Zur Lage (72)
Christian Klepej | 30. Mai 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 123, Zur Lage
Nichts über Twitter, wenig über Kommunismus und Kapitalismus, viel zu viel über die Sammelalben von Panini zur Europameisterschaft im Fußball und ein paar Gedanken über den Hass.
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Kennen Sie Twitter? Das ist so ein schon wieder etwas in die Jahre gekommenes Werch im Internetz, so ein bisschen das »Tribeka« der sozialen Netzwerke. Wenn Sie es nicht kennen, macht das gar nichts, Sie versäumen nichts Wesentliches. Auf jeden Fall hat mich auf Twitter unlängst jemand als »Kommunistenhasser« bezeichnet. Zuerst war ich natürlich einmal geschmeichelt. Wer wäre das nicht, auch wir einfach gestrickten Menschen sind zuallererst einmal Menschen.
Warum ich Ihnen von dem Kompliment erzählt habe, weiß ich gar nicht mehr so genau; Sie müssen verzeihen, aber ich habe den ersten Absatz schon vor einer Woche geschrieben. Wahrscheinlich war‘s deswegen, weil – so scheint mir – der Kapitalismus, das Gegenteil zum Kommunismus sozusagen, in letzter Zeit nicht ganz so gut angesehen ist unter den vor allem jungen, aber noch mehr unter den vor allem gescheiten Zeitgenossen. In der Theorie zumindest. Keine Frage, wenn viel Zeit über-bleibt zum Nachdenken, dann fallt einem halt auch viel ein. Diese Einfälle sind dann alle unvorstellbar individuell, möchte fast sagen divers, und lassen sich wahrscheinlich nur auf diesen einen kleinsten gemeinsamen Nenner – höchste Steueraufkommen hin und höchste Sozialausgaben her – bringen, dass man nämlich reichen Menschen was wegnehmen muss. Im Zweifel eher mehr als weniger. Und schon ist die Welt wieder ein Stück weit besser geworden. Vor allem aber gerechter.
Soweit die graue Theorie. Die Praxis, die ist ein Hund und viel bunter, die schaut in Nuancen dann doch etwas anders aus. Das kann man an den unscheinbarsten Dingen erkennen. Etwa die bald in Frankreich stattfindende Europameisterschaft im Fußball (der Herren, gebietet mir die neue Ordnung, die keiner Institution bedarf, hier anzufügen). Da gibt es auch heuer wieder – von einem italienischen wohl weltweit agierenden und damit im Grunde abzulehnendem Konzern – so ein Sammelalbum. Für die Pickerl, Sie wissen. Und wenn man dann schon sehr viel so Fünferpackerl Pickerl gekauft hat und schon sehr viel doppelte Pickerl sein Eigen nennt, geht man auf sogenannte – und auch als solche funktionierende! – Tauschbörsen. Börse! Wird es jetzt aus Ihnen schallen, um Gottes Willen! Werden Sie denken, das ist ja ein Hort, ein Gral geradezu des Kapitalismus. Recht haben Sie.
Trotzdem gehen die Menschen dort freiwillig hin! Väter mit ihren Töchtern, Mütter mit ihren Söhnen, Ehemänner mit ihren Frauen und viele andere Konstellationen. Alles Menschen, ich habe mir das in den halben Stunden, die ich auf meine Frau gewartet habe, sehr genau angeschaut, alles Menschen, die offenbar und augenscheinlich voller Freude auf den Wochenrand gewartet hatten, um auf so einer Börse mit ihren Pickerln zu »handeln«. Und unter der Woche ebenso offenbar und augenscheinlich einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind und somit nicht zum Nachdenken gekommen sind (die armen Tröpfe), welch kapitalem Irrtum sie da unterliegen und sich »kapitalistisch« verhalten. Weil auf dieser Tauschbörse ist – selbstverständlich möchte man meinen – im Großen und Ganzen der Modus »Pickerl gegen Pickerl« die Regel: Ich hab zehn Pickerln, die ich nicht mehr brauche und bekomme dafür zehn Pickler, die ich sehr wohl noch brauche. So weit, so einfach. Nur, es gab auch einen Preis für das einzelne Abziehbild, zehn Cent nämlich. Aber nicht alle kosteten zehn Cent. Für die seltenen Glitzerpickerl war der Preis deutlich höher. Da wurde schon der zehn- oder zwanzigfache Preis bezahlt. Gerne bezahlt, wenn ich mich an die glücklichen Gesichter derer erinnere, die ihr letztes Glitzerpickerl erstanden und damit das Album vollständig beklebt hatten. Und zumindest einen Vater durfte ich dabei beobachten, der für – es war wohl auch ein so ein letztes fehlendes Klebebild – fünf Euro ein Pickerl gekauft hat. Der nicht mehr ganz wohlfeile fünfzigfache Preis für ein im Grunde immer gleiches Produkt. Die Nachfrage war halt größer.
Diese Paninigeschichte ist mir jetzt fast ein bisschen zu lange geworden, jedenfalls muss ich befürchten, Sie langweilen sich jetzt schon mit mir darüber. Also komm ich noch kurz auf den Anfang, auf das »Kommunistenhasser« zurück. »Hassen« tue ich den Kommunismus nämlich ganz sicher nicht. Hassen kann ich – wenn überhaupt – nur, was ich einmal geliebt habe (und das dann auch nur für eine sehr kurze Zeit!) und so nah war mir der Kommunismus dann nicht einmal – ich gestehe, ich bin da nich Bellenlike – als Teenager oder Zwanzigjähriger. (Bellenlike schreibe ich übrigens, weil es eine grüne Politikerin gibt, die hohe Geldstrafen verlangt, wenn sich jemand als Adeliger ausgibt. Und »Van der« ist in letzter Konsequenz halt dann doch, aber das ist eine ganz andere kleinliche Geschichte.) Und weil ich so wenig mit Hass am Hut habe, bereiten mir die ganzen Hasspostings im Internet auch so wenig Sorgen. Viel mehr ärgern mich in dem Zusammenhang die vereinigten Bedenkenträger im Netz, die mir voller Entsetzen und Betroffenheit wieder und wieder irgendeinen Schwachsinn vor die Nase posten, dessen ich und mit mir kein anderer vernünftiger Mensch ansonsten gar nie nicht ansichtig geworden wäre. Der aber eben durch diese den ganzen Mist perpetuierenden Unsittenwächter erst große Verbreitung erfährt.
Zur Lage #72, Fazit 123 (Juni 2016)
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