Tandl macht Schluss (Fazit 129)
Johannes Tandl | 22. Dezember 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 129, Schlusspunkt
Immer linker, immer grüner. Der Linksdrall der Konservativen Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch immer ist, hat kein Hirn.« Dieses Zitat – es stammt entweder von Clemenceau oder von Churchill – soll wohl jene Phase des Erwachsenwerdens beschreiben, in der sich die Verantwortung heranwachsender Bildungsbürger dramatisch ausweitet. In dieser Lebensphase gründen nämlich die meisten eine Familie und stellen wichtige Weichen für ihre Karriere.
Doch wenn man mit zunehmendem Alter den Sozialismus ablegt, müsste dann eine älter werdende Gesellschaft nicht automatisch nach rechts rücken? Auf den ersten Blick weisen die Wahlergebnisse der letzten Jahre darauf hin. Konservativismus, Rechtspopulismus und Nationalismus erleben überall einen Hype. Die USA wählten Donald Trump zum Präsidenten, die Briten votierten auf Betreiben der EU-kritischen Partei »Ukip« für den Brexit, in Ungarn regiert mit Viktor Orbán ein ehemals Liberaler, der dem Vernehmen nach immer weiter nach rechts rückt. In Polen errang die klerikal-konservative Partei »Recht und Gerechtigkeit« von Jaroslaw Kacynski einen fulminanten Sieg, in Deutschland gewinnt die inzwischen als eindeutig rechtspopulistisch verortete »Alternative für Deutschland« und in Österreich erreichte der FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer zuletzt 46 Prozent.
Auf den ersten Blick ergab ein individueller Faktencheck auch bei mir persönlich, dass mir mein Linksdrall abhandengekommen ist. Während ich früher in meinem konservativen Umfeld eindeutig im linksliberalen Bereich positioniert war, würde man mich mit meiner heutigen Gesinnung eher als wirtschaftsliberal und damit in den Augen des Mainstreams als eindeutig »rechts« definieren. Gleichzeitig musste ich jedoch feststellen, dass ich die meisten meiner ehemals progressiven Positionen nicht verändert habe. So bin ich immer noch gegen Atomstrom und für den Ausbau erneuerbarer Energien. Mir ist es völlig egal, welche sexuelle Orientierung meine Freunde haben. Oder von woher jemand kommt, der seinen gesellschaftlichen Input bringt, interessiert mich auch heute noch nicht. Und die Ansicht, dass der Sozialstaat zu den größten gesellschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit zählt, teile ich noch immer.
Natürlich gibt es Bereiche, in denen ich »gescheiter« worden bin. Als ehemaliger »Quasi-Schulhof-Marxist« bin ich inzwischen vollkommen davon überzeugt, dass sich eine Demokratie nur im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung entwickeln kann. Ich fürchte, inzwischen macht man sich selbst mit einem Bekenntnis zum Kapitalismus – dem Herzstück der poltischen Mitte – verdächtig, ein Rechter zu sein.
Wenn ich aber als Konservativer im Wesentlichen Meinungen vertrete wie vor 30 Jahren und früher damit relativ links war, während ich jetzt als relativ rechts gelte, kann das doch nur bedeuten, dass die Konservativen insgesamt nach links gerückt sind. Und tatsächlich: Wenn man heutige Positionen von ÖVP oder CDU mit jenen von vor zwei oder drei Dekaden vergleicht, stehen die Konservativen dort, wo sich früher die Sozialdemokraten und die Grünen positionierten. Konservativer Pragmatismus und christlichsoziale Kompromisssehnsucht haben dazu geführt, dass eindeutig sozialistische Positionen leicht verwässert in christdemokratische Programme aufgenommen wurden.
Nicht einmal der Antikommunismus – und damit der Schutz des Eigentums – hat seit dem Ende des Kalten Krieges noch entsprechenden Platz in der christdemokratischen Programmatik. Eigentlich sind der ÖVP nur Worthülsen wie »Familie«, »Europa« oder »Gymnasium« als Klammer einer ehemals bürgerlich-konservativen Gesinnung geblieben. Mit ihrem Schwenk nach links haben die Christdemokraten europaweit die Mitte und alles rechts davon aufgegeben. Viele ihrer Anhänger wurden heimatlos. Einige wählen sie zwar aus Tradition immer noch. Die Mehrheit der Frustrierten ist jedoch zu den Nichtwählern oder den Rechtspopulisten gewechselt.
Mit ihrer Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen hat es die ÖVP-Spitze nun geschafft, die letzten Werte und Ideale, für die der Konservatismus einst stand, ad absurdum zu führen. Woher soll eine Partei die ihre Vergangenheit neu interpretiert, eigentlich ihre Zukunft nehmen?
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Tandl macht Schluss! Fazit 129 (Jänner 2017)
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