Tandl macht Schluss (Fazit 130)
Johannes Tandl | 22. Februar 2017 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 130, Schlusspunkt
Die Menschen von Bobostan und ihre recht seltsame Allianz mit Donald Trump Das österreichische »Bobostan« mit seinen sonst Grün und in Graz auch kommunistisch wählenden Bewohnern ist erschüttert. Mit »Bobostan« sind jene uninahen Gründerzeitviertel mit ihren Kneipen, Yogastudios und Applestores gemeint, in denen die kaufkräftigen und sorgenfreien neuen Eliten des Informationszeitalters, die sogenannten »Bobos«, ihren Lebensmittelpunkt finden. Der Begriff »bourgeois bohémien« oder kurz »Bobo« ist ein Widerspruch in sich. Erfunden wurde er vom US-Journalisten David Brooks schon Ende der Neunzigerjahre. Und da Graz gerne ein paar Jahre nachhinkt, hat es halt etwas länger vom ersten Tribeka-Laden am Grieskai bis zur Filiale in der Kaiserfeldgasse gedauert. Brooks sieht in den »Bobos« die neue urbane Oberschicht, die Dinge zusammenführt, die bisher als unvereinbar galten: Reichtum und Rebellion; beruflicher Erfolg und Nonkonformismus; mit den Herzen Hippies und mit dem Hirn Yuppies oder ganz einfach »Konservative in Jeans und oft mit Vollbart«.
»Bobostan« ist erschüttert, weil sich seine Bewohner in ihrem Versuch, den Ausbau des Freihandels, also TTIP, Ceta und TiSA zu verhindern, auf einmal in einem Boot mit US-Präsident Donald Trump finden – jenem sexbesessenen, schwulenfeindlichen Gottseibeiuns, der mit seiner Forderung »America first« für die größten Shitstorms in der Geschichte der sozialen Medien sorgt.
Doch was haben Globalisierung und Freihandel der jungen Elite eigentlich angetan? Gerade Österreich verdankt den Großteil seines Wohlstands der Internationalisierung seiner Wirtschaft. Dass durch dieselbe Globalisierung, die uns den Wohlstand bringt, der Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung, die in bitterster Armut leben, in den letzten beiden Dekaden von einem Drittel auf unter zehn Prozent gedrückt wurde, wollen die Freihandelsgegner in ihren Facebook- und Twitter-Echoblasen ebenfalls nicht wahrhaben.
Dabei steht es völlig außer Zweifel, dass die Globalisierung auch negative Folgen hat. Dazu gehören die Abholzung der Regenwälder, die Plastikverseuchung der Ozeane genauso wie unmenschliche Arbeitsbedingungen in Schwellenländern, Kriege und Fluchtbewegungen oder der Verlust von Arbeitsplätzen durch den Niedergang der alten Industrien in den hochentwickelten Ländern. Es steht aber ebenso fest, dass die Wirkungen der Globalisierung überwiegend positiv sind, und zwar sowohl für die hochentwickelten Industrienationen als auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer.
Nachdem sich US-Präsident Donald Trump ja nun von Europa abweden will, gäbe es für die EU – als immer noch mit großem Abstand größten Wirtschaftsraum der Erde – die schöne Aufgabe, die Globalisierung sozialverträglich zu machen. Dazu müsste die globalisierte Wirtschaftsweise so verändert werden, dass die erwähnten negativen ökologischen und sozialen Aspekte gar nicht erst entstehen können.
Denn trotz unseres hohen Lohnniveaus profitieren wir aufgrund unserer Innovationskraft davon, dass die Billiglohnländer konkurrenzfähiger und damit kaufkräftiger werden. Der Nationalökonom Gunther Tichy hat kürzlich die Eckpfeiler einer sozialverträglichen Globalisierung vorgezeichnet. Dazu dürfen die Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenfreiheit nicht länger die Ziele an sich sein, sondern müssen gesellschaftlich verträglich gestaltet werden. Im Sinn des freien Warenverkehrs dürften keine Umweltschutzmaßnahmen mehr umgangen werden, indem die jeweiligen Industrien ausgelagert und die Produkte importiert werden. Unter freiem Kapitalverkehr dürfte keinesfalls die Möglichkeit gemeint sein, Währungen solider Staaten zu schädigen, und der freie Personenverkehr darf weder die Sozialversicherungssysteme noch die Lohnstrukturen gefährden. Eine menschlichere Globalisierung würde demnach auch nicht zur Erosion von Standards, Unternehmenssteuern oder sozialen Leistungen führen.
Europa hat schon einmal bewiesen, dass es imstande ist, ein sozialverträgliches Wirtschaftssystem durchzusetzen, und zwar als es ungeregelte kapitalistische Märkte in die soziale Marktwirtschaft mit seinen sozialen Absicherungssystemen zwang. Ob sich Donald Trump noch während seiner Präsidentschaft auf die Vorzüge der Globalisierung besinnen wird, ist zu bezweifeln. Die Menschen in »Bobostan« geben dem Freihandel aber möglicherweise allein schon deshalb eine faire Chance, weil Trump dagegen ist.
::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Tandl macht Schluss! Fazit 130 (März 2017)
Kommentare
Eine Antwort zu “Tandl macht Schluss (Fazit 130)”
Antworten
17. März 2017 @ 00:22
Sie haben recht, dass die „Bobos“ – ich nenns eigentlich gern „die Linksliberalen“, damit man auch diverse andere Leute dabei hat – den Freihandel ablehnen und dabei eine Gemeinsamkeit mit Donald Trump haben. Aber das ist als Argument noch etwas schwach.
Ich bin ebenfalls pro Freihandel und will Ihnen gar nicht unbedingt widersprechen mit Ihrer Kritik, aber sie ist ein bisschen dumpf. Nur, weil Trump etwas sagt, heißt das nicht, dass es automatisch falsch ist. Das ist wie das Argument „Hitler mochte Zucker“. Freihandel per se okay, aber es gibt durchaus legitime Kritikpunkte, die man nicht nur aus ideologischer Kritik gegen Links (oder sonst was, sind ja nicht die Einzigen) zumindest inhaltlich diskutieren sollte.