den Abend in einer Freiluftbar am Dach eines Hotels oder im Park des historischen Hotels »Nacional« ausklingen zu lassen.
Propaganda statt Werbung
Ein besonders auffälliges Phänomen ist, dass – mit Ausnahme von politischer Propaganda – im ganzen Land keine Werbung zu sehen ist. Statt Produktwerbung gibt es riesengroße Abbilder von José Marti, Che Guevara, Fidel und Raul Castro, Camilo Cienfuengos und deren wichtigsten Aussagen und Slogans. Manchmal sind diese Abbildungen handgemalt auf Gebäuden, oft auch als Mahnmale in Stein oder Beton gefasst. Eine Revolution, die gekommen war, um zu bleiben und sich nun neu erfindet.
Rege österreichische Wirtschaftsdiplomatie
Die wirtschaftliche Öffnung als Folge des Zusammenbruchs des einstigen Partners Sowjetunion hat zu einer starken Ausrichtung auf den »Devisenbringer Tourismus« geführt. Das soll auch in Hinkunft weiter ausgebaut werden. Eine große Hoffnung der kubanischen Wirtschaftspolitik liegt heute zudem in der Normalisierung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und in der Entwicklung der Sonderwirtschaftszone »Mariel«, die als Produktionsdrehscheibe und Logistikverteilzentrum für Zentral- und Südamerika geplant ist. Auch wenn der Ausbau dort gerade startet, wird das Projekt gerne Gästen aus aller Welt präsentiert – so auch aus Österreich. Vergangenen Dezember besuchte der damalige Infrastrukturminister Alois Stöger mit einer Delegation von mehr als 20 Unternehmen den »Inselstaat im Umbruch«. Bestehende Geschäftsbeziehungen und weiter große Erwartungen gibt es vor allem in den Bereichen Infrastruktur und eben auch Tourismus. Anfang März folgt dann die nächste offizielle Wirtschaftsreise anlässlich des Besuchs von Bundespräsident Heinz Fischer. Ein neuer Markt tut sich auf, und da will Österreich auch mitmischen.
Fazit: Das Land ist jedenfalls einen Besuch wert, vielleicht nicht unbedingt zu Weihnachten oder während der Hurrikansaison im Sommer und Herbst. Und wer nur zum Baden hinfährt, versäumt eine reichhaltige Kultur und Einblicke in ein einmaliges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem im Umbruch. So viel Zeit muss sein – das kommt nicht wieder. Salud!
Weitere Informationen
Kuba (amtliche Bezeichnung Republik Kuba) ist ein Inselstaat in der
Karibik, der im Nordwesten und Norden an den Golf von Mexiko sowie den Atlantischen Ozean und im Süden an das Karibische Meer grenzt. Hauptstadt des Landes ist Havanna. Kuba hat ein sozialistisches, autoritäres
Einparteiensystem; Staatsoberhaupt und Regierungschef ist Raul Castro.
Kuba hat rund elf Millionen Einwohner bei einer Bevölkerungsdichte von 102 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2014 rund 80,5 Milliarden Dollar (entspricht etwa 7000 Dollar pro Einwohner).
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Fazitreise, Fazit 120 (März 2016), Foto: Johannes Zinner
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