Anzeige
FazitOnline

Die Lösung aller sozialen Probleme. Oder doch nicht?

| 25. März 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 121

Wirtschaftswissenschaft ist eine recht eindeutige und klar verständliche Wissenschaft. Solange man sich nur auf die Expertise eines Wirtschaftswissenschafters einlässt. Nimmt man dann aber einen Zweiten hinzu, beginnt meist das Dilemma. Der kann nämlich, voll Überzeugung und ähnlich gut argumentiert, genau das Gegenteil behaupten. So gibt es mittlerweile zahlreiche seriöse Expertisen (bzw. Prophezeiungen), dass die aktuelle, im Zuge der Flüchtlingsproblematik begonnene Völkerwanderung in der Bundesrepublik und Österreich finanziell eher einen Gewinn für unsere Volkswirtschaften darstellen wird. Und es gibt eben solche, ebenfalls von seriösen Fachleuten, die da weniger optimistisch sind, und immense Folgekosten auf uns zukommen sehen.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Einigkeit scheint nun wenigstens darin zu herrschen, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die ganze Zuwanderung eine »positive Bilanz« haben wird. Der mehr als unterdurchschnittliche Bildungsgrad der Migranten, täglich müssen hier die Daten leider nach unten revidiert werden, hat ja auch die vollmundigen Ankündigungen großer deutscher Unternehmen noch nicht richtig in die Gänge kommen lassen. Die paar hundert Lehrstellen, die bisher bei den deutschen Industrieriesen für Zuwanderer zur Verfügung gestellt wurden, fallen nicht ins Gewicht und dienen maximal deren PR-Abteilungen für Facebook-Kampaganen. Es wird jedenfalls nicht einfach werden; und was die zur Stunde offenbar fertigverhandelte Vereinbarung mit der Türkei an neuer Dynamik in die Situation bringen wird, ist mehr als ungewiss.

Nun lese ich aber vermehrt in diversen Printmedien, dass das ganze »Theater« um die Finanzierung der Flüchtlinge nicht so groß sein müsste, würde sich doch »die Flüchtlingskrise fast von selbst finanzieren«. Das etwa hat der Wirtschaftsjournalist Thomas Fricke Anfang März dieses Jahres in der Süddeutschen geschrieben. Den Ahnungslosen, die sich Sorgen um die Finanzierbarkeit machen – wie etwa ich es einer bin –, schreibt er in seinem Kommentar zu: »Cool bleiben, Jungs!«

Schauen wir uns seine Ausführungen im Detail an: Beginnen tut er damit, dass die »gut 20 Milliarden« an Krisenkosten (genaue Zahlen wird es erst in zehn Jahren geben, das hindert ihn aber nicht an darauf aufbauenden Argumenten) in Relation zu setzen seien. Seine erste Relation ist der Verweis, dass es ja genügend »reiche Männer« gäbe, die das alleine stemmen könnten. Der ehemalige Chefökonom der Financial Times Deutschland belässt es bei dieser Aussage; dass man mit Enteignungen viele Anschaffungen tätigen kann, habe hoffentlich nur ich mir dazugedacht.

Seine weiteren Relativierungen bestanden dann vor allem darin, dass all das Geld, das für Flüchtlinge (jetzt) aufzubringen ist und vor allem das Geld, das diese als Barleistung erhalten, von diesen ja wieder im Lande ausgegeben würde. Und damit nicht »im Orkus verschwindet«. Auch das vom Staat zusätzlich anzustellende Personal, also etwa Lehrer, Sozialarbeiter, Polizisten und sonstige Betreuer, würde dann ja ein Gehalt bekommen, das hier besteuert werden würde. Da macht er dann einen Schlussstrich und zieht eine – für ihn – klare Bilanz von »15 Milliarden Euro realem Plus«, womit »die Krise sich also zu einem Teil selbst« finanziere.

Was bedeutet das jetzt? Für mich ergeben sich aus diesem Text – und dieser steht eben für immer mehr solchartiger Darstellungen – zwei Dinge ganz klar. Entweder dieser Mann ist ein Genie und hat dabei gar nicht bemerkt, dass er den Stein der Weisen entdeckt hat. Oder aber das ganze ist schlichter Unsinn.

Wenn – und ich fasse das jetzt aufs Wesentliche zusammen – man finanzielle und soziale Probleme (von mir aus auch Ungerechtigkeiten) damit aus der Welt schaffen kann, dass man »den Menschen« Geld (in beliebiger Höhe) zur Verfügung stellt und dass man als Staat Personal (in beliebiger Höhe) einstellt, weil Erstere das Geld dann hier wieder ausgeben und Zweitere so viel Steuern zahlen und damit dem Staat Einnahmen verschaffen, warum hat man das dann nicht schon die letzten zwanzig, dreissig Jahre so gemacht? Das hätte einem auch die eigene Bevölkerung wert sein können. Ich befürchte allerdings, dass Fricke auf den Wirtschaftsnobelpreis noch etwas warten wird müssen. Aber ich würde mich freuen, wenn ich mich irre.

Editorial, Fazit 121 (April 2016)

Kommentare

Antworten