Die Reichen zahlen genug
Redaktion | 30. März 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 131, Fazitgespräch
Finanzminister Hans Jörg Schelling über den Zustand der Koalition, Vorhaben der nächsten 24 Monate und notwendige Reformen im Steuerrecht.
Das Gespräch führten Christian Klepej und Johannes Tandl.
Fotos von Jacqueline Godany.
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Finanzminister Hans Jörg Schelling ist sichtlich stolz auf seine Amtsräume, die sich – nach einer finanziell völlig aus dem Ruder gelaufenen Restaurierung unter seinen Vorgängern – nun nicht mehr in den traditionellen Prunkräumen in Prinz Eugens Winterpalais in der Himmelpfortgasse befinden, sondern in einem bescheideneren aber ebenfalls großzügig renovierten Gebäudeteil in der Johannesgasse.
Und so gibt es zum Auftakt unseres einstündigen Gesprächs zu Kaffee und Wasser auch eine umfassende Einführung in die wechselvolle Geschichte des Gebäudes durch Hans Jörg Schelling persönlich.
Auf die Frage nach mehr Steuergerechtigkeit antwortet er, dass 80 Prozent des Steueraufkommens von 20 Prozent der Steuerzahler geleistet werden. Eine Wiedereinführung von Vermögens- und Erbschaftssteuer lehnt Schelling kategorisch ab.
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Herr Minister, als wir Ende Jänner ein Regierungsmitglied interviewt haben, haben wir auf dem Nachhauseweg im Radio gehört, dass die Regierung vor dem Ende steht. Daraufhin wurde zwar das Regierungsprogramm überarbeitet, aber gestritten wird noch immer. Kann es sein, dass die Regierung die Drucklegung dieses Interviews nicht überlebt?
Das passiert Ihnen ganz sicher nicht. Wir haben uns auf ein neues Programm geeinigt, das wir nun Schritt für Schritt abarbeiten. Wie Sie wissen, habe ich am 16. Jänner hier im Haus eine Rede mit einem Arbeitsprogramm für Österreich gehalten, das zum Großteil von der Regierung übernommen wurde.
Aber gewirkt hat das so, als ob Sie mit Ihrer Rede den »Plan A« von Kanzler Kern vorwegnehmen wollten.
Mein Termin war wirklich eine Routinegeschichte. Auf alle Fälle hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Arbeitsprogramm, das ich vorgeschlagen habe, eigentlich ein sehr gutes und richtiges ist. Im neuen Programm für Österreich sind etwa 90 Prozent der Punkte drinnen, die ich angeregt habe.
Sie gehen tatsächlich davon aus, dass das jetzt hält?
Die Punkte werden jetzt sukzessive umgesetzt. Jede Woche kommt ein anderes Thema in den Ministerrat, diese Woche hatten wir die Halbierung der Flugabgabe und für nächste Woche haben wir die Erhöhung der Forschungsprämie und die Abschaffung der kalten Progression auf der Tagesordnung stehen. Wenn wir realistische Chancen haben wollen, wieder gewählt zu werden, dann muss jetzt geliefert und nicht bloß angekündigt werden.
Und wann glauben Sie, dass gewählt wird?
Ich vertrete ja noch immer die Auffassung, dass wir die Legislaturperiode fertig machen werden. Aber natürlich ist nicht auszuschließen, dass es Leute gibt, die andere Überlegungen haben. Das neue Programm wurde auf 18 Monate angelegt und alle haben sich dazu bekannt.
Und dieses Bekenntnis wirkt bis in die Landeshauptstädte?
Natürlich sind die Länder einbezogen. Wir hatten zuvor sehr schwierige Verhandlungen zum Finanzausgleich und am Ende gemeinsam ein gutes Ergebnis präsentiert. Wir diskutieren nun schon so lange über eine Bundesstaats- oder Verwaltungsreform, dass das gar niemand mehr hören kann. Ich habe eingebracht, dass sich alle zu einer Bundesstaatsreform bis 2018 bekennen. Parallel dazu hat die Landeshauptleutekonferenz die Einsetzung einer Umsetzungsgruppe beschlossen.
Und die soll das schaffen, woran alle seit Jahrzehnten scheitern?
Meine Empfehlung ist eine relativ einfache: Machen wir nur Dinge, die wir auch realisieren können. Der Riesenwurf wird uns nicht gelingen. Daher sehe ich auch wenig Sinn darin, wenn etwa wie vom steirischen Landeshauptmannstellvertreter der Vorschlag kommt, die Landesgesetzgebung und damit letztendlich die Landtage abzuschaffen. Daher noch einmal: Gehen wir die Dinge an, wo es eine realistische Umsetzungschance gibt. So soll bis Ende Juni der Bereich der Elementarpädagogik reformiert werden. Darauf folgen die Bestimmungen für die sieben- bis 15-jährigen. Ein einheitliches Jugendschutzgesetz wird wieder diskutiert werden und auch im Bereich des Wirtschaftsrechts wird man einiges bewegen können. Wir haben zum Beispiel eine bundeseinheitliche technische Bauordnung vereinbart.
Was soll man da schon groß einsparen können?
Nicht unbedingt bei der Verwaltung, aber bei der Bauwirtschaft. Wir wollen gar nicht in die Gestaltung eingreifen. Aber wir wollen, dass die Stiegen oder Geländer in allen Bundesländern gleich hoch sind. Ich kann Ihnen ein Beispiel aus meiner Zeit, als ich noch Möbelhäuser gebaut habe, erzählen. Da haben wir in einem Zeitraum von zwei Jahren drei Möbelhäuser im selben Bundesland errichtet und dreimal gab es unterschiedliche Vorschriften, weil etwa der Brandschutz beim örtlichen Feuerwehrkommandanten angesiedelt ist. Wir haben festlegt, dass im Bereich Gesundheit alle Entscheidungen bei den Spitälern in Zukunft durch die Bundeszielsteuerungskommission getroffen werden. Wir gehen diese Kompetenzfragen sanft, aber bestimmt an. Alle Bundesländer haben das unterschrieben und sie können natürlich auch in Zukunft mitbestimmen, aber eben nicht mehr allein.
Die Länder spielen geschlossen mit?
Schauen Sie auf das Beispiel der Transparenzdatenbank. Da haben sich alle Länder nun dazu verpflichtet, ihre Förderungen im Bereich Energie und Umwelt bekannt zu geben. Im Umweltbereich fördern der Bund, das Land und die Gemeinde und wir wollen endlich die Mehrfachförderungen unter Kontrolle bekommen. Aber wir wollen auch erkennen, ob Fördermaßnahmen wirken. Ich möchte wissen, ob in jenen Ländern, die Umweltmaßnahmen höher fördern, mehr investiert wird als in jenen mit einer schwächeren Förderung.
Falls es da keinen Unterschied gibt, wissen wir, dass zu hoch gefördert wird. Ich möchte da eine Lanze für die Länder brechen. Ich habe mit ihnen die Gesundheitsreform verhandelt und die Erfahrung gemacht, dass, wenn da die richtigen Leute am Tisch sind, sehr viel weitergeht. Sehr oft blockieren nicht die Länder, sondern andere.
Wer sind die Blockierer?
Na zum Beispiel die Interessensvertreter.
Gilt immer noch, die Sozialpartner vereinbaren etwas und die öffentliche Hand bezahlt dafür?
Da habe ich ein gutes Beispiel. Der Wirtschaftskammerpräsident fordert von uns immer, die Ausnahmen, die im Steuerrecht bestehen, zu beseitigen und auch die im Sozialversicherungsrecht. Dabei sind mehr als die Hälfte davon durch die Kollektivverträge – also durch die Sozialpartner – entstanden. Da wurde oft gegen Mitternacht noch schnell irgendeine Zulage beschlossen und zwar sozialversicherungsfrei, aber nicht steuerfrei gestellt. Beim nächsten Mal wurde eine Zulage zwar steuerfrei, aber nicht sozialversicherungsfrei gestellt.
Wir haben inzwischen ein Steuerrecht, das wegen der vielen Ausnahmen und Sondertatbestände völlig unübersichtlich ist. Die letzte Strukturreform war 1988. Inzwischen enthält der §124b des Einkommensteuergesetzes, in dem die Übergangsbestimmungen geregelt sind, mehr als 150 Ziffern. Verstehen Sie das eigentlich alles, was da drinnen steht?
Ich verstehe es auch nicht, aber davon leben ja inzwischen ganze Heerscharen von Beratern.
Wäre es nicht an der Zeit für eine Neukodifizierung?
Es gibt bereits den Auftrag an die Sektion für Steuerpolitik und Steuerrecht. Der gesamte Bereich Einkommenssteuerrecht wird neu kodifiziert. Wir gehen davon aus, dass wir das in 24 Monaten schaffen. Es gibt dabei nur folgende Probleme: Man darf das Einkommensteuerrecht nicht isoliert betrachten und wir werden daher irgendwann eine Steuerstrukturdiskussion beginnen müssen. Das Beispiel, das ständig durch die Medien rauscht, ist die Entlastung des Faktors Arbeit. Ich will von allen, die das fordern, wissen, wie sie sich die Gegenfinanzierung vorstellen. Dabei wird es Gewinner und Verlierer geben und die Verlierer werden sich wehren. Außerdem müssen bei jeder Veränderung des Steuerrechts die Auswirkungen auf die Sozialsysteme, etwa die Pensionshöhe, mit bedacht werden.
Bis wann werden sie das Ganze präsentieren?
Der Auftrag ist jetzt einmal, sämtliche Konsequenzen der angedachten Maßnahmen analytisch zu untersuchen und zu simulieren. Die Ergebnisse wollen wir Schritt für Schritt präsentieren.
Welche Aspekte sind von diesen Simulationen betroffen?
Das gilt für alle Bereiche. Nehmen wir etwa an, die neue Mobilitätsprämie für E-Autos wirkt und wir haben auf einmal zehn Prozent E-Autos, die keine Mineralölsteuer mehr bezahlen; mit Fahrern, die vom Sachbezug befreit sind. Wie soll der Ausfall kompensiert werden?
Der zweite Punkt: Das gesamte Lohn- und Einkommensteueraufkommen beträgt 30 Milliarden Euro. Wir zahlen jedoch für die Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung jährlich 44 Milliarden in die Sozialkassen. Das ist um 50 Prozent mehr als die gesamte Lohn- und Einkommensteuer. Wir sollten daher nicht die Steuersätze, sondern die Abgabenlast kritisieren, die auch die Sozialaufwendungen beinhaltet.
Eine Strukturreform muss daher auch die Sozialabgaben umfassen?
Derzeit bezahlen etwa 2,4 Millionen arbeitende Österreicher keine Lohn- und Einkommensteuer. Alle Einkommensbezieher zahlen jedoch ab der Geringfügigkeitsgrenze voll in die Sozialversicherung ein.
Meine Idee, die halt leider nicht umgesetzt wurde, war eine Einschleifregelung. Zwischen der Geringfügigkeitsgrenze (Anmerkung: 425,70 Euro im Monat) und 750 Euro sollte nur ein Drittel des vollen Sozialabgabensatzes anfallen, zwischen 750 und 1000 Euro zwei Drittel und erst ab der Tarifgrenze für den Eingangssteuersatz von 11.000 Euro jährlich die vollen Sozialabgaben. Damit würden wir mehr Menschen in die Sozialversicherung bringen, denn jetzt versuchen viele, bewusst unter der Geringfügigkeitsgrenze zu bleiben. Mir wäre jedenfalls lieber, die Leute bezahlen einen geringen Beitrag als gar keinen. Außerdem haben wir bei der Steuer keine Deckelung bei der Sozialversicherung, jedoch eine Höchstbemessungsgrundlage. Die Systeme sind so heterogen, dass man die Senkung der Abgabenquote nur dann ernsthaft angehen kann, wenn man die Systeme koppelt und gemeinsam reformiert.
Wie niedrig wäre eine Abgabenquote, die wir erreichen könnten? Derzeit liegt sei bei etwa 43 Prozent.
Das gemeinsam festgelegte Ziel ist, dass wir auf unter 40 Prozent kommen. Damit kann man die gigantischen Leistungen, die von der öffentlichen Hand für die Bevölkerung erbracht werden, finanzierbar halten. Wenn man Leistungen reduzieren will, kann man natürlich auch mit einer noch niedrigeren Quote das Auslangen finden, aber davon gehe ich nicht aus.
Thema Steuergerechtigkeit, die Reichen zahlen angeblich zu wenig und die Mitte zu viel. Kapitalerträge aus Vermietungen werden einkommensbesteuert, Kapitalerträge aus Wertpapierbesitz unterliegen der – meist – viel niedrigeren Kapitalertragsteuer. Wie kann das System gerechter werden?
Die Frage der Steuergerechtigkeit ist so alt wie die Welt. Bei uns werden 80 Prozent des Steueraufkommens von 20 Prozent der Steuerzahler geleistet. Da zu sagen, die Reichen zahlen zu wenig, ist nicht richtig. Und wenn Sie den Gini-Koeffizienten, der die Umverteilung misst, ansehen, sind wir Österreicher Umverteilungsweltmeister. Wir verteilen mehr Geld um, als die Lohn- und Einkommenssteuer ausmacht. Wir haben bei den Niedrigeinkommen sogar Negativsteuern. Wir bekennen uns zu unserem progressiven Steuersystem, bei dem der, der mehr verdient, einen höheren Anteil an Steuern bezahlt. Gleichwohl habe ich jetzt bei der Abschaffung der kalten Progression natürlich darauf bestanden, dass die über alle Steuerstufen geht.
Und wie beurteilen Sie die Maßnahmen für mehr internationale Steuergerechtigkeit? Kriegt man damit das Problem der Steuervermeidung in den Griff?
Wir haben sehr viel gemacht, um die Gewinnverschiebungen in Niedrigsteuerländer zu stoppen. Der Informationsaustausch, das »Country-by-Country-Reporting« (Anmerkung: Internationale Unternehmen sind dadurch gezwungen, die jeweiligen Ländergewinne an die Finanzämter zu melden), die Beps-Regeln (Anmerkung: Beps steht für »Base Erosion and Profit Shifting«. Ein Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Gewinnverschiebungen in Niedrigsteuerländer) und das Verrechnungspreisdokumentationsgesetz (Anmerkung: Die Umsetzung einer EU-Initiative zu Dokumentation der Verrechnungspreise von Transaktionen zwischen Unternehmen in Ländern mit unterschiedlicher Gewinnbesteuerung). Trotzdem bin ich mir relativ sicher, dass wir das Problem damit nicht in den Griff bekommen werden.
Aber die Regeln werden doch als wasserdicht angesehen.
Meine Überzeugung ist, dass, wenn man irgendwo eine Steueroase zusperrt, woanders eine andere öffnet. Mein Problem ist, dass das mitten in Europa passiert und nicht nur in der Karibik oder sonst wo. Ich meine damit Luxemburg, Malta, Zypern, Irland, aber auch Holland.
Die EU-Staaten wollen doch ihr Steuerrecht weiterhin höchst individuell gestalten.
Derzeit haben wir zwar völlig unterschiedliche Sätze quer durch Europa. Dennoch sind diese Tarife unvergleichbar, weil sich die Bemessungsgrundlagen so stark voneinander unterscheiden. Da werden einmal die Zinsen nicht anerkannt, oder im nächsten Land die Abschreibungen nicht. Wenn wir die gleichen Bemessungsregeln anwenden würden wie die Slowakei, würden wir mit einem Körperschaftsteuersatz von 20 Prozent das Auslangen finden (Anmerkung: Die Körperschaftsteuer beträgt in Österreich derzeit 25 Prozent, in der Slowakei 22 Prozent).
Wie kann man dieses EU-Problem lösen?
Solange sich Unternehmen aussuchen können, wo sie versteuern, gar nicht! Wenn Sie etwa bei Google werben, müssen Sie online buchen und der Vertrag kommt in Irland zustande. Solange nicht da versteuert wird, wo die Leistung entsteht, geht das nicht.
Sind Sie für eine Harmonisierung der EU-Steuertarife?
Das kann man vergessen. Wenn es eine heilige Kuh in Europa gibt, sind das die Steuersätze. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass wir die Bemessungsgrundlagen vergleichbar machen.
Und was halten Sie von Vermögenssteuern?
Natürlich gibt es Kreise, die nichts lieber tun, als die Reichen zu »bashen«. Unter mir als Finanzminister wird es keine Vermögens- und keine Erbschaftsteuer geben. Wir besteuern schon heute den Vermögenszuwachs sehr hoch. Deshalb tun sich die Bürger sehr schwer, Vermögen zu schaffen.
Darf ein Unternehmer aus Ihrer Sicht alles machen, um legal Steuern zu vermeiden?
Wenn jemand die Gestaltungsmöglichkeiten legal nutzt, ist nicht er in der Verantwortung, sondern wir als Staat. Unsere Aufgabe ist es natürlich, überbordende Steuervermeidungsmöglichkeiten zu beenden.
Herr Schelling, danke für das Gespräch!
Hans Jörg Schelling wurde am 27. Dezember 1953 in Hohenems in Vorarlberg als Johann Georg Schelling geboren. Er maturierte 1972 in Feldkirch und studiert in Linz Betriebswirtschaftslehre. Er wurde 1988 Geschäftsführer der Leiner-Kika-Unternehmesgruppe und wechselte 1992 zum Mitbewerber XXXLutz. 2008 wurde er Obmann der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und 2009 Vorsitzender des Hauptverbands der Sozialversicherungen. Schelling war zwischen 2004 und 2014 Vizepräsident der Wirtschaftskammer und ist seit September 2014 österreichischer Finanzminister. Schelling ist verheiratet und hat zwei Töchter aus erster Ehe.
Fazitgespräch, Fazit 131 (April 2017), Fotos: Jacqueline Godany
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