So viele Menschen!
Redaktion | 17. Februar 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 120, Fazitthema
Zur Zeit um Christi Geburt lebten etwa 300 Millionen Menschen auf der Erde. Diese Zahl hat sich bis zum Jahr 1600 auf 600 Millionen verdoppelt. Inzwischen hat sich die Verdoppelungsrate der Menschheit auf 50 Jahre reduziert. Heute gibt es etwa 7,4 Milliarden Menschen. Nach Schätzungen der UNO werden es bis 2050 fast zehn Milliarden sein.
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Längst ist klar, dass nicht nur die Art, wie wir leben und welche Ressourcen wir für unseren Lebensstil verbrauchen, das Gesicht der Erde verändert. Auch die ständig wachsende Anzahl von Menschen, die unseren Planeten bevölkern, Wälder roden, Böden versiegeln und Schadstoffe verbreiten, ist zur Belastung geworden. Und so wird unter anderem umso mehr Kohlendioxid freigesetzt, je mehr Menschen auf der Erde leben.
Doch die Frage, wie viele Menschen die Erde vertragen kann, ist alles andere als einfach zu beantworten. Die Antwort hängt in erster Linie von den Technologien ab, die wir in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden. Dazu zählt etwa die Substitution der fossilen Energieträger genauso wie die umweltverträgliche Steigerung der Lebensmittelproduktion oder ein effizienterer Umgang mit unseren Rohstoffen und mit Wasser. Die sogenannte Belastbarkeitsforschung versucht, eine klare Grenze festzusetzen, wie viele Menschen unsere Erde verträgt. Doch bei Prognosezeiträumen von mehreren Dekaden kann man zwar eine auf empirischen Daten basierende Technologierate unterstellen; die Unsicherheiten sind jedoch viel zu groß, um konkrete Zahlen daran festzumachen. Einig ist man sich jedenfalls, dass es bei begrenzten Ressourcen auf Dauer kein exponentielles Bevölkerungswachstum geben kann.
Entwicklungsländer wollen sich von Industrieländern nicht einschränken lassen
Die Schlussfolgerung, dass die explodierende Bevölkerung in der Dritten und Vierten Welt die Konflikte um globale Ressourcen, aber auch den Klimawandel stärker befeuern könnte als der exzessive Lebensstil in den hoch entwickelten Industrieländern, ist außerdem politisch brisant und entsprechend umstritten. Und so ist die Argumentation, dass genug Erde für alle da wäre, wenn nur das globale Bevölkerungswachstum endlich zum Stillstand käme, gesellschaftspolitisch kaum zu akzeptieren. Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, dass die Erde irgendwann einmal zehn Milliarden Menschen vertragen könnte, die so leben wie etwa die Europäer oder die US-Amerikaner heute, ohne dass der Planet ökologisch daran zu Grunde geht. Doch inzwischen haben Umweltwissenschafter den Begriff Anthropozän (»Das menschlich gemachte Neue«) für ein neues Erdzeitalter geschaffen, das vom Menschen und seinen Eingriffen geprägt ist. So wurde angeblich der Rhythmus von Eiszeiten und Zwischeneiszeiten durchbrochen. Der Mensch ist zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden. Und der Klimawandel, bei dem es Gewinner und Verlierer geben wird, ist Teil dieser Veränderung. Das Thema polarisiert. Und in weiten gesellschaftlichen Kreisen überwiegt ein Zukunftspessimismus, der in einer globalisierungskritischen Grundstimmung seinen Ausdruck findet. Aus Sicht der Ökonomen müssen sich die Schwellenländer hingegen den Vorwurf gefallen lassen, ihre Regierungen würden versuchen, die westliche Antiglobalisierungsstimmung dazu zu nützen, um Ausnahmen bei Klimaabkommen und Besserstellungen bei internationalen Handelsabkommen durchzusetzen. Da es für diese Bevorzugung aus Sicht der USA, der EU, aber auch der meisten südostasiatischen Marktwirtschaften jedoch längst keine Grundlage mehr gibt, haben diese nun damit begonnen, bilaterale Handelsabkommen zu verhandeln, denen die Schwellenländer zwar beitreten können, wo aber deren Sonderwünsche keine Berücksichtigung finden. Wie sehr dieser Konflikt polarisiert, drückt sich auf beiden Seiten des Atlantiks etwa am Widerstand gegen die EU-US-Freihandelsabkommen TTIP und TiSA aus.
Das aktuelle Bevölkerungswachstum findet fast ausschließlich in den Entwicklungsländern statt. In Afrika leben aktuell 1,2 Milliarden Menschen. Im Jahr 2100 werden es 4,4 Milliarden sein. Die europäische Bevölkerung wird hingegen von 738 Millionen auf 646 Millionen Menschen schrumpfen. Mehr als die Hälfte des Weltbevölkerungswachstums bis zum Jahr 2050 wird nur neun Länder betreffen; und zwar Indien, Nigeria, Pakistan, den Kongo, Äthiopien, Tansania, die USA, Indonesien und Uganda.
Die UNO geht bei ihren Prognosen von sinkenden Geburtenraten aus
Bei ihren Bevölkerungsprognosen geht die UNO davon aus, dass die durchschnittliche Fertilität in den Entwicklungsländern von heute 2,5 Kindern pro Frau auf 2,0 Kinder im Jahr 2100 sinken wird. Als Begründung wird vor allem die mit steigender Bildung und Entwicklung einhergehende bessere sexuelle Aufklärung und damit freiwillige Geburtenkontrolle gesehen. Falls die Geburtenrate jedoch nicht sinkt, wäre im Jahr 2100 mit einer Weltbevölkerung von fast 17 Milliarden zu rechnen. Und solange die Menschheit auf fossile Energieträger und die Gewinnung neuer Ackerflächen in Rodungsgebieten angewiesen ist, ist ein Zusammenhang zwischen dem Bevölkerungswachstum und dem steigenden Kohlendioxidausstoß unbestreitbar. Der vom Menschen verursachte CO2-Ausstoß wurde zuletzt mit etwa 36 Milliarden Tonnen jährlich berechnet. Pro zusätzlicher Milliarde Menschen steigt der jährliche Kohlendioxidausstoß um weitere zwei Milliarden Tonnen.
Damit wird die gemeinsame Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern für die Klimaerwärmung offensichtlich. Denn während die Industrie- und Schwellenländer ihren verschwenderischen Umgang mit fossiler Energie in den Griff bekommen müssen, tragen die Entwicklungsländer die Verantwortung dafür, ihr Bevölkerungswachstum radikal zu reduzieren. Diese Mitverantwortung der Dritten und Vierten Welt für den Klimawandel erscheint ungerecht. Ganz so, als wollte die Erste Welt den Ärmsten den gerechten Anteil an den Ressourcen unseres Planeten vorenthalten und sie darüber hinaus für die globale Erwärmung in die Pflicht nehmen. Doch um das in Paris fixierte Zwei-Grad-Ziel erreichen zu können und den Klimawandel zuerst spürbar zu bremsen und danach zu stabilisieren, müssen die globalen Emissionen mittelfristig auf nahezu null absinken. Für die schnell wachsende indische Volkswirtschaft hätte das eine doppelte Belastung zur Folge. Sie müsste einerseits industrielle Entwicklungschancen ungenützt verstreichen lassen und andererseits ein De-facto-Nullbevölkerungswachstum durchsetzen, was zumindest in den nächsten Jahrzehnten als politisch nicht durchsetzbar gilt.
Warum wachsen die Entwicklungsländer so stark?
Die wichtigste Ursache für die steigende Bevölkerungszahl in den Entwicklungsländern liegt in den verbesserten hygienischen Bedingungen und dem Zugang zu moderner medizinischer Versorgung. Dadurch wurde die Säuglings- und Kindersterblichkeit gesenkt und die Lebenserwartung deutlich erhöht. Mit zunehmender Industrialisierung sinkt zwar auch dort die Geburtenrate; so ist die durchschnittliche Kinderanzahl pro Frau in Asien von 5,1 Kindern im Jahr 1975 inzwischen auf 2,8 Kinder gefallen und in Lateinamerika von fünf auf drei Kinder. Die durchschnittliche Europäerin bekommt jedoch nur 1,4 Kinder – obwohl eine Geburtenrate von 2,1 zur Stabilisierung der europäischen Bevölkerung notwendig wäre. Die Entwicklung von Fertilität und Lebenserwartung führt daher zu einer deutlichen Überalterung in den hoch entwickelten Industrieländern und zu einem moderateren Anstieg des Durchschnittsalters in den Entwicklungsländern.
In den Industrienationen führt die Überalterung dazu, dass bald auf zwei Erwerbstätige ein Rentner kommen wird. Durch die weiter sinkende Zahl der Menschen im Erwerbsalter wird sich diese Problematik weiter verstärken. Finanzielle Folgen für das Pensionssystem sind daher vorprogrammiert.
Die Entwicklungsländer weisen hingegen einen »demografischen Bonus« auf, der durch den Übergang zur Industriegesellschaft definiert wird. Die Wirtschaft profitiert von der Jugendlichkeit der Bevölkerung und wächst dadurch deutlich schneller als in »alten Gesellschaften«. Der dadurch hervorgerufene Wohlstandsschub führt jedoch langfristig erst wieder zu sinkenden Geburtenraten und wirtschaftlicher Stagnation. Das Tempo, mit dem die Gesellschaft altert, hängt davon ab, wie lange der Übergang vom Entwicklungs- zum Industrieland dauert. Der deutsche Soziologe Gunnar Heinsohn versucht hingegen, einen Zusammenhang zwischen Geburtenrate und Kriegsbereitschaft nachzuweisen. In seinem Buch »Söhne und Weltmacht« beschreibt er, dass überall dort, wo Väter durchschnittlich mehr als zwei Söhne hinterlassen, es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bürgerkriegsähnlichen Konflikten komme. So würden die meisten islamisch geprägten Länder diesen Prozess seit mehr als fünf Generationen durchleben. Dort hat sich die Bevölkerungszahl binnen eines Jahrhunderts von 150 Millionen auf 1,2 Milliarden Menschen verachtfacht. Heinsohn spricht von der »größten Sohneswelle der Menschheitsgeschichte«. Al-Qaida und die Hamas wären somit kein ideologisches, sondern ein soziologisches Phänomen – als zwangsläufige Folge dieser demografischen Entwicklung, die auch Europa im Zuge der Bevölkerungsexplosion nach der industriellen Revolution mit den beiden Weltkriegen durchlebt habe.
Tatsächlich bersten die arabischen Zentren vor jungen Männern, die kaum Aussicht auf soziale Anerkennung oder gesellschaftlichen Aufstieg haben. Heinsohn sieht in ihnen ein leicht radikalisierbares Millionenheer gewaltbereiter Krieger, das sich – so wie derzeit erlebbar – ihrem gesellschaftlichen Umfeld nur durch Flucht in einen anderen Kulturkreis entziehen könne.
Die Industrienationen können ihre Bevölkerungszahl nur durch Migration halten
Es gilt als bewiesen, dass in den Industrienationen der Konsumnutzen darüber entscheidet, ob Kinder geboren werden oder nicht. Dieser reicht bei den meisten Personen nicht aus, um große Familienstärken zu bewirken. Außerdem gibt es einen negativen Zusammenhang zwischen Kinderzahl und sozialer Position. Die Mehrkinderfamilie verschwindet daher in immer mehr Industrienationen aus der Gesellschaft. Die zunehmende Individualisierung und die Gleichberechtigung der Geschlechter verstärken diese Entwicklung.
Seit etwa 1980 sterben in Österreich jährlich mehr Menschen als geboren werden. Dass die Bevölkerung zuletzt dennoch deutlich gestiegen ist, ist ausschließlich der Zuwanderung geschuldet. Der Zusammenhang zwischen Wohlstandsniveau und demografischer Struktur spiegelt sich auch in der Form der Bevölkerungspyramide wider. Die Zahl der Neugeborenen hat sich seit den Sechzigerjahren, in denen die Babyboomer geboren wurden, beinahe halbiert. Mit ernsthaften Auswirkungen auf die Erwerbsbevölkerung ist spätestens dann zu rechnen, wenn diese in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten aus dem Berufsleben ausscheiden und nicht durch entsprechend qualifizierte Zuwanderer ersetzt werden können.
Die erwerbsfähigen Altersjahrgänge werden dadurch immer kleiner. Verstärkt wird dieser Trend durch ein immer späteres Heiratsalter. Zurzeit bringt eine österreichische Frau durchschnittlich 1,4 Kinder zur Welt. Um die Bevölkerung ohne Zuwanderung stabil zu halten, wären 2,1 Kinder pro Frau nötig. Die ökonomisch optimale Geburtenrate liegt übrigens zwischen 2,0 und 2,1. Ein Wohlstandszuwachs wäre bei einem moderaten Bevölkerungsrückgang vor allem deshalb möglich, weil sich die Kosten für heranwachsende Kinder und die Kosten zur Versorgung der älteren Bevölkerung ausgleichen.
Die Auswirkungen zu niedriger Geburtenraten auf das Pensionssystem sind jedoch klar negativ. Denn immer weniger Junge müssen für immer mehr Alte aufkommen. Dass in 50 Jahren auf rund 100 Beitragszahler schon etwa 125 Rentner kommen werden, verdeutlicht das Problem. Eine Umkehr dieses Trends wäre nur durch massive Migration möglich. Doch dass Zuwanderung von unqualifizierten Menschen zu gesellschaftlichen Problemen führt, zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise. Langfristig müssen sich die Industriestaaten daher viel intensiver als bisher um qualifizierte Zuwanderer bemühen und eine Kultur des Einladens und Zurückweisens von willkommenen bzw. unwillkommenen Wirtschaftsflüchtlingen entwickeln.
Bildung, Gesundheit und Gleichberechtigung der Geschlechter als Schlüssel
Während alte Industrienationen an Überalterung leiden, kämpfen Entwicklungsländer damit, den weiteren ungehemmten Bevölkerungsanstieg zu verhindern. Als Schlüssel für eine freiwillige Geburtenkontrolle gelten Bildungs- und damit Aufstiegsmöglichkeiten. Denn gut ausgebildete Frauen und Männer können ihre Ziele auch bei der Familienplanung besser verwirklichen. In vielen rückständigen Kulturen wird jedoch gerade den Frauen der dringend notwendige Grundschulzugang und die Gleichstellung im Bildungsbereich verweigert.
In vielen islamischen Gesellschaften werden Frauen auch im Arbeitsleben systematisch unterdrückt. Doch gebildete Frauen, die Arbeit haben, brauchen weniger Kinder für ihr Überleben. Eine weitere Voraussetzung, um die Fertilität auf 2,1 Geburten je Frau zu senken, ist der erfolgreiche Kampf gegen die Säuglings- und Kindersterblichkeit. In sämtlichen Entwicklungsländern, in denen das gelungen ist, kam es zu einer deutlichen nachhaltigen Verringerung der Familiengröße. Denn in Staaten ohne ausreichendes Sozialsystem sind Kinder meist die einzige Altersversorgung. Ehepaare müssen daher sicher sein können, dass ihre Kinder überleben.
Obwohl jede Obergrenze, die eine Höchstzahl an weltweit lebenden Menschen definiert, die unsere Erde gerade noch verträgt, höchst umstritten ist, konnte dennoch schlüssig nachgewiesen werden, dass ein weiteres Bevölkerungswachstum sowohl ökologisch als auch ökonomisch nicht sinnvoll ist.
Als besondere Belastung gelten die enormen sozialen Probleme, die mit jedem zu rasanten Bevölkerungswachstum einhergehen. Ein perspektivenloses Heer junger Menschen, für die es keine Arbeit gibt, ist nur eine der Folgen dieser Entwicklung – Megastädte mit unkontrolliert schnell wachsenden Slums eine andere. Selbst wenn also jene Schlüsseltechnologien, die der Menschheit eine CO2-neutrale Zukunft ohne übermäßigen Ressourcenverbrauch ermöglichen, vor dem Durchbruch stünden, spricht daher alles dafür, die Anstrengungen im Bereich der freiwilligen Geburtenkontrolle deutlich zu verstärken. -jot-
Titelgeschichte Fazit 120 (März 2016) – Illustration: Peter Pichler
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