Zur Lage (78)
Christian Klepej | 22. Februar 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 130, Zur Lage
Über Schwachstellen und Schattenseiten. Schon wieder was über Radiosender. Und im Grunde ausschließlich über das Nichtzurechtkommen des Autors mit seiner von ihm konstruierten Welt.
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Heute möchte ich Ihnen einmal was Persönliches von mir erzählen, was über meine Schwachstellen, über meine Schattenseiten. Damit meine ich jetzt nicht das Offensichtliche, wie etwa weiß zu sein, alt, männlich, katholisch, verheiratet, noch dazu mit einer Frau, zwei Kinder hab ich auch noch undsoweiter; nein, es geht mir mehr darum, mein Innerstes hier vor Ihnen nach Außen zu kehren. Ich habe nämlich Ticks, mannigfaltige Ticks. Und darüber zu reden, sich sozusagen zu »outen«, das soll ja helfen; das soll ein erster und sehr wichtiger Schritt sein, mit Problemen besser fertigzuwerden.
Einer dieser Ticks hat mit meinem Küchenradio zu tun. Das ist ein amerikanisches Modell der Marke »Tivoli« aus dem guten alten Boston. Das schaut wunderbar aus, das bereichert, seitdem es mir meine Frau geschenkt hat, unsere Küche ungemein. Man kann es übrigens nur ein-, aus- und lauter wie leiser schalten. Und man kann mittels eines haptisch ungemein wohlgängigen Schwungrades den Sender aussuchen. Und genau in diesem Schwungrad ist die Wurzel dieses Ticks begraben. Es funktioniert nämlich seit naja, plusminus drei, fünf Jahren nicht ordentlich. Soll heißen, gerade der einzige Sender, dem wir in unserer Küche lauschen, das postsozialistische Kampfradio Ö1, der lässt sich nicht einstellen. Zumindest ausnehmend selten mit der notwendigen Empfangsqualität, um die kapitalismuskritischen Elaborate der Sprecherinnen und Sprecherinnen dieser gemeinsam mit Radio Helsinki und Radio FM4 besten Sendeanstalt der Welt in Österreich überhaupt zu hören. Und das ist bedauerlich. Etwa verbringe ich eine gute erste Hälfte des Morgenjournals um sechs oder auch um sieben, soferne meine Tochter es genehm empfindet, etwas länger zu ruhen, was an drei von zwanzig Tagen gerne vorkommen kann, damit, nichts zu verstehen. Und das ist wirklich suboptimal, wenn man etwa vom Großreporter des Nahen Ostens, Karim El-Gawhary, nur Wortfetzen zwischen ätherischem Rauschen vernehmen kann: also beispielsweise »Chairo«, »Ffattach«, »Friedensverhan« und Ähnliches. Oder wenn gerade Literaturnobelpreise vergeben werden, nur der Vorname sich aus dem Rauschgestöber heraus abhören lässt. Besonders schlimm war es etwa am Morgen nach der US-Präsidentschaftswahl, wo ich mir aus »Clinton«, »Donald«, »Überraschung« und »niemand hätte gedacht« einen Informationsgehalt sehr mühsam erarbeiten musste. (Morgens schau ich selbstverständlich nicht mehr ins Internet, was interessieren mich Fakenews und Hatespeech.)
Auf jeden Fall wird das auch nicht besser. Ganz im Gegentum wird es eigentlich schlechter. Und es hat schon Tage gegeben, wo ich bar jeder weltöffentlichen Information meine Tochter in die Krippe bringen musste. Von der Diskrepanz meiner persönlichen Überzeugung, jede Art von Fremdbetreuung vor dem vierten Lebensjahr abzulehnen und trotzdem meine Große jeden Tag in einen wunderbar organisierten und von denkbar liebenswertem wie kompetentem Personal geführten Kindergarten zu bringen, erzähle ich heute nichts; diese Prinzipienflexibilität empfinde ich eher als eine meiner Stärken.
Meine Sorge, mein Unbehagen mit dieser Sendersache ist jenes, was, wenn ein Dritter – meine Frau ist mit dem Sachverhalt ja vertraut – in unserer Küche das Radio einschaltet? Etwa meine Mutter. Die glaubt dann gar, ich sei so schlampig und stelle nicht einmal einen Sender richtig ein. Bei meiner Schwiegermutter mache ich mir da übrigens weniger Sorgen; die hätte ohne viel Federlesens einen anderen Sender gefunden. Oder wenn ein Einbrecher, eine Einbrecherin, vielleicht sogar ein Einbrecher_x sich die Zeit verkürzen oder einfach nur etwas von der Welt mitbekommen möchte, während ersiees sich umsieht in meiner Wohnung, da feststellen muss, es ist kein Sender eingestellt. Was denkt sich das dann von mir? Bei einem Einbrecher – da hätte ich bei meiner Mutter weniger Sorge, aber ein Einbrecher, der wäre dann vielleicht verärgert. Und ließe nur deswegen alle Sorgfalt fahren und machte kaputt auch noch mehr als notwendig. Ein Schild könnte ich anbringen. Auf dem erklärt wird, dass dieses Radio über gewisse Funktionsschwächen verfügt. Das müsste ich dann aber in mehreren Sprachen verfassen, man möchte ja auch und gerade in seinem persönlichstem Umfeld niemanden diskriminieren nicht. Also keine echte Lösung. Einige Zeit hatte ich dann Ö3 eingestellt. Weil gerade dieser Sender lässt sich nämlich wunderbar empfangen auf meinem Tivoli. Die unerträglich gute Laune, die dort 25 Stunden täglich ausgestrahlt wird, verstehe ich nur allzudeutlich auf jeden Punkt und Beistrich. Nur, die Herrschaften glauben dann, ich würde Ö3 hören. Nix für ungut, da wäre mir eine Einschätzung als hoffnungsloser Schlamp jedenfalls lieber. Radio Steiermark würde auch funktionieren, aber, so gerne ich das mag, wäre ich auch wieder punziert. Natürlich heisst es, don‘t judge a book by its cover, ja, eh! Und nur die inneren Werte zählen, Ahaha! In letzter Konsequenz wäre es mir, so billig bin ich, dann halt auch nicht recht, wenn ich so als Musikantenstadlversteher vor meinem Einbrecher dastünde. Nämlich nur. Selbstverständlich mag ich den Gabalier oder bin von der Qualität der wunderbaren Helene Fischer sehr, sehr überzeugt. Auch ihr Gesang gefällt mir allenthalben, zumindest immer wieder und wenn es passt. Aber halt nicht nur. Ich höre eben auch andere Sachen. Naja, jetzt muss ich schon aufhören, dabei war das erst einer meiner Ticks. Ob es mir jetzt wirklich besser geht? Wir werden es sehen. Ich schließe und zitiere den Titel meiner Lieblingssendung auf Radio Kärnten: Servus, Srecno, Ciao!
Zur Lage #78, Fazit 130 (März 2017)
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