Hut und Mut
Volker Schögler | 28. April 2016 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 122, Fazitportrait
Sie gilt als letzte Hutmacherin des Landes und produziert höchste Handwerksqualität statt Industrieware. Karin Krahl-Wichmann betreibt die Grazer Hutfabrikation Kepka wie vor 100 Jahren. Eine Geschichte von Mut und Schicksal, von Romantik und Realität und ein bisschen mehr.
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Ich war bei der Hutmacherin. So beginnt der seriöse, gelernte Journalist keine Geschichte. Viele, naja, manche wissen das. Noch. Was hätte denn der Journalist auch in der Story zu tun? Angeben, sich wichtigmachen, glauben, selbst dazuzugehören? Bei einer Livereportage kann das anders sein: Wer, wenn nicht der Reporter, muss dann im Hier und Jetzt geistesgegenwärtig, neugierig, eloquent sein, im rechten Moment die richtigen Fragen stellen – da darf, ja, muss er oder sie im Mittelpunkt stehen. Manchmal auch sein Ich. So wie in Kommentar und Glosse; schön, genug doziert – aber sonst? Ja, der einst verpönte Ich-Journalismus hat sich auch in Print eingeschlichen, aber aus Notwehr! Denn der vermeintlich und oft wirklich aktuelle Online-»Journalismus« kennt oft genug keinen Genierer, was die Ich-AGs angeht. Allen voran die Blogger. Ja, gut, dass es sie gibt. Und Böhmermann mit Erdogan. Aber jetzt wird zurückgebloggt, denn auch Print darf kurzweilig sein.
Ich war also bei der Hutmacherin. Ich. Und Sie nicht, lieber Leser, liebe Töchtersöhne. Einigen wir uns in der Mitte und sagen einfach, es war nicht ich, sondern er. Der Journalist. Es darf sich ohnehin jeder so bezeichnen. Und aus.
Als er das Geschäftslokal der Hutfabrikation Kepka in der Wickenburggasse betritt, fühlt er sich schlagartig in die neunzehnfünfziger und -sechziger Jahre zurückversetzt. Ein altes Zimmer, alte Gerüche, alte Hüte, ein Zylinder, genauer Chapeau Claq, ein Erzherzog-Johann-Hut, ein Jägerhut, ein Hut mit – Reißverschluss? Ein neuer Hut, noch mehr neue Hüte, ein Durchgang, alte, seltsam fremde Gerätschaften, drei oder vier undefinierbare, offenbar schwere Gewichte hängen an Seilzügen mit Gegengewichten symmetrisch von der Decke, alte Bügeleisen seufzen leise, eine Werkstattveranda tut sich auf. Kleinscheibig altmodisch, aber nach drei Seiten hin verglast, bietet sie drei noch älteren, schweren, schwarzen Nähmaschinen eine helle idyllisch-museale Heimstatt: »Die Näherei für die Modistenarbeit«, klärt ihn Karin Krahl-Wichmann auf. Die 34-jährige Mutter zweier Kinder hat vor 13 Jahren die »Hutfabrikation Josef Kepka« aus dem Jahr 1910 von ihrem Vater übernommen und hält der sterilen digitalen Blingblingzeit tapfer den staubigen analogen Spiegel des Handwerks entgegen.
Eine Zeitreise von 100 Jahren
Ein Stockwerk tiefer, in der Werkstatt mit direktem Zugang in den Garten, ist die Zeitreise hundert Jahre zurück in die Vergangenheit vollzogen. Antiquierte Gerätschaften und Maschinen, wohin das Auge blickt. Der Besucher wähnt sich in einem Museum. Verdächtig unaufgeräumt allerdings und alles mit einer mächtig dicken Patinaschicht überzogen. Als eine gut zweieinhalb Meter lange, offene (!) Kurbelwelle unter einer der riesigen, massiven Werkbänke anläuft, um eine Rotationsmaschine für den sogenannten Stumpen, die Ausgangsform jedes Huts, in Gang zu setzen, weicht der Besucher instinktiv zurück. »Bei dem Pedal neben dem Ausrücklager fehlt leider eine Feder«, erläutert der technikversierte Liebhaber alter Maschinen an Karin Krahl-Wichmanns Seite, Michael Lippitsch, und tritt beherzt auf das Pedal, um die Rotationsrichtung zu ändern. Mit einem Ruck rückt besagtes Lager aus und wirft den Retourgang ohne jegliche Kupplungsdämpfung rein. Seit einem dreiviertel Jahr steht er der letzten Hutmacherin in der Steiermark – es gibt noch zwei Kollegen – zur Seite. »Ohne ihn wäre es schwierig geworden«, sagt die Unternehmerin, der der Ausfall der helfenden Hand ihres schwer erkrankten Vaters zu schaffen macht. So romantisch die Arbeitsbedingungen in einer museumsreifen Werkstatt auch erscheinen mögen – gesund sind sie auf Dauer nicht. Dabei werden fast ausschließlich natürliche Materialien verwendet. Neuerdings bei bestimmten Arbeitsprozessen aber auch Staub- und Schutzmasken.
Vom Stumpen zum Hut
Der Besucher lässt sich den Ablauf der Hutproduktion zeigen, der mit dem Tränken des in Slowenien, Deutschland, Spanien, Portugal oder den USA zugekauften Stumpens in der sogenannten Appretur beginnt. Diese auch als Hutsteife bezeichnete Mischung aus Wasser und Schellack macht den zumeist aus Hasenhaar hergestellten Stumpen in der Folge erst wetter- und formbeständig. Das Selbersteifen ist die Königsklasse in der Hutproduktion, mittlerweile so selten wie die in Österreich vom Aussterben bedrohte Großtrappe und ist ein Beleg für die hohe Qualität der Kepka-Hüte. Außerdem ein ökologisch wertvoller und nachhaltiger Produktionsvorgang, da es sich bei Schellack um nichts anderes als das Ausscheidungsprodukt von Blattläusen handelt, ja natürlich. Und seinen Preis hat das auch, wie Lippitsch erläutert: »Acht Kilo Schellack kosten etwa 600 Euro; und ein Kilo reicht für zirka fünfzig Hüte.« Nach Adam Riese also eine günstige Investition in Qualität. Das anschließende Auswalzen mit einer Rollenpresse aus den Anfängen des Maschinenzeitalters ist wiederum Erfahrungssache. Auch dieses Ding stand schon ein halbes Jahrhundert da, als der Vater der Hutmacherin im Jahr 1958 hier als Lehrling begann, bevor er 1980 den Betrieb als Meister übernahm.
Headblocks und Haifischhäute
Der staunende Besucher bahnt sich seinen Weg durch hunderte (Linden-)Holzformen, englisch Headblocks, alle jeweils in den Größen von 52 bis 60 vorhanden, sowie Negativhüte aus Metall, die allesamt zur Formgebung und Größenanpassung der Stumpen beziehungsweise Hüte dienen. Dazwischen erinnern die seltsamsten Form- und Schneidegeräte – alle als Spezialwerkzeuge nach wie vor in Verwendung – oder auch steife Häute von Katzenhaien endgültig an ein Kuriositätenkabinett. Von letzteren wurde erst ein paar Monate zuvor eine ganze Kiste in einem Lüftungsschacht gefunden. Sie sind natürlich keine Mitbringsel vom Mittelmeer- urlaub – obwohl das niemand ausschließen kann, man weiß es nicht mehr – jedenfalls aber ebenfalls zu einer speziellen Verwendung bestimmte »Tools« (das Hutmachergewerbe ist traditionell britisch geprägt). Sorgfältig ausgeschnittene Haifischhautstreifen werden für den nächsten Arbeitsgang bei der Hutherstellung wie Schleifpapier auf die elektrisch betriebene Schleifscheibe der Lystiermaschine aufgezogen. Der Stumpen wird wahlweise mit einer Filzscheibe, mit Schleifpapier oder eben mit Haifischhaut geschliffen. Dabei entsteht allerdings eine Staubbelastung, die die gesundheitlichen Gefahren der alten Herstellungsweisen drastisch vor und in die Augen beziehungsweise Nase führt. Die Staubmaske ist angesagt. Der Vergleich macht den Besucher sicher: Der mit Haifischhaut geschliffene Hutrohling wird tatsächlich samtiger als der mit Schleifpapier behandelte.
Dann kommt das auf eine Hutform aufgezogene Werkstück unter eine der beiden riesigen kupfernen Dampfglocken, die nur mithilfe von Gegengewichten in die Höhe gehoben werden können, um dortselbst fünf Minuten dem wichtigsten Helfershelfer der Hutmacherin ausgesetzt zu werden – dem Dampf. Der wiederum in einem eigenen Raum im Untergeschoß erzeugt wird und zugleich eine Wärme- und Trockenkammer gewährleistet. Es folgt das händische »Aufziehen« des feuchten Huts über ein Tischeck, um die Krempe auszuformen. Die Übergangskante vom Kopf (auch Krone genannt) zur Krempe wird mit einer einfachen Schnur fixiert und der Hut über Nacht in der Wärmekammer getrocknet. »Am nächsten Tag wird der – übrigens spezielle – Knoten Knoten aufgeschnürt und es wird weiter geformt«, so Krahl-Wichmann.
Metallhüte und Dunlopdichtungen
Im nächsten Schritt wird die Krone mit der Hand geformt (»Übungssache«) oder mit der Hutpresse behandelt – ein techno-archaischer Apparat. Der Hut kommt dabei in eine der metallenen Negativmodelle und wird mit der Öffnung nach oben versenkt. Darauf senkt sich der Deckel, der mit einer riesigen, fingerdicken Gummidichtung (von Dunlop, dem Erfinder des heutigen Autoreifens) versehen ist, die sich wiederum flächendeckend über die gesamte Deckelinnenseite zieht und eine fette Ausstülpung nach unten hat. Diese ist mit Wasser gefüllt und senkt sich in die Hutinnenseite. Der metallene Hut und das Wasser werden mit Dampf erhitzt, die Gummiausstülpung presst in der Folge den Filzstumpen mit hohem Druck an die Innenwände des Metalhuts – der Hut ist geformt. Nachteil: Es gibt keine Ersatzteile mehr, insbesondere keine derartige Gummidichtung mit Profil und Ausstülpung. »Aber ich habe noch zwei. Die halten ein Leben lang.« Nach dem Finish, nochmaligem Dampfen und Bürsten, wird das Schweißband eingenäht. Der Hut kommt wieder in eine Model und wird mit einer von drei parallel von der Decke hängenden und frappant an Kunstwerke (Readymades) erinnernden, mit Schotter (!) gefüllten Säcken, den Hutrandpressen, beschwert. Schließlich gebügelt und wieder gebürstet, im Hutmacherjargon »veredelt«. Und letztlich in eingangs erwähnter Modisterei mit kaum mehr erhältlichen Dingen wie Hutband oder Kordel, mit von der Hutmacherin selbst gemachten, genähten, geformten Blumen oder sonstigem Dekors absolut einzigartig und professionell ausgestattet. Schließlich hat sie an der Modeschule am Ortweinplatz maturiert.
Trost und Rat
Das war ein langer, mit Qualitätsarbeit gepflasterter Weg vom Stumpen bis zum Hut. So gesehen ist der Preis für den Klassiker, den Ausseer Hut, mit 85 Euro (Schaf) und 105 Euro (Hase) keineswegs teuer. Es gibt auch billigere Ausführungen, aber die halten nicht lange und sind »wasserscheu«. Das wissen auch die Kunden der Hutfabrikation Kepka (deutsch: Käppchen): Musik- und Trachtenvereine, Theater, Oberlandler, aber auch viele individuelle und junge Käufer. Denn auch die Auswahl ist grandios: vom Jägerhut um 60 Euro, über den Goiserer, die Melone, den Sport-Ausseer sowie den klassischen Ausseer bis zum Erzherzog-Johann-Hut um 360 Euro, aber auch die moderne Modellpalette (tatsächlich, ein Reißverschlusshut) bis hin zu unzähligen Damenmodellen findet man alles, insbesondere Rat und Tat, aber auch Weisheit und Trost: »Ein Hut mit Qualität ist relativ einfach zu reparieren, zu restaurieren und auch umzuarbeiten. Das kostet nur einen Bruchteil vom Neupreis.« – So einen Satz hat unser Journalist das letzte Mal vor vielleicht 25 Jahren gehört. Als man eine Delle im Autoblech noch ausgebeult hat, statt den ganzen Kotflügel zu tauschen. Das hat die Hutmacherin wohl mit Nachhaltigkeit gemeint.
Hutfabrikation Kepka
8010 Graz, Wickenburggasse 20
Telefon 0316 683185
kepka.at
Fazitportrait, Fazit 122 (Mai 2016) – Foto: Marija Kanizaj
Kommentare
Eine Antwort zu “Hut und Mut”
Antworten
8. Mai 2016 @ 16:46
Frau Karin Krahl-Wichmann, ist dzt. im ORF 2,
zu sehen:
Zurück zur Natur. „Starke Frauen!“