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Zur Lage (80)

| 27. April 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 132, Zur Lage

Ausschließlich über Kunst, insbesondere über den Steirischen Herbst und dessen neue Indendanz ab dem Jahr 2018, über meine Provinzialität in kulturellen Angelegenheiten und über eine Vision eines zeitgemäßen Avantgardefestivals.

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Die in Köln weltbekannte Ekaterina Degot wird neue Indendantin des in Graz weltbekannten internationalen Festivals für zeitgenössische Kunst, dem Steirischen Herbst. Ich musste die Dame nicht einmal googeln nicht, habe ich doch im »Standard« von einer der dort schreibenden Gesamtdenkerinnen schon im ersten Satz eines Kurzportraits der russischen Kunsthistorikerin erfahren, dass es sich um eine »unerschrockene, politische und kritische Kuratorin« handelt. Na bitte, das ist super.

Degot soll in ihrer Bewerbung darauf Wert gelegt haben, dass beim Herbst auch in Hinkunft ein »frecher Denkansatz« erlaubt sein müsse. Sie will »noch mehr Avantgarde« nach Graz bringen und fühle hier enormes Potential. Graz habe Charme. Na bitte, das ist ja noch mehr super.

Praktisch erscheint auch, dass »die Kuratorin und Kennerin der Neoavantgarde und Gegenwartskunst« als »international sehr gut vernetzt« gilt, vor allem weil das für alle Kunsttreibenden als Bereicherung und Pluspunkt angesehen wird, bei Politikern hingegen gälte das ja eher als Bereicherung und Minuspunkt.

Unter der neuen Indendantin wird es also dann noch tollere und noch sensationellere Spitzenproduktionen weltweit aktiver Superstars in Graz geben, als es bisher schon der Fall war. Mir fällt jetzt leider auf die Schnelle, da an der Schreibmaschine ohne Internetzugang, zwar gar nichts ein, was der Steirische Herbst die letzten Jahre und Jahrzehnte über so »produziert hat«, es war aber sicher total super. Man muss zudem wissen, ich habe irgendwann in den Nullerjahren aufgehört, dem von mir sehr geschätzten Festival auch als physische Person beizuwohnen; bei irgendeiner Eröffnung damals hatte nämlich ein genialer Großkünstler Dreck von der Decke der Helmut-List-Halle purzeln lassen. Und, Sie kennen mich, ich bin ja ein so ein kleinprovinzialistisches, ausnehmend einfaches Gemüt und habe mir fortan gedacht, na, da lass ich mich lieber eine Liga weiter oben in Kassel alle fünf Jahre auf so richtigem Weltniveau verarschen, da bin ich einfach nicht groß genug, für diese Weltsensationen in der ja dann doch überschaubaren Steiermark. Super waren sie sicher alle, die künstlerischen Ergüsse, es wurde wohl ordentlich kontextualisiert und dekonstruiert, Bezüge wurden sicher neu gestaltet wie vernetzt und wohlwahrscheinlich wurden auch viele »Räume« hergestellt. Zudem war – ich trau mich das jetzt zu wetten – auch sicher viel an kapitalismuskritischen Aspekten miteingebaut und, genau, das gilt es nie zu vergessen, wird wohl (hoffentlich!) der »Kampf gegen Rechts« eine vorder-, mittel- und hintergründige Rolle gespielt haben. Wir kennen das im Grunde seit den Achtundsechzigern, es gibt seitdem halt nichts mehr Neues nicht zum Ausziehen.

Trotz allem erlebe ich diese neue Ära des Steirischen Herbst nicht nur mit einem lachenden – was schreibe ich: frohlockendem! – Auge, nein, auch ein weinendes habe ich dabei. Es verhält sich nämlich a so, dass ich die Bewerbungsfrist für die Stelle der Herbstindendanz schlicht – wieder einmal, ich bin da viel zu schlampig – übersehen hatte und wir alle somit leider nicht in den Genuss meiner Indendanz gelangen werden. Dabei hatte ich mich recht ordentlich vorbereitet für diese kunstvolle Aufgabe. Und da ich Ihnen die Gelegenheit geben möchte, sich selbst ein Bild von meinen Vorstellungen für die Neu- und Weiterentwicklung des heimischen Avantgardefestivals machen zu können, darf ich hier kurz mein leider dann doch nicht über das Stadium eines Rohkonzeptes hinausgekomme Papier »Kunst aus. Graz!« paraphrasieren:

Der Herbst 2018 (Arbeitstitel »Lö Grand Finnal«) hätte aus lediglich einer Aufführung eines Requiems (ich dachte an die »Grande Messe des Morts« von Hector Berlioz; das hatte ich aber noch nicht fixiert) bestanden. Dieses Konzert wäre ohne Publikum von einem Orchester im Walddom auf der Hebalm aufgeführt und über ein in Asien produziertes Smartphone zum Uhrturm übermittelt worden, von wo aus mittels Lautsprecheranlagen die ganze Stadt beschallt worden wäre.

Der Herbst 2019 (Arbeitstitel »After Lö Finnal«) hätte aus drei mal drei Workshops – ausschließlich – im Internet bestanden, in denen über den aktuellen Zustand der Kunst diskutiert und debattiert worden wäre. Die Ergebnisse dieser Workshops wären von einer Stadtschreiberin abgetippt und in einer Zeitkapsel im Uhrturm am Grazer Schlossberg eingemauert worden. Eine Öffnung dieser Zeitkapsel war für das Jahr 3019 geplant, wo dann die Weltpremiere der Veröffentlichung dieser Ergebnisse stattgefunden hätte.

Die Herbste 2020 bis 2022 wären dann – durch die Einsparungen in den Jahren 2018 und 2019 hätten etwas mehr an finanziellen, aber auch kreativen Mittel bereit gestanden – den drei Kulturgattungen Musik (2020), Malerei (2021) und Literatur (2022) gewidmet worden und hätten ausschließlich Werke präsentiert, die vor dem 31. Dezember 1949 entstanden sind, mindestens zwei Drittel davon aber vor dem 31. Dezember 1899. (Eine Verbreitung dieses Konzepts an anderer Stelle – auch nur auszugsweise – ist übrigens streng untersagt und ich werde Zuwiderhandelnde mit einem Fluch belegen; als Mindestmaßnahme.)

Gut. Jetzt, wo ich das von mir selbst abgeschrieben habe, muss ich Ihnen leider eröffnen, bin ich traurig. Nicht meinetwegen, ich habe meine Freude an meinen fünf Herbstproduktionen ja ausreichend in meinem Kopf genossen – und wenn Freuden nicht im Kopf sind, dann sind sie ja nirgendwo. Nein, für Sie tut es mir leid. Ich denke, das hätte Ihnen gefallen. Mir jedenfalls. Bleiben Sie mir gewogen.

Zur Lage #80, Fazit 132 (Mai 2017)

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