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Symbolischer Rost in Eisenerz

| 23. September 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 126, Kunst und Kultur

Foto: Bergschaf

Eisenerz hat mit massiver Abwanderung zu kämpfen. Einmal jährlich wird die Leere der einstigen Wirtschaftsgröße bespielt. Mit einem Festival zwischen Neuanfang und Leichenschmaus.

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Sogar Bundespräsident Karl Renner war gekommen. Damals, am 1. August 1948. Eisenerz wurde das Stadtrecht verliehen und der Politiker sprach: »Der Erzberg und die Eisenerzer – sie weisen dem Österreicher von heute den Weg, den er zu gehen hat, um Freiheit zu behaupten und neuen Wohlstand zu gewinnen. Sie sollen zugleich allen Österreichern ein Symbol sein.«

Ja, Eisenerz. Jahrhundertelang tatsächlich ein Symbol für Wohlstand und Aufschwung. 1230 erstmals urkundlich erwähnt, um 1550 für rund 20 Prozent des europäischen Exportvolumens an Erz verantwortlich, erhielt der Ort in der Nachkriegszeit nicht nur das Stadtrecht, sondern Anfang der 1950er beinahe seinen 13.000. Einwohner.

Heute leben hier noch 4.300 Menschen. Auf 736 Metern gelegen, umgeben von den Eisenerzer Alpen und dem Hochschwab, fast verziert vom malerischen Leopoldsteiner See im Norden der Gemeinde, hat das Gebiet sommers und winters touristische Reize, die über den historischen Altstadtkern und ein Schaubergwerk hinausgehen. Und doch bietet dieser Flecken Erde bei nüchterner Betrachtung wenig, was Lebensraum lebenswert macht.

Eisenerz ist auch im Hochsommer gerne kalt und grau, die umgebenden Gebirge fühlen sich mitunter bedrückend an, und geht man zivilisatorisch noch weiter zurück, wird klar, dass sich auch Landwirtschaft an vielen Orten ertrags- und sortenreicher betreiben lässt. In dieser Gegend hätten sich Menschen eher nicht dauerhaft niedergelassen, stünde hier nicht dieser schier unerschöpfliche Erzspeicher. Als der technische Fortschritt schließlich Arbeitsplätze schwinden ließ, hatte dieser Ort, der Sinn, Zweck und Entstehungsgrund im Namen trägt, naturgemäß mit steter und endlich massiver Abwanderung zu kämpfen.

Wer durch Eisenerz schlendert, erkennt schnell, dass die Stadt wahrlich rostet. Mit den Menschen sind Unternehmungen abgewandert, Veranstaltungen und Vereine haben Sinn oder Zweck verloren und für einen Außenstehenden herrscht gar beginnende Endzeitstimmung.

An ein paar Tagen im August war das auch heuer wieder anders. Seit 2012 will das Festival »Rostfest« in der Stadt regionale Impulse setzen. Einmal im Jahr, konzentriert und im großen Stil. Oder besser gesagt: Im Lendwirbelstil. Lendwirbel deshalb, weil Protagonisten und Veranstaltungen tatsächlich wie gefühlt mit dem (vielleicht bald ehemaligen) Straßenfest im gentrifizierten Grazer Bezirk ident sind.
Das »Rostfest« steht für vier Tage Kunst und Kultur, positive Energie, tausende Besucher – aber auch für ins Festival eingebundene Eisenerzer Jugendliche und Bespielung von Räumlichkeiten und öffentlichen Plätzen, die 361 Tage im Jahr rasten.

Gerostet wird deshalb so gern, weil das Programm gut ist, die Stimmung noch besser und die Eisenerzer sich über so viel Leben in ihren sonst so leeren Gassen oder einstigen Backstuben freuen. Eine fast romantische Kombination, die das »Rostfest« in den vergangenen Jahren unter kulturinteressierten und feierwütigen Menschen zu einem Geheimtipp avancieren ließ.

Ob der Ort von all dem nachhaltig profitieren kann, werden die nächsten Jahre zeigen. Denn natürlich wäre das »Rostfest« gerne Symbol für den Neuanfang. Und nicht ein in die Länge gezogener Leichenschmaus.

Das Rostfest
will seit 2012 jeden August im obersteirischen
Eisenerz regionale Impulse setzen.
rostfest.at

Alles Kultur, Fazit 126 (Oktober 2016) – Foto: Bergschaf

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