Einfältige und bösartige Denunzianten bedrohen unsere Meinungsvielfalt
Christian Klepej | 22. Dezember 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 129
Vor wenigen Tagen hätte ich mich fast dazu hinreißen lassen, die Facebookseite der Werbeagentur »Scholz & Friends« zu »bewerten«. Also diese mit Sternen zu kategorisieren und ich wollte nur einen Stern, die denkbar schlechteste Bewertung abgeben. Ein Mitarbeiter dieser Agentur hat Anfang Dezember unter dem Hashtag #KeinGeldFürRechts (Hashtags sind das internette Pendand zu einem Motto) eine Aktion gestartet, um Unternehmen darauf hinzuweisen, dass ihre Werbebanner auch auf rechten, nazinahen oder überhaupt naziartigen Webseiten geschalten werden und diese dadurch davon abzubringen. Um eben »kein Geld für Rechts« zur Verfügung zu stellen.
::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Vorrangig ging es dem Initiator dieser Aktion wohl um das US-amerikanische Internetnachrichtenportal »Breitbart.com«, das gerüchteweise vor einem Start auch eines deutschsprachigen Ablegers steht. Breitbart, 2007 von Andrew Breitbart gegründet, hat vor allem im letzten Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten größere Öffentlichkeit erlangt und war im Großen und Ganzen das einzige Medium, das sich klar für Donald Trump ausgesprochen hat. Dem Anschein nach kursieren auf deren Webseiten neben klar rechtsliberalen Postitionen auch immer wieder wohl als ultrarechts zu bezeichnende und fragwürdige Inhalte.
#KeinGeldFürRechts erzielte schon in den ersten Tagen Erfolge. Via Twitter, also öffentlich, wurden Unternehmen angeschrieben und gefragt, ob sie denn »auf rechten Seiten werben wollten«. Durch die Bank waren die Rückmeldungen der Netzverantwortlichen dieser Unternehmen von »Überraschung« geprägt, beinahe alle meldeten binnen weniger Stunden ihr »Überlegen der Vorgangsweise«; die meisten »bedankten sich herzlich« für diese Informationen.
Nun kam aber in Deutschland nicht – das ja noch gar nicht aktive – Breitbart ins Visier dieser Aktion, es traf das liberale Blog »Die Achse des Guten«, wo etwa Henryk M. Broder – neben anderen Publizisten – regelmäßig Texte verfasst. Und das ebenfalls liberale Internetmagazin »Tichys Einblick«, herausgegeben vom ehemaligen Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy. Beide Magazine stehen in ihrer politischen Postionierung sicher rechts der Mitte, auch nur eine Andeutung der Verbindung dieser oft mit hervorragenden Texten versehenen Medien mit rechtsextremen (was die gesamte Aktion ja insinuiert) Inhalten kommt einer ungeheuren Hybris gleich. Die Achse des Guten hat die meisten Werbeverträge verloren – und damit großen wirtschaftlichen Schaden erlitten –, auch bei Tichys Einblick gibt es nun Probleme mit der Werbefinanzierung.
Ich persönlich lese beide Blogs regelmäßig und gerne und würde mich durchaus als ähnlich politisch verortet sehen. Wir Herausgeber des Fazit versuchen aber im gesamten Heft ein möglichst breites Meinungsspektrum anzubieten, weil wir eben der Meinungsvielfalt verpflichtet sind. Konservativ bin ich selber genug. Mich interessieren jedenfalls auch konträre Positionen und Gedanken.
Mittlerweile hat sich der Wind im Internet etwas gedreht, die Achse hat die ganze Sache sehr öffentlich diskutiert und nicht zuletzt Broder hat einige – verständlicherweise – deftige Kommentare über dieses »Denunziantentum« verfasst. Die Werbeagentur hat sich von besagtem Mitarbeiter – »in gutem Einvernehmen« – getrennt und dieser hat seine persönliche Facebookseite großteils gelöscht und sein privates Blog »Davaidavai.com« (die Aufforderung der Wachmannschaften in sowjetischen Gulags; zudem grafisch versehen mit einem Sovjetstern) ist nur mehr mit Passwort erreichbar. Er soll laut eigenen Angaben Drohmails erhalten haben, was natürlich abzulehnen ist! Bemerkenswert jedenfalls eine Stelle aus einem Stern-Interview, in der er meint: »Die eine Hälfte Deutschlands denkt, ich bin Gott, die andere denkt, ich bin der Teufel. Wahrscheinlich stimmt beides nicht.« (Immerhin!)
Ich habe die Agentur bei Facebook nicht schlecht bewertet. Weil es ein naives, vom Ärger getriebenes Tun gewesen wäre. Aber diese ganze Geschichte, dieser kurze Shitstorm vor Weihnachten, zeigt drastisch auf, wie bedroht die freie Rede bei uns ist. Und wie rücksichtslos und ohne dabei Gefangene zu machen, die Nazikeule geschwungen wird. Eine »Aktion gegen rechts«, die wahllos freie Bürger und deren Meinungen denunziert, dient nur der weiteren Radikaliserung unserer Gesellschaft. Das dürfen wir nicht zulassen.
Editorial, Fazit 129 (Jänner 2017)
Kommentare
Antworten