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Blue Jean oder unser Leben mit David Bowie

| 17. Februar 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 120, Kunst und Kultur

Foto: David Bowie/Vevo

Es war ganz eindeutig ein Erweckungserlebnis. Denn damals, in den späten Siebzigern, auf dem Lande, wusste kein Mensch, wer dieser Bowie sein sollte. Jeder, dem ich den Namen nannte, schaute ratlos drein. Aber ich hatte irgendwo ein Lied aufgeschnappt – auf Ö3 wohl – und da war er, ich erkannte ihn sofort! Auf der »LP«, der Langespielplatte »Hunky Dory« in der Auslage des Plattengeschäfts in der Grazer Annenstraße. Ich rannte in den Musikladen und verlangte nach David Bowie. Das war meine Wende. Von Andrea Wolfmayr.

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Es war ganz eindeutig ein Erweckungserlebnis. Denn damals, in den späten Siebzigern, auf dem Lande, wusste kein Mensch, wer dieser Bowie sein sollte. Jeder, dem ich den Namen nannte, schaute ratlos drein. Aber ich hatte irgendwo ein Lied aufgeschnappt – auf Ö3 wohl – und da war er, ich erkannte ihn sofort! Auf der »LP«, der Langespielplatte »Hunky Dory« in der Auslage des Plattengeschäfts in der Grazer Annenstraße. Ich rannte in den Musikladen und verlangte nach David Bowie. Das war meine Wende.

An sich bin ich ja eher der Blue-Jeans-Typ. Camouflaged Face. Träumte von Screaming Lord Byron und saß mit dem netten jungen Mann am Tisch. Aber er begleitete mich immer. Ich träumte von ihm, wie viele von ihm träumten. In meinem Traum war ich weiß geschminkt mit dem rotblauen Blitz im Gesicht und hatte den Trenchcoat aus Low an. Ich flüchtete aus unserem Dorf, weg aus der Enge, über den Zaun, während eine Hexe mir kleine weiße Scheiben nachschmiss, winzige Ufos, die an meinen Schläfen kleben blieben und mein Hirn veränderten.

Ok, aber abgesehen von meiner Geschichte: David hat uns allen beigebracht, dass Kunst ein viel weiteres Feld ist als das, was sie versuchten, uns einzureden, Schule, Gesellschaft, Markt. Überhaupt wurde er keiner Schablone gerecht, niemals. Wenn schon, dann machte er Schablonen, setzte Trends. Er erweiterte den Kunstbegriff, machte die Kunst größer und anders, zusammen mit Andy Warhol, mit John Lennon, brachte uns bei, dass wir Heroes sein können, Helden für einen Tag.

Er erzählte uns, dass es keine Zeit gibt, dafür ein Universum. Wir waren mit Major Tom draußen und lösten uns von der Erde. Wir spielten mit Ziggy Stardust und den Spiders in Hinterhöfen, wuzelten Zigaretten, fühlten uns als Rock & Roll Suicide und fielen in Lodger vom Dach. Wir besuchten Suffragette City und Warszawa, waren Rebellen und Absolute Beginners, übten Modern Love, taten Ashes to Ashes, und Cha-Cha-Changes waren an der Tagesordnung.

In unserem Jahrhundert leben wir Earthlinge einen Gutteil unseres Lebens virtuell. The Stars look very different today und sie sind durch die Medien so präsent, dass wir sie jederzeit bei uns haben, ihre Bewegungen, Gesten, Mimik. Wir kennen sie besser als unsere Freunde, sie sind unsere Freunde. Wir verwandeln uns in Marc Bolan und T. Rex, Iggy Pop, Freddie Mercury und Patti Smith, Mick Jagger und Tina Turner. Jeder von uns hat einen Blitz im Gesicht. David Bowie hat unser Leben reicher gemacht, that is a fact. Durch seine Musik, seine Songs, seine Texte, sein Auftreten. Interessanter. Vielfältiger. Möglicher.

Kein leicht Verständlicher. Kein Bequemer. Ein Starman. Bigstar. Blackstar. Jeans, Fantasy-Glitzer oder Anzug, er war uns immer ein Stück voraus. Hat sich in die Weltgeschichte eingeschrieben, sogar sein eigenes Sternbild bekommen. Hat uns gewarnt vor dem großen Baal und den Horden diamantener Hunde. Fürchtete sich vor Amerikanern. Hat zuletzt den Tod beschrieben, während er ihn erlebte. Und ist auferstanden, während er starb.

Andrea Wolfmayr, geboren 1953, lebt als Schriftstellerin in Gleisdorf. Zahlreiche Publikationen, u. a. »Jane und ich oder Die Therapeutinnen« 2014, »Roter Spritzer« 2015. Im Herbst 2016 erscheint »Mit Vati. Eine Entwicklung«.

Alles Kultur, Fazit 120 (März 2016) – Foto: David Bowie/Vevo

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