Schweden: Die Kapitulation einer moralischen Großmacht
Redaktion | 25. März 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 121
Essay von Günter Ederer Erbaut wurde sie als Symbol für enge Verbundenheit der beiden skandinavischen Nachbarn Dänemark und Schweden: Die imponierende knapp 8 km lange Brücke über den Öresund von Kopenhagen nach Malmö. Lange bevor die Europäische Union mit dem Schengener Abkommen 1995 die Grenzen innerhalb Europas beseitigten, hatten sich die Skandinavier im »Nordischen Rat« auf gemeinsame Außengrenzen verständigt. Kontrollen zwischen Dänemark und Schweden gab es schon seid 1958 nicht mehr. Wer heute mit dem Zug oder dem Auto über die Öresundbrücke fährt, wird von mäßig freundlichen schwedischen Polizisten aufgefordert sich auszuweisen. Für die Züge wurden neue längere Fahrtzeiten eingeplant und auf schwedischer Seite wird ein neues eingezäuntes Gleis mit Grenzstation gebaut, damit die aus Dänemark kommenden Personen auch alle untersucht und kontrolliert werden können. 57 Jahre Freundschaft und Zusammenwachsen sind rückgängig gemacht. Es herrscht Misstrauen zwischen den skandinavischen Brüdern. Wer die gegenseitigen Vorwürfe und Beschimpfungen in den nordischen Zeitungen liest, die oft nur darüber berichten, mit welchen abfälligen Ausdrücken sich führende Politiker in Stockholm und Kopenhagen beschimpfen, könnte sich ins Mittelalter zurückversetzt fühlen, als Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum kämpften. Die eher witzigen Hinweise beim Smalltalk zwischen Schweden und Dänen, dass Südschweden ja erstmals 1679 und dann endgültig 1814 den Dänen entrissen wurde, und die Schweden, somit dänisches Land okkupiert hätten, werden zurzeit mit weniger Ironie und mehr bitterem Unterton ins Gespräch gebracht.
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Günter Ederer, geboren 1941 im hessischen Fulda, ist Wirtschaftsjournalist, Filmemacher und Publizist. Von 1966 bis 1969 arbeitete Ederer beim Südwestfunk Baden-Baden, von 1969 bis 1990 für das ZDF, wo er ab 1984 als Fernostkorrespondent tätig war. Seit 1990 ist er freischaffender Filmproduzent und Wirtschaftspublizist. Er ist Träger zahlreicher Filmpreise und Auszeichnungen. guenter-ederer.de.
Vergiftete Atmosphäre am Öresund
Die vergiftete Atmosphäre am Öresund aber wurde nicht durch territoriale Ansprüche über eine Sandinsel am Sund oder Kattegat ausgelöst, sondern er hat seinen Ursprung 5000 Kilometer entfernt im Nahen Osten. Die Kriege in Syrien, dem Irak und Afghanistan haben Menschenmassen in Bewegung gesetzt, die über das Mittelmeer bis an die Strände der Ostsee geschwappt sind. Weit mehr als 200.000 Araber, Kurden, Afghanen und andere Völker aus extrem armen und von Gewalt geprägten Ländern, stürmten in den Norden Europas. Es hatte sich herumgesprochen, dass es dort einen Staat gibt, der alle aufnimmt, die es bis in das kalte dunkle Schweden schaffen. Dieser erfolgreiche Wohlfahrtsstaat hatte sich über Jahrzehnte zu einer »Weltmacht der Menschlichkeit« entwickelt, diente als Vorbild für alle »NGO – Nicht Regierungsabhängigen Organisationen« und allen Parteien, die sich einer idealistischen Welt der Menschlichkeit und Solidarität verpflichtet fühlen. Schweden wurde diesem Ruf weitgehend gerecht. Es weist nicht nur eine vergleichbar hohe Entwicklungshilfe aus, sondern leistete sich sehr großzügige Asylgesetze, die den Flüchtlingen einen schnellen Zugang zu den beachtlichen und üppigen Sozialleistungen garantierten. Nicht unerwähnt darf allerdings bleiben, dass Schweden etwas größer ist, wie Deutschland und Österreich zusammen, und trotz Einwanderung weniger als zehn Millionen Bewohner hat, also ein ziemlich leeres Land ist. Auf einen Quadratkilometer kommen 22 Menschen, das ist nur ein Viertel von dem, was Mecklenburg-Vorpommern aufweist, die am dünnsten besiedelte Region Deutschlands.
Ursprünglich hatten alle skandinavischen Staaten denselben Ansatz: Außenpolitisch und auf der Weltbühne waren sie Vorkämpfer für eine solidarische Welt und Partner aller unterdrückten Völker mit hohem moralischen Anspruch an sich selbst und ihre Taten. Innenpolitisch bauten sie Wohlfahrtsstaaten auf, die durch hohe Steuern auf der einen Seite, und großzügigen Sozialleistungen auf der anderen Seite ein Gerechtigkeits- und Gemeinschaftsgefühl hervorbrachten, das vor allem die sozialdemokratischen Parteien der Welt stark beeinflussten. Das skandinavische Einheitsgefühl begann schon leicht zu bröckeln, als der Wohlfahrtsstaat in die Krise kam. Er hatte sich übernommen. In Dänemark gründete sich eine Steuerverweigerungspartei und Schwedens leistungsfähige Industrie geriet wegen hoher Kosten ins Schleudern. In Dänemark gründete sich die Dänische Volkspartei von Pia Kjärsgaard, die die zunehmende Internationalisierung für die wirtschaftlichen Probleme Dänemarks verantwortlich machte und sukzessiven Druck auf die Sozialdemokraten und Konservativen ausübte, die Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetze des kleinen Staates zu verschärfen. Die erst als peinlich empfundene Partei schaffte es trotzdem, mittlerweile zur zweitstärksten politischen Kraft aufzusteigen und die heutige konservative Regierung von sich abhängig zu machen. Dies gelang, weil die »Dänische Volkspartei« den skandinavischen Wohlfühlstaat mit Einwanderungsfeindlichkeit vermischt hat. Für diese Politik hat sich der Begriff »Wohlfahrtsstaatschauvinismus« gebildet. Da ist nichts mehr von der internationalen Solidarität übrig, mit der die Skandinavier einst ihr Modell exportierten. Seither ließen die Schweden regelmäßig durchblicken, dass sie das Verhalten der Dänen, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gut fanden. Sie wiesen auf ihre eigene Großzügigkeit hin, was sie moralisch über ihren südlichen Nachbarn stellte. Kopenhagen ließ sich davon nicht beirren und winkte, nachdem Skandinavien dem Schengen-Raum beigetreten war, also Dänemark auch die Landgrenzen zu Deutschland geöffnet hatte, die Flüchtlinge aus aller Welt einfach nach Schweden weiter durch.
Doch auch in Schweden regte sich gegen die großzügige Einwanderungspolitik zunehmend Widerstand. Eine nationalistische Partei gründete sich 1988 als die »Schwedendemokraten«. Auch sie wurden anfangs belächelt und eher als peinlicher Fleck auf der weißen Weste Schwedens empfunden. Mittlerweile aber haben die »Schwedendemokraten« 12,9 Prozent im Parlament und können so jede Mehrheit eines sozialdemokratischen der bürgerlichen Blocks verhindern. Bei Umfragen liegen sie zurzeit bei über 25 Prozent und damit wären sie die stärkste Partei.
Eine heile Welt implodiert
Der Ansturm der Flüchtlingswelle 2015 droht nun die ganze heile Welt der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten zum Einsturz zu bringen, sogar mit der Gefahr, dass ohne die Wohlfahrtsstaatschauvinisten keine stabile Regierung mehr zu bilden ist. Es war praktisch von einer Minute zur anderen, als die linksgrüne Regierung am 24.11.2015 in Stockholm in voller Fahrt auf die Bremse trat und ab sofort die Regeln des Nordischen Rates von 1958 und des Schengen Abkommens von 1995 außer Kraft setzte. Flüchtlinge sind seither nicht mehr willkommen. Das war ein brutales Ende einer von Moral durchtränkten Wunschpolitik. Die grüne Vizeministerpräsidentin Asa Romson weinte bei der Verkündigung der neuen schwedischen Realpolitik. Seither wird an der Öresundbrücke und den Schiffen, die aus der EU kommen, wieder kontrolliert, und seither sind die Dänen sauer. Die offene interskandinavische Grenze hatte dazu geführt, dass sich ein reger Austausch von Pendlern in die Ballungsräume Kopenhagen und Malmö entwickelt hatte, der jetzt Zeit- und Kapitalverluste in Kauf nehmen muss. Allein auf 300 Millionen Euro wird der Schaden in den wenigen Monaten bis jetzt geschätzt. Zudem werfen die Dänen den Schweden vor, dass sie durch ihre Blauäugigkeit für die Grenzkontrollen verantwortlich sind. Natürlich fehlt auch eine Portion Häme nicht. Das was die Schweden bisher den Dänen vorgeworfen haben, machen sie jetzt selbst. Und weil sie jetzt die ungeliebten Flüchtlinge nicht mehr weiter nach Norden schicken können, machen die Dänen die Grenzen nach Deutschland dicht. In Resteuropa stockt so manchem Grünen und Sozialdemokraten der Atem ob der Rigorosität, mit dem ihr Vorbild Schweden jetzt dicht macht und sogar die Zwangsausweisung von 80.000 bis 90.000 Ausländer ankündigt. In der deutschen Öffentlichkeit wird das skandinavische Drama leider nur am Rande behandelt. Wir sind zu sehr auf die verstörenden Bilder aus Griechenland und dem Balkan fixiert, um zu erkennen, dass an der Öresundbrücke gerade demonstriert wird. Welch ein Rückschritt in längst vergangene Zeiten! – ausgelöst durch die Völkerwanderung aus dem Nahen Osten. Er ist geeignet, die Konstruktion der EU und die gesellschaftliche Entwicklung in den einzelnen Staaten um hundert Jahre zurück zu werfen. in überwunden geglaubte in wirtschaftliche Not und neu erblühendem nationalen Irrsinn. Mit uns Deutschen mittendrin.
Illusion trifft auf Wirklichkeit
Wenn uns die Bilder der Kriege aus dem Nahen Osten erreichen, sehen wir zerstörte Städte, brutale Kriegsverbrachen an der Zivilbevölkerung, hungernde und verlassene Menschen in Flüchtlingslagern. Die Folgen des Krieges sehen wir in den Nachrichten: Menschen auf der Flucht, die im Mittelmeer ertrinken, durch Schlamm und Kälte nach Mitteleuropa streben, tagelang vor Registrierungsbehörden in Deutschland warten. Es wird kaum darüber diskutiert, wer seit fünf Jahren die Bomben wirft, die die Menschen vertreiben und wie Europa hätte verhindern können, dass da ein Massenmörder sein Volk bekämpft, es wird vor allem darüber diskutiert, wie den Flüchtlingen geholfen werden kann und vor allem, wer den Flüchtlingen hilft. Und diese Wortschlacht wird vor allen mit moralischen Vorwürfen geführt. Während Russen und Assad neue Fluchtwellen auslösen, diskutieren die Europäer, wer die Vertriebenen aufnehmen soll. Und wer sich da als besonders großzügig zeigt, steht in der moralischen Rangfolge ganz oben. Zurzeit nimmt dabei Deutschland unbestritten den ersten Platz ein. Doch ob Deutschland damit wirklich bei der Lösung des Nahostkonfliktes eine Rolle spielt, ist sehr zweifelhaft.
Wir haben uns moralisch, wie anfangs auch die Schweden, über die anderen Völker erhoben. Und wir haben uns dabei überschätzt, die gesellschaftlichen Verwerfungen unterschätzt, die eine solche Masseneinwanderung ethnisch fremder Völker auslösen. Wir sahen uns gefeit vor nationalen Populisten, als diese schon längst – zum Beispiel in Österreich und Frankreich – die Traditionsparteien vor sich hertrieben. Wir haben als Schuldige des europäischen Durcheinanders noch immer die halbblinden Bürokraten von Brüssel im Visier, statt die großartige Idee Europas zu retten. Damit meine ich nicht eine gemeinsame Währung, sondern gemeinsame Werte. Es lohnt sich, das Beispiel des Wohlfahrtsstaates Schweden genauer zu betrachten: Der radikale Umschwung in Stockholm ist nicht nur mit der Angst der etablierten Parteien von den »Schwedendemokraten« zu erklären. Für das Land stand vielmehr seine Identität als Wohlfahrtsstaat auf dem Spiel, dem Gesellschaftsmodell, das keine Partei von bürgerlich bis grün in Stockholm in Frage stellt. 1928 erfand der damalige Premier Per Albin Hansen den Begriff der »Folkshemmet«, für den Staat Schweden, also ein »Volksheim«, das Geborgenheit und Sicherheit garantiert. Die Vision des Sozialdemokraten war ein Staat des Ausgleichs zwischen den Gesellschaftsschichten, nicht zuletzt durch Steuern und Umverteilung.
Fast vergessen: Schweden war ein armes Land
Was gerne übersehen wird: Schweden war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts ein armes Land. Kein Staat hat prozentual zu seiner Bevölkerung eine so hohe Auswanderung in die USA wie Schweden. Noch anfang der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts hatte die Mehrheit der Wohnungen kein fließendes Wasser, keine Kanalisation, geschweige denn eine Zentralheizung. Das wohlhabende Schweden, das wir heute kennen, ist ein Produkt des Wohlfahrtsstaates, jedenfalls im Bewusstsein der Bevölkerung. Sie identifizieren sich durchaus mit hohen Steuern und Abgaben, die etwa 60 Prozent des Einkommens ausmachen und vertrauen dabei auf eine Rundumversorgung des Staates von der Wiege bis zur Bahre. Die Jahrhunderte dauernde Armut und das harsche Klima machten die Menschen voneinander abhängig, wollten sie überleben. Das hat den Volkscharakter des Landes geprägt. Als der Wohlfahrtsstaat zum »Bevormundungsstaat« wurde, als er sich bis zu einer hundertprozentigen Steuer verirrte und Leistungen mit einer gigantischen Staatsverschuldung bezahlte, schafften es die Sozialdemokraten unter Göran Persson die Fehlentwicklung zu stoppen und durch eine radikale Reform wieder sturmfest zu machen. Das hat die Grundübereinstimmung der Bevölkerung wieder davon überzeugt, dass ihr »Volksheim« Sicherheit und Wohlstand garantiert.
Die Schweden akzeptieren dafür auch Einschränkungen ihrer Selbstbestimmung, zu der wir Deutsche und erst recht nicht die Südeuropäer bereit wären. Ihr Modell beruht auf einer »Ethik der Gegenseitigkeit« – das heißt, jeder leistet seinen Beitrag für das Gesamtwohl der Bevölkerung. Das heißt auch, die Schweden akzeptieren eine Transparenz, die für deutsche Datenschutzbeauftragte unvorstellbar ist. Es gibt zum Beispiel kein Steuergeheimnis. Jeder kann in der Behörde nachsehen, was der Nachbar verdient und versteuert. Auch dass es heute in Schweden kaum noch Bargeld gibt und damit die Zahlungen eines jeden Bürgers nachvollziehbar sind, stört die Schweden kaum. Was wir heiß diskutieren, nämlich die Abschaffung des Bargeldes, ist für die Schweden kein Thema.
Auch die Akzeptanz der hohen Abgaben beruht auf der »Ethik der Gegenseitigkeit«. Die Menschen, die arbeiten, bezahlen damit ihre Altersversorgung, ihre Gesundheitsvorsorge und – schon etwas eingeschränkt – eine mögliche Arbeitslosigkeit. Die Schweden greifen viel konsequenter durch, wenn sich Empfänger öffentlicher Mittel vor der Beschäftigung drücken wollen, als bei uns in Deutschland. Die Transparenz und die Ethik der Gegenseitigkeit werden auch getragen von einer fast absolut zu nennenden »Rechtsherrschaft«. Der Staat kann verlangen, dass jeder Bürger weiß, was er der Leistungsfähigkeit des Staates schuldet. Wenn er sich dieser seiner Verpflichtung nicht stellt, kann der Staat in die Rechte jedes Einzelnen eingreifen. Das bedeutet im schwedischen Wohlfahrtsstaatmodell, dass der Staat unter dem Vorwand der Beglückung, wie ein Vormund auftreten kann. Wie gesagt: Unser Modell ist das nicht, aber es ist in Schweden und auch in anderen skandinavischen Staaten weitgehend akzeptiert – und nur das zählt in einer Demokratie. Solche eingreifenden bevormundenden Beglückungsversuche gehen in Deutschland vor allem von den »Grünen« aus, was aber hierzulande langfristig zum Scheitern verurteilt sein wird, weil die dazu notwendige weitgehende Beseitigung des Datenschutzes von den Grünen auch wieder nicht mitgetragen wird.
Eine kontinuierliche überschaubare Einwanderung konnte das schwedische »Volksheim« bewältigen. Es war sogar nützlich, weil eine starke leistungsfähige Industrie zusätzliche Arbeitskräfte integrieren konnte, akademische Zuwanderer die schmale Bevölkerungsbasis vergrößerten und die – zwar höhere als in Deutschland, aber trotzdem – nicht ausreichende Geburtenrate damit kompensiert werden konnte. Mit der Bildung von Ausländergettos in Södertälje und Malmö wurden die Schweden zunehmend skeptisch, was den Erfolg der nationalistischen und rassistischen Schwedendemokraten zeigt. Mit der Masseneinwanderung ab 2015 aber drohte der Wohlfahrtsstaat Schweden und die auf ihm beruhende »Ethik der Gegenseitigkeit« zu kippen. Die da kamen, hatten nicht für die Allgemeinheit gearbeitet, hatten nicht die Gelder erwirtschaftet, die dann verteilt werden konnten. Sie waren nur »Nehmende«. »Der Weltmacht der Moral« gingen die Gelder aus, die Akzeptanz der Bevölkerung für hohe Steuern ohne Gegenleistung schwand rapide, ohne dass davon die bürgerlichen Parteien profitierten, sondern die Zustimmung zu den Nationalisten wuchs, die gleichzeitig vor dem Zusammenbruch des Wohlfahrtsstaates warnen.
Steht das eigene Gesellschaftsmodell auf der Kippe, ist Schluss mit Masseneinwanderung
In dieser Situation sind sich dann alle europäischen Länder gleich: Steht das eigene Gesellschaftsmodell auf der Kippe, ist Schluss mit Masseneinwanderung, wobei die Gesellschaftsmodelle durchaus sehr unterschiedlich sein können. Alle Staaten in Europa werden von Wohlfahrtstaatsmodellen geprägt, deren historische Entwicklung und klimatisch bedingten Ursachen sehr unterschiedlich sein können. Die nordische Variante der Umverteilung habe ich ausführlich am Beispiel Schweden geschildert. Die Angelsachsen gehen mehr von einer direkten Hilfe für die Bedürftigen aus, die Südeuropäer eher vom Zusammenhalt in der Familie. Die Mitteleureuropäer von einem variablen Mischmasch. Aber keines der Modelle verträgt eine Masseneinwanderung.
Jede wohlfahrtsstaatliche Leistung beruht darauf, dass sie erst von Jemandem erarbeitet wurde, dem dann ein Teil seiner Leistung abgenommen wird. Soll das nicht zu politischen Verwerfungen und Unruhen führen, muss dafür eine Akzeptanz vorhanden sein. Denn jede »Brüderlichkeit« – auch als »Solidarität« bezeichnet – basiert auf der Leistung eines anderen. Wenn der aber das Gefühl hat, er ist der Dumme, wird er diese Umverteilung als Zwangsabgabe oder gar Enteignung empfinden und sich wehren. Das hat die schwedische Regierung erkannt und gehandelt. Das ist auch der Kern der Abstimmung in Großbritannien über den Verbleib des Landes in der EU: Sollen Menschen Leistungen erhalten, die andere erarbeitet haben, nur weil sie in ein anderes Land gegangen sind? Die Sozialgesetzgebung ist auch die Ursache der Völkerwanderung nach Deutschland. Wer in dieses Land kommt, erwartet, dass ihm Leistungen zugestanden werden, die höher sind, als er in seiner bisherigen Umgebung erarbeiten kann. Ein serbischer Monatslohn ist ungefähr gleich mit der monatlichen Zahlung, die ein Asylsuchender in Deutschland erhält. Jeder intelligente Mensch wird dahin gehen, wo es ihm besser geht, wo er mehr Chancen hat, seine Zukunft zu gestalten. Der Staat, der ihn aufnimmt muss aber erst einmal zahlen, Gelder, die er seinen Bürgern abnimmt. Ob sich das nach vielen Jahren für beide Seiten rentiert, ist mehr als fraglich.
Der Wohlfahrtsstaat funktioniert nur national
Rassistische und wohlfahrtschauvinistische Parteien leben in allen Staaten davon, wie die Maden in einem Aas, dass sich nicht mehr wehrt. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung in allen Staaten Europas will an ihrem Modell des Wohlfahrtsstaates festhalten. In allen Staaten wird es von der Bevölkerung getragen und in allen europäischen Staaten werden eher die Traditionsparteien davongejagt, bevor sich die Bevölkerung ihren Wohlfahrtsstaat nehmen lässt. Sie haben sich auf das Gift der Staatsfürsorge eingelassen, das nur bei ganz geringen Dosen nicht tödlich wirkt. Der Wohlfahrtsstaat zeigt seine hässliche Seite: Er funktioniert nur sehr national, er ist kein Allheilmittel für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die Millionen Menschen jährlich in die Flucht treiben. Es ist sicher zu kurz gedacht, wenn Regierende und Regierte erwarten, dass mit einem Kriegsende im Nahen Osten die Flüchtlingswellen aufhören. Vielleicht kommen dann weniger Syrer und Iraker. Aber wir haben in der Welt genug blutrünstige Herrscher, verkommene Diktaturen und sozialistische Versuchsanstalten, die immer neue Flüchtlingsheere auslösen. Sie werden in die Wohlfahrtsstaaten streben, denn hier erwarten sie Zahlungen und staatliche Leistungen, von denen sie zu Hause noch nicht einmal träumen würden. Ich schätze das Potential für Flüchtlinge auf bis zu eineinhalb Milliarden Menschen. Und wer will es diesen Menschen übel nehmen, wenn sie in Europa eine Zukunft sehen, die sie zuhause nicht haben? Was die Regierungschefs da zurzeit in Brüssel diskutieren, ist typisch für Konferenzen ohne realen Bezug. Je größer die Diplomatenrunden sind, umso mehr Chaos produzieren sie. Vom Wiener Kongress 1814 über die Pariser Vorortverhandlungen 1919 bis zu Potsdam1945: herausgekommen sind neue Kriegsursachen. Wenn Europa nicht zerbrechen soll, nicht wie an der dänisch-schwedischen Grenze, wo nach 57 Jahren des Zusammenwachsens wieder Trennungen entstehen, dann muss sich dieses Europa zu seiner Verfasstheit als einen Zusammenschluss unterschiedlicher Wohlfahrtsstaaten bekennen und daraus folgt die weitere Schlussfolgerung, die der US-Nobelpreisträger Milton Friedman in einem Satz zusammengefasst hat: »Entweder man will einen Wohlfahrtsstaat oder offene Grenzen, aber beides geht nicht.«
Im Prinzip hat sich Europa für den Wohlfahrtsstaat entschieden, was Skandinavier, Briten, Franzosen und mittlerweile auch die Österreicher unmissverständlich umsetzen. Kein anderer Staat aber weigert sich so wie Deutschland eine Entscheidung zu treffen. Wir wollen unseren weltweit mit am extremsten ausgestalteten Sozialstaat erhalten und dies womöglich bei offenen Grenzen. Das ist freundlich formuliert »romantisches Wunschdenken«, realistisch ausgedrückt: »politisch gefährlicher Unfug.« Von diesem illusionistischen Weg profitieren nur die »Wohlfahrtsstaatschauvinisten«, in Deutschland ist das vor allem die AfD.
Essay, Fazit 121 (April 2016) – Foto: Privat
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