Die Antwort auf Demagogen
Peter K. Wagner | 22. Februar 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 130, Fazitgespräch
Staatsekretärin Muna Duzdar über die Anbiederung an die FPÖ, die Mühen der Integration und unterschätztes Cybermobbing.
Das Gespräch führten Christian Klepej und Peter K. Wagner.
Fotos von Jacqueline Godany.
::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK
Es klopft an der Tür. »Frau Staatssekretärin«, sagt die Mitarbeiterin leise und etwas aufgeregt, »der Herr Bundeskanzler!« Mitten im Gespräch werden wir unterbrochen. Muna Duzdar entschuldigt sich für ein paar Minuten.
Es ist wohl nur ein Telefonat, kein Besuch. Dabei befände sich das Büro des Bundeskanzlers genau gegenüber von Muna Duzdars Arbeitsstelle. Direkt am Ballhausplatz, mitten im Herzen von Wien, eingebettet in die Gebäudekomplexe der Hofburg.
Lange lässt uns die Staatssekretärin nicht warten. Es ist gerade Zeit genug, sich der traditionellen Räume zu besinnen, in denen wir uns befinden. Verstrebungen, goldene Verzierungen, kaiserlich muten die Räumlichkeiten an, denen man die Bereiche Diversität und öffentlicher Dienst gerade noch abnimmt; nach Digitalisierung sieht hier nicht viel aus.
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Frau Staatssekretärin, Sie sind in Österreich geboren, weil Ihre Eltern sich für ein Leben in Wien entschieden haben. Wie kam es eigentlich dazu?
Die Familien meines Vaters und meiner Mutter haben eigentlich in Jordanien gelebt. Meine Mutter ist 1967 nach dem Sechstagekrieg von der Westbank dorthin gezogen und mein Vater stammt eigentlich aus Ost-Jerusalem, wurde in Damaskus geboren, ist allerdings ebenfalls in Jordanien aufgewachsen. Mein Vater kam dann zum Studium nach Österreich. 1979 wurde er Haustechniker in der UNO-City und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung.
Warum ging es ausgerechnet nach Österreich?
Es war eine Zeit der guten Kontakte zum Nahen Osten und der arabischen Welt. Die Stimmung war der arabischen Welt gegenüber sehr offen und freundlich. Es kamen deshalb sehr viele Studierende aus diesem Teil der Welt nach Österreich.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie als Ausländerkind hohe Hürden zu überwinden hatten, sich im Gymnasium etwa in Deutsch anfangs sehr schwer taten und sich nie wirklich gleichbehandelt gefühlt hätten. Wenn Sie an Ihre eigene Geschichte zurückdenken und versuchen, daraus Schlüsse zu ziehen: Wie funktioniert Integration?
Nur dann, wenn sie ab dem ersten Tag der Ankunft in Österreich passiert. Die Integrationsprozesse müssen bei uns viel früher ansetzen, als sie es bisher tun. Menschen werden erst in Integrationsprogramme genommen, wenn sie schon ein oder zwei Jahre im Land sind. Wir wissen aus den Erfahrungen des Arbeitsmarkts, was passiert, wenn Menschen in eine Inaktivitätsfalle tappen. Das Ziel von Integrationsmaßnahmen ist es, dass Menschen schnell selbsterhaltungsfähig werden und nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ich muss erkennen, wo die Defizite in den Integrationsfragen sind – und eines der größten Defizite war schon immer, dass die Menschen zum Nichtstun verdammt sind. Wir brauchen Programme und ein Integrationsjahr.
Wie kann so etwas aussehen?
So ein Programm soll Arbeits- und Bewerbungstrainings ebenso umfassen wie Orientierungs- und Sprachkurse. Wir wären auch bereit, so ein Jahresprogramm noch mehr auszuweiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass Investition in diesen Bereichen positive Auswirkungen haben wird und es dazu führen wird, dass Menschen leichter und schneller am Arbeitsmarkt Fuß fassen.*
Wenn Sie noch einmal kurz an Ihr Aufwachsen in Österreich zurückdenken: Ist es heute für Migranten einfacher, bei uns Fuß zu fassen, oder wieder schwerer, weil die Stimmung in der Bevölkerung gekippt ist?
Ich glaube, man wächst in zwei verschiedenen Welten auf als Migrant. Das ist eine große Bereicherung. Aber es ist auch so, dass Kinder der zweiten Generation stark hin- und hergerissen sind. Für mich war es etwa gut, mehrsprachig aufzuwachsen, weil ich von meinen Arabischkenntnissen nicht zuletzt auf internationaler Bühne profitieren kann. Auch meine Persönlichkeit wurde gestärkt, weil ich etwa einen Zugang zu mehreren Kulturen hatte. Und doch zerbrechen viele daran. Es ist daher wichtig, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken, damit die positiven Seiten überwiegen.
Sie gelten innerhalb der SPÖ als Teil des linken Flügels. Ihre Partei nähert sich immer mehr der Mitte, in Flüchtlingsfragen werden gar Positionen rechts davon eingenommen. Hatten Sie zuletzt oft das Gefühl, dass Sie Teil der falschen Bewegung sind?
Meine Partei ist sehr breit aufgestellt. Es war immer auch die Größe der Sozialdemokratie, die Gesellschaft widerzuspiegeln.
Die SPÖ unter Christian Kern versucht der FPÖ anders zu begegnen, um nicht weiter Stimmen an die Konkurrenz zu verlieren. Kann das Programm für eine starke Sozialdemokratie die Annäherung an Rechtspopulisten sein?
Christian Kern hat sich nicht an die FPÖ angenähert, das ist Ihre Interpretation. Es geht nicht darum, dass sich Sozialdemokratie über ablehnende Haltung gegenüber anderen definiert, sondern darum, wofür sie steht. Wir müssen die Diskussion suchen.
Aber ist es nicht ein Riesenproblem, dass man die Diskussion über Migration und Flüchtlinge viel zu lange der FPÖ überließ?
Sie sehen ja, dass ich für die Sozialdemokratie für das Thema zuständig bin. Das zeigt, dass wir uns dieser Herausforderung annehmen. Allein in Wien gibt es viele Projekte. Etwa mit dem Jugendcollege, wo Asylwerber und Asylberechtigte fit gemacht werden für den weiteren Ausbildungsweg. Während viele oft nur negativ über Integration reden, passiert am Boden der Realität in vielen Gemeinden und Städten sehr viel. Man will es nur nicht sehen.
Wie viel Migration wäre eigentlich gut für Österreich?
Ich bin gegen Zahlenspielereien. Man muss erheben, wie groß der Bedarf ist, und danach pragmatisch beurteilen, wie viel benötigt wird. Ich würde mir da mehr Sachlichkeit wünschen.
Aber warum wird diese Sachlichkeit so schlecht kommuniziert von der Bundesregierung? Die Diskussion ist weiterhin sehr emotionalisiert in Österreich.
Weil es Personen gibt, die hier versuchen, damit Stimmung zu machen. Es ist ein populäres Thema, das gut gespielt werden kann.
Auch wenn Sie sagen, dass Sie nichts von Zahlenspielereien halten: Obergrenzen vermitteln bis zu einem gewissen Grad Sicherheit.
Ja, aber ich bin für eine ernsthafte Politik. Man soll den Menschen reinen Wein einschenken.
Man könnte die Diskussion ja umdrehen und versuchen, einen anderen Weg zu gehen. Man könnte als Bundesregierung etwa verlautbaren, welche Zuwanderer in welchen Bereichen man gerne hätte. Warum passiert das nicht?
Das schwedische Modell der »fast tracks« ist auch Teil des »Plan A« der SPÖ. Die Wirtschaft erhebt genau, wo Mangelberufe sind, und die Leute, die hier leben, werden dann dahingehend qualifiziert. In Österreich betrifft das vor allem etwa die Gesundheits- oder Krankenpfleger. Das ist auch sinnvoll. Oft wird nur über Geben in der Debatte gesprochen, dabei ist Integration ganz klar ein Geben und Nehmen. Wir haben den Bedarf an Fachkräften.
Ihr zweiter großer Bereich im Staatssekretariat ist die Digitalisierung. Die Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung sind in der »Digital Roadmap Austria« zusammengefasst, die Sie zusammen mit Harald Mahrer kürzlich präsentiert haben. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Digitalisierung bringt einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft mit sich. Wir müssen sie daher steuern und eine Reihe von Ideen und Maßnahmen sind in dieser Roadmap zusammengefasst. Einerseits ist die Teilhabe an Digitalisierung wichtig, da geht es um Zugang zu Information, Wissen und Bildung. Dinge, die auch für die Jobs der Zukunft entscheidend sein werden. Aber auch die Bildungsstrategie der zuständigen Ministerin Hammerschmid, die etwa umfassende Ausstattung von Schulen mit Tablets vorsieht, ist eine Facette. Außerdem stehen Themen wie das »Safer Internet«-Programm, Medien- und Quellenkritik oder auch digitales Coaching von Senioren in diesem Papier. Um nur eine Facette zu konkretisieren: Noch immer haben 15 Prozent der österreichischen Haushalte keinen Zugang zum Internet. Wir wollen zum Beispiel diese digitale Kluft schließen.
Gibt es diese Kluft denn wirklich? Es mag diese 15 Prozent geben, aber in aller Regel stecken bei den meisten Menschen bereits zwei Smartphones in der Jackentasche.
Ja, aber es gilt, das Internet bis ins allerletzte Tal verfügbar zu machen. Und ein Smartphone zu haben, heißt nicht, dass man damit richtig umgehen kann oder mit Medien im Allgemeinen umgehen kann. Die Debatte um »Fakenews« schließt hier an. Menschen halten Unwahrheiten für die Wahrheit, das ist ein großes Problem der heutigen Zeit.
Als Christian Kern in seiner Rede über den »Plan A« von der Grazerin Erika sprach, die als Kaffeehausbesitzerin vor dem Problem steht, dass eine Starbucks-Filiale als Konkurrenz in der Nachbarschaft eröffnet hat, könnte man auch von Fakenews sprechen. Denn dabei handelt es sich um einen Starbucks-Automaten in einer Buchhandlung am Grazer Hauptbahnhof, nicht um eine Filiale. Wo fängt es an? Und noch mehr: Welche staatliche Institution kann feststellen, dass es sich bei einer Meldung um Fakenews handelt? Der Weg zur Zensur ist ein kurzer.
Bei Fakenews geht es um gezielte Desionformationskampagnienin den Medien. Dabei werden Unwahrheiten gestreut werden, um meinungsbildend zu sein. Darauf muss man reagieren. Wir werden uns einen Aktionsplan überlegen müssen, um Menschen zur Gegenrede anzustiften. So können Unwahrheiten entlarvt werden. Denn was ist das Problem im Netz? Es ist ein Katalysator von Informationen – und damit auch von Unwahrheiten. Und wenn Unwahrheiten tausende Male geteilt werden, werden sie plötzlich zur Wahrheit. Wir müssen aufpassen, dass hier nicht Parallelrealitäten entstehen, die mit der tatsächlichen Realität nichts zu tun haben. Wir wissen schon heute, dass Menschen, die sich lange in Foren oder geschlossenen Onlinegruppen aufhalten, manchmal so verunsichert werden, dass sie sich nicht mehr auf die Straße trauen.
Auch das Thema »Hasspostings im Internet« wird immer wieder diskutiert. Sie haben kürzlich eine Meldestelle für diese Art von Cybermobbing angekündigt. Wird dieses Thema nicht etwas zu groß geredet?
Nein, es wurde zu lange klein geredet. Die Hemmschwellen sind online nicht in diesem Maße vorhanden, wie es sie im realen Leben gibt. Man hat das Gefühl, man kann tun und lassen, was man will. Das zeigen nicht zuletzt Journalisten auf, die sich mit Hasspostern treffen, wo sich herausstellt: Das sind die gewöhnlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann.
Anmerkung: Florian Klenk, Chefredakteur des Falter, schrieb unlängst über seinen Besuch eines oberösterreichischen EDV-Technikers. Dieser hatte via Facebook-Kommentar dazu aufgerufen, jemand solle Klenk anzünden. Im persönlichen Gespräch kam es zu keinerlei Anfeindungen.
Nun sind diese Maßnahmen schön und gut, reagieren auf aktuelle Herausforderungen mit Sicherheit auch richtig. Aber die digitale Welt ist so viel schnelllebiger als andere Bereiche unseres Lebens. Kann man als Regierung hier gar nicht anders, als immer zu langsam zu sein?
Politik kann und soll die Rahmenbedingugen schaffen. Aber natürlich muss man auch die Betreiber in die Pflicht nehmen. Ich hatte schon Kontakt mit Facebook. Es würde weniger passieren, gäbe es mehr Transparenz. Wenn die Plattformen etwa eine Berichtspflicht hätten, wie viele Hasspostings es gibt und wie viele Mitarbeiter dafür abgestellt sind. Eines der größten Probleme ist, dass jene Mitarbeiter, die Postings löschen, oftmals keinen Bezug zu Österreich haben, sondern irgendwo in Irland oder Deutschland sitzen. Und dann werden etwa Beiträge, die klar gegen das Verbotsgesetz verstoßen, nicht gelöscht.
Im Bereich der Digitalisierung wurden ohne große Diskussionen Ergebnisse von SPÖ und ÖVP präsentiert. Ist der Konsens in diesem Bereich leichter zu finden, weil viele Menschen sich nicht auskennen?
Ich glaube zumindest, dass es ein Thema ist, das weniger emotionalisiert.
Haben wir den Absprung im Bereich der Digitalisierung eigentlich nicht schon verpasst in Österreich?
Das sehe ich nicht so. Ich bin ja auch zuständig für den öffentlichen Dienst. Und im Bereich des »E-Government« sind wir etwa weit vorne. Bei einem Monitoring vor drei Monaten haben wir im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz am besten abgeschnitten, weil 74 Prozent der Leute, die Internet haben, »E-Government«-Angebote nutzen.
Weil Sie den öffentlichen Dienst angesprochen haben: Sie sind seit vergangenen Sommer im Amt, aber über öffentlichen Dienst haben Sie in dieser Zeit wenig gesprochen. Zumindest im Vergleich zu den anderen Bereichen. Warum?
Das sehe ich nicht so. Wir hatten die Beamtenverhandlungen, aber auch der Babymonat, der immer stärker angenommen wird, ist ein Dauerthema. Nicht zuletzt haben wir den Höchststand an Lehrlingen im öffentlichen Dienst. Ich sehe den öffentlichen Dienst gerade hier als Vorreiter für die gesamte Gesellschaft.
Frau Duzdar, vielen Dank für das Gespräch!
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Muna Duzdar wurde am 22. August 1978 in Wien geboren. Sie kam über die Sozialistische Jugend Donaustadt in die Politik, war Vizepräsidentin der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend und studierte Rechtswissenschaften in Wien und Paris. Als Anwältin war sie auf Liegenschafts-, Miet- und Wohnrecht spezialisiert. 2010 wurde sie SPÖ-Bundesrätin, zwei Jahre später trat sie in den Wiener Landtag ein. Seit Mai des Vorjahres ist Duzdar neue Staatssekretärin für Diversität, öffentlichen Dienst und Digitalisierung.
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Fazitgespräch, Fazit 130 (März 2017), Fotos: Jacqueline Godany
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