Tandl macht Schluss (Fazit 127)
Johannes Tandl | 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Schlusspunkt
Endlich erste Fortschritte bei der Bildungsreform Nach Jahrzehnten des weitgehenden Stillstands steht mit Sonja Hammerschmid endlich eine Persönlichkeit an der Spitze des Bildungsressorts, die tatsächlich Bewegung in die starren ideologischen Fronten der Diskussion bringt. Mit dem Ende der 50-Minutenunterrichtsstunde – sie wurde im 18. Jahrhundert aus der Kasernenordnung übernommen –, der Möglichkeit einer autonomen Lehrerbestellung durch die Schuldirektoren oder der Zusammenfassung von bis zu acht Schulen in einen sogenannten Schulcluster sowie der weitgehenden Autonomie der einzelnen Schulen bei der Festlegung von Klassenschülerhöchstzahl und Unterrichtsbeginns ist ein erster wichtiger Schritt zu einer möglichen Reform geschafft.
Durch die bisher bekannt gewordenen Pläne wird zwar kein einziges Kind besser lesen können als in der Vergangenheit und auch kein einziger unfähiger Lehrer wird deswegen das Recht verlieren, die Bildungskarrieren unserer Jugendlichen zu zerstören – schließlich werden jene Pädagogen, die kein Direktor haben will, wie bisher auf die Schulen aufgeteilt, für die es zu wenig Bewerber gibt – dennoch stellen die jetzt diskutierten Fragen bereits reformatorische Meilensteine dar.
Doch trotz der berechtigten Freude darüber, dass endlich Bewegung in die Diskussion kommt, muss natürlich klar sein, dass das, was bisher auf dem Tisch liegt, in jedem anderen Bereich bestenfalls nebensächliche Selbstverständlichkeiten wären.
Bisher beschränkten sich Reformfragen ja ausschließlich auf die Frage, ob die zehn bis 14-Jährigen in einer gemeinsamen Schule oder in unterschiedlichen Schultypen unterrichtet werden sollen. Doch das Lesen, Schreiben und die Grundrechnungsarten lernt man nicht zwischen 10 und 14, sondern schon viel früher, nämlich in der als Gesamtschule geführten Volksschule. Daher spielt der Umstand, dass ein Drittel der Jugendlichen die Pflichtschule verlässt, ohne sinnerfassend lesen zu können, in der SPÖ-Argumentation für die Gesamtschule nach wie vor keine Rolle.
Immerhin konnte sich die Regierung vor einigen Jahren auf die Umsetzung von Ganztagsschulen einigen. Aus Sicht der meisten Bildungsexperten sind Ganztagsschulen eine Grundvoraussetzung jedes modernen Schulwesens. Und so können diese mittlerweile, auf freiwilliger Basis, auch in Österreich besucht werden.
Doch die Lehrvertreter wollten für ihre Klientel den bisherigen Halbtagsjob bei voller Bezahlung erhalten. Und so wurde bei der Umsetzung der Ganztagsschule ganz einfach der Umstand ignoriert, dass diese Schulform nur dann pädagogisch Sinn ergibt, wenn der Unterricht verschränkt auf den ganzen Schultag verteilt stattfindet. Stattdessen wurde den Eltern eine Schulform als Ganztagsschule verkauft, bei der der Unterricht weiterhin geblockt und nur am Vormittag stattfindet. Am Nachmittag werden die Kinder ohne pädagogische Betreuung durch die Klassenlehrer in einem Schülerhort verwahrt, während die Lehrer ihren schulischen Verpflichtungen von zu Hause aus nachgehen. Die Herrausforderung durch die Migration bleibt vorerst offen. Derzeit tragen fast ausschließlich die nun »Neue Mittelschulen« genannten ehemaligen Hauptschulen die Belastungen, die Kinder mit fremder Muttersprache mit sich bringen. Um etwa in den Städten die Bildungschancen für ihre Kinder zu wahren, versuchen daher die meisten bildungsaffinen Eltern unbedingt Plätze an den Gymnasien zu ergattern. Dass diese dadurch zu Gesamtschulen für Kinder mit deutscher Muttersprache geworden sind, während es an den »Neuen Mittelschulen« fast nur noch Klassen mit einem Migrationsanteil von deutlich über 50 Prozent gibt, tut natürlich weder dem Niveau der Gymnasien und schon gar nicht jenem der Neuen Mittelschulen gut.
Unser Schulsystem ist extrem teuer und bringt kaum Hochqualifizierte, dafür extrem viele Schulabbrecher hervor. Für Ministerin Hammerschmid ist klar, dass sie das nicht von einen Tag auf den anderen ändern kann. Und so glaubt sie, dass allein die Umsetzung ihrer bisherigen Pläne etwa zehn Jahre beanspruchen wird. Doch selbst die Oppositionsparteien bewerten das Paket positiv und von den Lehrervertretern kommt Zurückhaltung. Der Umstand, dass das gewohnte lautstarke »Njet« der Lehrgewerkschaft bisher ausgeblieben ist, zeigt, dass die Ministerin auf einem guten konsensualen Weg ist.
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Tandl macht Schluss! Fazit 127 (November 2016)
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