Die Grenzen des Herbstlichen
Peter K. Wagner | 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Kunst und Kultur
Der Steirische Herbst 2016 ist Geschichte. Ein kleiner Streifzug zwischen Blasphemie, »Schau, Schützi!« und einem sogenannten Dino aus Wien.
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Wer sich nach ausgiebigem Studium des Programmbuchs für ein paar Stücke des Steirischen Herbsts entscheidet, liefert sich der Drucksituation aus, für Kartenabrisse sorgen zu wollen. Es wurden nur drei von sieben geplanten, was angesichts der zig möglichen Veranstaltungen fast schon an Blasphemie grenzt.
Apropos Grenzen: Der Steirische Herbst 2016 trug das Motto »Wir schaffen das. Über die Verschiebung kultureller Kartografien« und erzählte von, über und anhand von – Grenzen. Davon zeugten etwa Grenzwanderungen zwischen Österreich und Slowenien (verpasst Nr. 1), Grenzlandgespräche in der Südsteiermark (verpasst Nr. 2), aber auch britische Avantgardemusikerinnen (verpasst Nr. 3) und thailändische Filmvirtuosen (verpasst Nr. 4).
An der Grenze des allgemeingültigen Geschmacks bewegte sich gleich die Eröffnung (geschafft Nr. 1) in der Grazer Helmut-List-Halle, die einmal mehr die Frage aufwarf, ob das Anfangsspektakel aus förderungsfördernder (?) Schau-Schützi-sowas-hast-du-noch-nie-gesehen oder inzestuöser (?) Wir-Künstler*innen-wollen-unter-uns-bleiben-Gründen für Normalmensch nicht mehr war als eine irritierende, in die Länge gezogene Kostümschau. Die Eröffnung in Schnellerklärung: sprachlose Maulwürfe (in schönen Kostümen!), die über die Bühne turnen und mit ihren scheinbar sinnlosen Tätigkeiten das Menschsein abbilden, ohne darauf zu vergessen, sich auf Platons Höhlengleichnis zu beziehen und die allgemeine Sinnlosigkeit sowie … Ach, egal.
An der Grenze zwischen Stadt und Land bewegte sich das Konzert vom Nino aus Wien und Natalie Ofenböck in einer Heurigenschank in Allerheiligen bei Wildon (geschafft Nr. 2), bei der ein wirklich wundervolles Album zwischen ländlichen Vorurteilen und großstädtischer Außensicht bei ebenso wundervoller Brettljaus’n (und ganz ohne vegane Alternative) zum Besten gegeben wurde. Es sind Momente wie diese, in denen man jungen Sängerinnen sogar mangelndes Gesangstalent nachsieht und altehrwürdigen Wirten fehlendes Redetalent. Weil beide famos waren – sie ob ihrer Inhaltsgewalt, er ob seiner Rührung. »Dass i des no erleben derf, dass da Steirische Herbst und da Dino (sic!) bei uns san«.
An der Grenze zum Festivalende erschlug Milo Raus »Empire« (geschafft Nr. 3) schließlich das Publikum im Grazer Schauspielhaus mit einem Stück, in dem Schauspieler aus Syrien, Kurdistan, Rumänien und Griechenland von Flucht, Krieg, Tod, Familie und noch vielem mehr erzählten. In Muttersprache und mit Untertiteln. Und so elitär das klingen mag, es führte nicht aus falscher politischer Korrektheit, sondern aufgrund von Geschichten, die stärker sind, als jedes fiktive Theaterschauspiel je sein könnte, zu Demut bei allen Zuschauern und einem (vom Autor dieser Zeilen) noch nie an diesem Ort in diesem Ausmaß erlebten Applaus. Das wäre eine Eröffnung gewesen. Eine grenzgeniale sogar.
Alles Kultur, Fazit 128 (November 2016) – Foto: Martin Argyroglo
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